Die ewige Frage der Gewalt

Blockupy Die Ausschreitungen während der Einweihung der neuen EZB-Zentrale bestimmen den Diskurs. Die Anliegen von Blockupy gehen dabei unter. Über die Dimensionen von Gewalt.

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Quelle: Twitter | umsGanze! retweeted@DinamoPress #Blockupy #18M #StrikeBCE

Dass die Diskussion über die zerstörten Fensterglasscheiben die wertvollste und vielleicht wichtigste Diskussion in der modernen Politik ist, wusste schon die britische Suffragette Emmeline Pankhurst (1858-1928). Dass man mehr Lärm erzeugen, viel auffälliger sein, und viel mehr Zeitungen als alle anderen füllen muss, und damit zu jeder Zeit im politischen Diskurs präsent zu sein, um nicht gleich wieder Schnee von gestern zu werden, war sie sich schon damals sicher. Nur so sei tatsächlich eine Verbesserung der Lebensumstände möglich.

Hauptgrund für eine erneute Debatte über die ewige Gewaltfrage und die zerstörten Fensterscheiben war die Einweihung des neuen 1,3 Milliarden kostenden Hauptquartiers der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frankfurter Ostend durch 100 geladene Gäste, begleitet von bis zu 17.000 Demonstrierenden des kapitalismuskritischen Blockupy-Bündnisses.

Es ist wieder die Rede von „Randalen“ und “„Krawallen”, die schon in der Nacht zum 18. März begannen und tagsüber andauerten. In den Medien überwiegen die Bilder von in Flammen stehenden Fahrzeugen, brennenden Barrikaden aus Mülltonnen und Autoreifen, sowie nicht zu vergessen die zerbrochenen Fensterglasscheiben – die „blanke Zerstörungswut” eben. Die um die 8.000 zählenden Polizeieinheiten aus mehreren Bundesländern waren dennoch vorbereitet. Sie sperrten beispielsweise das unmittelbare Gelände rund um die EZB mit Stacheldrahtzäunen ab, waren aber trotzallem merklich überrascht über das Ausmaß der Wut, Entschlossenheit und Gewaltbereitschaft einiger Aktivisten und beklagenbis zu 90 verletzte Einsatzkräfte. Sie gingen mit Tränengas, Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen die größten Unruhestifter vor, mussten sich aber vor Wurfgeschossen und ätzenden Säuremitteln in Acht geben. Mehrere Hundert Personen auf Seiten der Aktivisten wurden festgenommen.

Die überwiegende Mehrheit der Politiker der etablierten Parteien verurteilten die Ausschreitungen. Da ist zum Einen der stellvertretende hessische Ministerpräsident vom Bündnis '90/Die Grünen Tarek Al-Wazir, der in seiner auf Englisch gehaltenen Rede zur Einweihung der Notenbank die friedlichen Demonstranten dazu aufrief, sich von den Gewaltbereiten zu distanzieren, da keiner das Recht hätte andere Menschen zu verletzen oder Sachgut zu beschädigen. Zum Anderen ist da Volker Kauder, Fraktionschef der CDU-Fraktion im Bundestag, welcher schockiert sei von den Ereignissen in Frankfurt und kurzfristig eine „vereinbarte Debatte” am Donnerstag um 14.00 Uhr im Parlament angeregt habe.

Nachsichtig für die Proteste hingegen zeigten sich nicht nur wie erwartet Politiker der Linkspartei, sondern überraschenderweise führende Bänker selbst. So wie EZB-Präsident Mario Draghi, der in seiner Eröffnungsrede seinen neuen Arbeitsplatz als ein mächtiges Symbol der europäischen Vereinigung lobte, aber auch Verständnis für jene Bürger hätte, die vom Euro als Gemeinschaftswährung enttäuscht seien. Allerdings müssten die Länder, die jetzt eine schwere Zeit durchlebten, die Gründe in falschen Entscheidungen in der Vergangenheit suchen. Außerdem teilte auch der Co-Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain, die Auffassung, dass Meinungsfreiheit einer der Grundsteine der Demokratie sei. In einer Konferenz sagte er am Rande, dass die Arbeitslosigkeit 2015 auf einem Nach-Krisen-Hoch sei, und somit Menschen nicht glücklich über die Folgen sein können. Ein Organisator und Sprecher der Blockupy-Bewegung, Hendrik Wester, wollte noch anmerken, dass dieser Tag so nicht geplant gewesen war, aber man müsse auch feststellen, dass das Bürgerkriegsszenario, das die Polizei aufgemacht hätte, von vielen Leuten als Herausforderung und Provokation begriffen worden sei. Die Polizei hätte genauso Teile der Demonstration angegriffen.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Bilder der Zerstörung und Ausschreitungen in ihrer Sensationsmacht die der friedliebend-demonstrierenden Mehrheit bei Weitem übertreffen und dementsprechend die Parameter der Diskussion unnötig verzerren. Dennoch, Gewalt an sich, als auch die tieferen Motive der Gewalt sind heterogen, und können sich in verschiedenen Dimensionen und Formen ausdrücken.

