Warum ist der Streit um Israel so einseitig?

Debatte Schubladen helfen beim Kampf gegen Antisemitismus nicht weiter. Das Gegenstück zum monolithischen Diskurs der Rechten muss Weltoffenheit heißen
Ausgabe 51/2020
Warum ist der Streit um Israel so einseitig?

Illustration: Johanna Goldmann für der Freitag

Der Kampf gegen den Antisemitismus verfehlt sein Ziel, wenn man im Bemühen, Juden und Jüdinnen zu schützen, selbst Vorurteile fördert, Feindbilder schafft und Menschen ausgrenzt. So geschehen durch die BDS-Resolution des Deutschen Bundestags von 2019. Seitdem gelten oft sogar schon jene als Antisemiten, die mit der von Palästinensern 2005 gegründeten Boykottbewegung BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) gegen Israel nur sympathisieren.

Die Vorlage dazu war die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA). Wegen ihrer Interpretationsspielräume kritisierten jetzt 122 palästinensische und arabische Intellektuelle im Guardian die IHRA-Definition als Kunstgriff, der „den Kampf gegen die Unterdrückung der Palästinenser, die Verweigerung ihrer Rechte und die fortgesetzte Besetzung ihres Landes“ diskreditiere. Über die umstrittenen Ziele und oft auch spaltenden Aktivitäten der BDS-Kampagne sollte man streiten – doch ohne Vorverurteilung oder Auftrittsverbote. Die Bundestagsresolution trägt in ihrer Pauschalität zur Polarisierung bei. Anstatt Diskussionsräume für verschiedene Perspektiven zu öffnen und zu vermitteln, halten im Kultur- und Wissenschaftsbetrieb Misstrauen und Diskurseinschränkungen Einzug. Paradoxerweise werden dabei oft jene sanktioniert, die im Nahostkonflikt den Dialog mit der Gegenseite suchen, darunter viele Juden und jüdische Israelis. Weltweit gibt es Juden, auch in Israel, die die Boykottbewegung als legitimes politisches Druckmittel tolerieren oder gar unterstützen.

Mittlerweile bewirkt die bloße Angst, auch nur in die Nähe des BDS gerückt zu werden, bereits Selbstzensur. Die israelische Besatzung und das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung finden in diesem emotional aufgeladenen Diskurs kaum noch Platz. Die Administration des US-Präsidenten Trump strich das Wort „Besatzung“ gar aus ihrem Vokabular. Antisemitismus zu konfrontieren, auf Israels Existenzrecht zu beharren und sich für die Freiheit der Palästinenser zu engagieren, sind Anliegen, die sich ergänzen sollten.

In Zeiten des erstarkten Rechtsradikalismus gilt es, zu differenzieren. Oder, wie der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert, sagt: sich zuzuhören und „die Fähigkeit und Kraft zu Einzelfallentscheidungen jenseits von pauschalen Vorgaben“ zu haben. Das Goethe-Institutgehört zum breiten Bündnis von 33 öffentlichen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland, die sich auf Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes berufen und sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Logik des Boykotts verwahren: Es ist die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, eine inspirierende Aktion deutscher Intellektueller. Sie engagieren sich für kulturelle Vielfalt und Multiperspektivität, weshalb sie zu Recht BDS und Bundestagsresolution zugleich kritisieren. Das Aushandeln von Gegensätzen sei für künstlerische Prozesse unerlässlich, so die Intendantin der Hamburger Kampnagel, Amelie Deuflhard. Die Direktorin des Einstein Forums Potsdam, Susan Neiman, betonte: „Die deutsche Vergangenheit darf nicht den Blick auf die israelische Gegenwart verklären“ – deutsche Israel-Diskussionen sollten endlich die Vielfalt jüdischer Diskussionen reflektieren.

Leider ist wahr: Geht es um Juden, fixieren sich Deutsche meist auf das ferne Israel, dessen viele Facetten viele nicht kennen, anstatt sich auch mit deutschen Juden und deren Alltag zu befassen. Israel vertritt nicht das Judentum schlechthin, ferner sind weder alle Juden noch alle Israelis Zionisten. Ähnlich verhält es sich mit Muslimen, die oft automatisch mit Verschleierung und Terrorismus assoziiert und stigmatisiert werden.

Derlei Klischees offenbaren eine nachlässige Unkenntnis der Traditionen, Denkschulen, Religionen und Biografien der anderen. Es ist bequemer, Juden und Muslime in Schubladen zu befördern, sie zu idealisieren oder zu dämonisieren, anstatt sich mit ihnen direkt zu befassen. Dabei muss die Devise lauten: Raus aus dieser Sackgasse! Um dem monolithischen Diskurs der Rechten Widerstand zu leisten, brauchen wir Weltoffenheit.

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