Von der Politik des lockeren Geldes

Fiskalpolitik Fiskalpolitische Askese fußt auf tiefem Misstrauen in die Gestaltungsmacht des Staates. Anstehende Herausforderungen erfordern Mut den möglichen Spielraum auszunutzen.

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Der britische Ökonom John Maynard Keynes wagte bereits im Frühling 1942 im Britischen Fernsehen zu postulieren, dass "alles, was wir tatsächlich im Stande sind zu tun, wir uns auch leisten können". In dieser Zeit trieb das Nazi-U-Boot U-552, auch berühmt berüchtigt unter dem Namen Roter Teufel, im Atlantik sein Unwesen und verantwortete das Versenken des zivilen US-Küstendampfers SS David H. Atwater, auf dem Weg in den Heimathafen in Massachusetts von Norfolk, Virginia beladen mit 4.000 Tonnen Kohle. Die Vereinigten Staaten von Amerika erholten sich zu diesem Zeitpunkt noch vom japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941. John Maynard Keynes, als frisch ernanntes Mitglied des Direktoriums der Bank of England, beschäftigte sich, wie eingangs bereits angedeutet, mit diversen Gestaltungsmöglichkeiten den Krieg gegen die Achsenmächte sowie den Wiederaufbau nachhaltig zu finanzieren. Das Kern des Problems sei seiner Ansicht nach nicht das Geld, das zur Finanzierung fehlt, sondern vielmehr den Mut zu fassen, alles menschenmögliche zu tun, um tatsächlich mittel-bis langfristig den beiden Zielen näher zu kommen. Keynes war sich den sich gebenden Möglichkeiten angesichts der Tatsache, dass Großbritannien bereits 1931 die Fiktion des Goldstandards hinter sich gelassen hat, bewusst. Denn: "Auf lange Sicht sei fast alles möglich."

Seine Auffassung von monetärer Souveränität sucht man im gegenwärtigen Europa nahezu vergeblich. Viel zu präsent sind die Erinnerungen an die fehlgeleitete Austeritätspolitik der EU der letzten Dekade, basierend auf dem ideologischen Korsett der Maastricht Kriterien, des Europäischen Wachstums- und Stabilitätspaktes oder des Fiskalpaktes. Fiskalpolitische Askese bzw. Zurückhaltung ist die DNA der europäischen Wirtschaftsverfassung. Um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts jedoch annähernd bewältigen zu können, gilt es jedoch die aktuellen, versteinerten Doktrinen kritisch zu beleuchten.

Angenommen die in vielen Staaten zur Staatsräson ausgegebene Verantwortbarkeit von ausgeglichenen Haushalten sei politisch und ökonomisch haltbar: inwiefern lässt sich beispielsweise das größte Unterfangen der NATO-Staaten hinsichtlich des zwei Jahrzehnte andauernden War on Terror dahingehend begründen? Das Watson Institute der Brown University schätzt die Kosten für die Jahre 2001-2020 allein für die USA bei rund 6,4 Billionen Dollar. Das sind 320 Milliarden Dollar im Jahr, die man hätte auch in das amerikanische Bildungs- und Gesundheitswesen, in die Infrastruktur des Landes oder in zukunftsweisende Technologien investieren können. Ganz zu schweigen von den rund 770.000-800.000 Menschen, die diesem asymmetrischen Krieg zum Opfer gefallen sind.

In einer ähnlichen Dimension liegen die Kosten für die Folgen des menschengemachten Klimawandels. Die Weltwetterorganisation (WMO) beziffert diese in einem jüngst veröffentlichten Bericht für den Zeitraum 1970 bis 2019 bei sagenhaften 3,6 Billionen Dollar. Die Zahl der weltweiten Todesopfer beläuft sich bei rund 2 Millionen. Es zeigt sich eine gewisse verzerrte Wahrnehmung und Fehleinschätzung des Risikoprofils für die Wahrung der menschlichen Zivilisation.

Die Corona-Pandemie erzwang erstmals wieder eine aktivere Rolle des Fiskus, um in tandem mit den Zentralbanken eine Neuauflage der Großen Depression von 1929 zu verhindern. Dazu werden derzeit Fiskalregeln temporär suspendiert und im Fall der EU vorübergehend Corona-/Eurobonds emittiert. Ein weiterer Schritt zu mehr monetärer Souveränität für das noch relativ junge und unvollständige Projekt einer europäischen Gemeinschaftswährung. Während die EZB in Zeiten der Nullzinspolitik versucht mit unkonventionellen Maßnahmen der quantitativen Lockerung ihrem Mandat der Preisstabilität bzw. dem Inflationsziel von 2% gerecht zu werden, fehlt es weiterhin unter den Mitgliedstaaten an nachhaltiger fiskalpolitischer Koordination und Solidarität mit dem Rest der Welt. Pandemiebekämpfung funktioniert eben nicht national, regional, sondern ausschließlich global, auch um einer impfstoffresistenten Virusmutante vorzubeugen. Die Zahl der zu beklagenden Covid-Toten liegt derzeit bei rund 4,6 Millionen. Die EU scheint allerdings immer noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein und die Kommission versucht den augenscheinlichen Bedeutungsverlust zu Pandemiebeginn wett zu machen — bislang mit eher mäßigem Erfolg.

Umso wichtiger ist eine Neuausrichtung des gesellschaftlichen Diskurses rund um die in den Verfassungsrang erhobene Schwarze Null bzw. Schuldenbremse. Denn defizitäres Haushalten eines Staates ist nicht gleichzusetzen mit dem sagenumwobenen Haushalten einer schwäbischen Hausfrau. Staaten finanzieren sich nicht ausschließlich aus Steuermitteln, sondern verfügen über die Möglichkeit regelmäßig Anleihen auszugeben und somit über den Kapitalmarkt nötige Geldmittel zu binden, um damit in die öffentliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge zu investieren. In Nichtkrisenzeiten steigert dieses Vorgehen die wirtschaftliche Aktivität, bekämpft Arbeitslosigkeit und relativiert den öffentlichen Schuldenstand. Privathaushalte verfügen nicht über derartige Privilegien oder Möglichkeiten. Deswegen ist die obengenannte "Staatsräson" nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, ja lebensbedrohlich. Angesichts der Angst bestimmter Bevölkerungsschichten vor sich wieder in Gang setzende Migrationsbewegungen aus Afghanistan und Afrika in Richtung Europa und den voraussichtlich an Intensität und Frequenz zunehmenden Folgen der Klimakrise ist es höchste Zeit die fiskalpolitische DNA so umzuprogrammieren, dass die Gestaltungsmacht des Staates dringenst diesen Herausforderungen in den bereits geschilderten Dimensionen gerecht werden kann. Es geht um nichts anderes als um die Aktivierung des gesamtgesellschaftlichen Potentials und den Mut staatlichen Institutionen die Möglichkeit zu geben, diesen erweiterten Handlungsspielraum auch ausnutzen zu dürfen. Die Ausweitung und Stärkung dieses Spielraums ist politisch aushandelbar und bestimmbar und absolut notwendig. Denn zur Abwendung der schlimmsten Folgen der Klimakrise liegt der noch zur Verfügung stehende Zeithorizont bei nur noch zehn Jahren. Das Mögliche muss schon mittelfristig möglich gemacht werden.

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