Die Geburt des "little England"

Brexit 52 Prozent der Briten stimmten für den Brexit - 62 Prozent der Schotten für den Verbleib in der EU. Dieses Resultat birgt viele Umbrüche im Königreich selbst.

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Seit der britische Premier David Cameron im Januar vor drei Jahren seinen sogenannten “Backbenchers” (zu deutsch: Hinterbänklern) ein Plebiszit über den Verbleib in der Europäischen Union versprochen hatte, nur sofern seine Partei in der nächsten Wahl eine klare Mehrheit gewinnen sollte, ist das Vereinigte Königreich unsicher über die eigene politische Zukunft. Zum einen wurde seine Partei, die der Konservativen, in der letzten Wahl im Mai 2015 mit 36,1 Prozent der Stimmen stärkste politische Kraft und konnte somit auf eine absolute Mehrheit mit 330 Sitzen im House of Commons (Unterhaus, dem britischen Parlament) die Wahl klar für sich entscheiden. Zum anderen eröffnete der Premier dadurch den Schotten, sowie auch den Nordiren, und gegebenfalls gar den Walisern, möglicherweise eine Debatte über die weiterhin ungeklärte Frage, was mit diesen Jurisdiktionen passieren würde, sollten die genannten Volksgruppen gegen einen Brexit stimmen. Dann wäre ein weiteres Mal auf jeden Fall die schottische Frage wieder auf der innenpolitischen Tagesordnung, nachdem die Schotten am 18. September 2014 sich knapp gegen (55-45) die Unabhängigkeit Schottlands gegenüber dem Vereinigten Königreich entschieden hatten.

In den drei Jahren nahm folglich das Schicksal seinen Lauf. Der European Union Referendum Act 2015 beschloss endgültig ein In-Out-Referendum bis zum Ende des Jahres 2017. David Cameron, strategisch leicht unbeholfen, legte dann am 20. Februar 2016 das Datum des Referendums auf den Donnerstag, den 23. Juni 2016 fest. Gestern öffneten sich die Wahllokale. Am darauffolgenden frühen Morgen ist dann Realität, was sich die Wenigsten vorzustellen vermochten: 48 Prozent für den Verbleib und 52 Prozent für den Austritt aus der EU. Für mehr Unabhängigkeit, weniger “unkontrollierte Zuwanderung” und weniger bis gar keine Bevormundung durch Brüssel. Dort werden ab heute nun die Krisensitzungen wieder häufiger. Die Zugeständnisse, die Brüssel David Cameron vor vier Monaten angeboten hat, waren den Engländern nicht genug. Das traditionelle britische Rosinenpicken hat somit ebenfalls ein Ende gefunden. Kein Sonderstatus mehr innerhalb einer EU-28 sondern eine Degradierung zu einem Drittstaat einer EU-27. Mit der Zeit kommt vielleicht eine Zersplitterung durch einen nordirischen und schottischen Verbleib in der EU beziehungsweise deren Abspaltung von einem gar nicht so “Vereinigten Königreich”. 62 Prozent der Schotten votierten für einen Verbleib sowie 55,78 Prozent der Nordiren. Nur Wales bevorzugt einen Brexit mit 52,53 Prozent Zustimmung.

Eines ist sicher, die EU wird wie das Vereinigte Königreich nicht mehr dasselbe sein. Die EU muss sich eingestehen, dass sie sich fundamental reformieren und erneuern muss. Auf der einen Seite bürgernäher und demokratischer werden, auf der anderen solidarischer und egalitärer und somit den gemeinsamen Wohlstand fairer verteilen. Dann hat das Nachkriegsprojekt wieder eine Zukunft und wäre auf dem Weg ein Garant des inner-europäischen Friedens zu bleiben und attraktiv für diejenigen zu werden, die ihr gegenwärtig eher skeptisch gegenüber stehen. Es könnte durchaus sein, dass mit einem EU-freundlicher gesinntem unabhängigen Schottland weniger Stolpersteine auf dem Weg zu engerer Kooperation und Integration liegen als bisher mit einem EU-skeptischen Vereinten Königreich. So gesehen ist die Geburt eines “little England” mehr als Willkommen, auch wenn es für letzteres viel mehr Unsicherheit und Instabilität bedeuten würde.

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