Seit dem Anbeginn der Finanzkrise 2007/08 häufen sich Proteste gegen die Krisenpolitik. Es begann im Frühjahr 2009 als sich die Regierungen zum G20-Gipfel in London trafen, um sich über mögliche Auswege aus der Misere zu beraten. Damals marschierten am 28. März bis zu 35.000 Menschen durch die Finanzmetropole für Handels- und Steuergerechtigkeit sowie einen „Green New Deal“ – in reichen wie in ärmeren Ländern. Mehrere Tausend belagerten außerdem am 1. April die Bank of England beim „G20 Meltdown“.

Ein Jahr später, am 10. November 2010 demonstrierten wieder in London über 50.000 Studenten und Lehrer gegen die Kommerzialisierung des englischen Bildungssystems, genauer gesagt vor allem gegen die Erhöhung der Studiengebühren auf bis zu 9.000 Pfund Sterling pro Jahr. Im Anschluss an die Kundgebung kam es zur spontanen Besetzung des Millbank-Towers, dem Hauptquartier der britischen konservativen Regierungspartei, wo auch zerbrochene Fensterscheiben Schlagzeilen machten.

Am 26. März 2011 kam es dann zum größten Aufmarsch gegen die Sparpolitik der liberal-konservativen Regierungskoalition – bis zu 200.000 sind dem Aufruf des britischen Dachverbands der Gewerkschaften TUC gefolgt. Auch danach kam es zu Ausschreitungen in der Londoner Innenstadt, u.a. die ersten Zusammenschlüsse von Gruppen des Schwarzen Blocks, deren Spur der Verwüstung die Berichterstattung dominierten.

Die nächste größere europäische Protestwelle in Reaktion auf die Folgen der Finanzkrise ging von den Indignados – den „Empörten“ – aus, die seit dem 15. Mai 2011 spanienweit für mehrere Wochen zentrale Plätze besetzt hatten. Aus den Indignados bildete sich später dann aus den Initiativen der „Movimiento 15-M“ eine ernstzunehmende politische Kraft – Podemos. Fast zeitgleich formierte sich Widerstand in Athen, welches an einzelnen Tagen durch bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen von Protestierenden und der Staatsgewalt bestimmt wurde, und zwischenzeitlich ebenso spontan auf eine mehrwöchige friedliche Besetzung des Syntagma-Platzes vor dem griechischen Parlament hinauslief.

Als im September gleichen Jahres Occupy Wallstreet aus dem Boden schoss, war dies zugleich die Geburtsstunde des Blockupy-Bündnisses, welches 2012 und 2013 erstmals Aktionstage in der europäischen Finanzmetropole am Main ausgerufen hatte, um deren Tagesgeschäft zu stören. Damals blieb es aber weitgehend gewaltfrei.

Dass es diesmal anders kam, ist bekannt. Die Beweggründe der Gewaltexzesse sind vielschichtig und systemimmanent. Jede/r vierte Erwerbsfähige ist in Spanien und Griechenland ohne Arbeit. Hunderttausende Familien mussten folglich seit 2008 in Spanien ihre Wohnungen und Häuser zwangsräumen, weil sie für ihre Hypotheken oder Mieten nicht mehr aufkommen konnten. Mehre Millionen Griechen können sich keine Krankenversicherung leisten. Zwischen 2013 und 2014 mussten bis zu eine Million Briten ihre Lebensmittel von mehreren hundert Essenstafeln besorgen. In Europa gibt es bis zu sechs Millionen arbeitslose Jugendliche. Die Liste könnte endlos weiter gehen.

Die sozialen Kosten der derzeitigen Krisenpolitik werden gleichgültig in Kauf genommen. Die gesellschaftlichen Grundstrukturverhältnisse in Europa sind zwiegespalten – zum Einen zwischen den Überschussökonomien des Nordens und den Defizitländern des Südens. Zum Anderen klaffen innerhalb der einzelnen Länder immense gesellschaftliche Gegensätze.

Man muss kein Akademiker sein, um zu erkennen, dass sich die Machtstrukturen seit langem deutlich zu Gunsten des Kapitals verschoben haben. Eigentumsverhältnisse zeigen, dass die obersten ein Prozent ihre Vermögen bzw. Einkommen durch Vermögenswerte sogar seit 2008 überproportional steigern konnten, während die „Mitte“ durch die extrem niedrigen Zinsen schleichend enteignet wird, und der Rest entweder auf dem Arbeits- oder Immobilienmarkt den Kürzeren zieht. Inwiefern da ein paar brennende Barrikaden und zertrümmerte Fensterscheiben es Wert sind, sich über diese Missstände und die weitverbreitete Perspektivlosigkeit hinwegzusetzen, ist gleichermaßen fahrlässig.

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