Die Frauen waren da und damit ein Machtfaktor

IRAN Die Linke sah über Jahrzehnte trotz vieler Frauen in den eigenen Reihen keinen Grund, feministische Positionen zu entwickeln

Iran ist im Persischen und im Empfinden der IranerInnen ein schön klingender weiblicher Name. Das einzige Zugeständnis des Landes an seine Einwohnerinnen?

An den zahlreichen Massenaufständen des Landes vor und während der islamischen Revolution beteiligten sich Frauen auf vielfältige Art und Weise, aber die Frauenfrage war immer ein Rand- beziehungsweise kein Thema.

Vor der "Weißen Revolution" des Schahs 1962 hatten Frauen nicht nur kein Wahlrecht, sondern fast keine Rechte im bürgerlichen Sinne. Die feudalen Strukturen und die schiitische Geistlichkeit waren die peniblen Hüter der Rechtlosigkeit der Frauen. Das hatte starke, selbstbewusste Frauen mit hoher gesellschaftlicher Anerkennung, vor allem in Literatur und Kunst, nicht verhindern können. In der Politik aber erschienen sie nur als Schmuck der Männer. Die religiös-traditionell geprägten Familienstrukturen in Iran räumen der Frau eine besondere Machtstellung im Haushalt und in Wirtschaftsfragen ein, der Islam steht den wirtschaftlichen Aktivitäten der Frau sehr offen gegenüber, aber er leitet daraus keine gesellschaftlich-politischen und exegetischen Rechte ab. Im Alltag kokettieren Männer, wenn es um Frauen und Frauenrechte geht, gerne damit, sich als Opfer ihrer Frauen zu Hause darzustellen.

Unter dem Schah-Regime gab es zwar keine demokratischen Wahlen, aber zunehmend Mitbestimmungsversuche der Frauen auf allen Ebenen: von Kleidung und Alltagsschminke bis Kabinett und Parlament. Da die Monarchie in ihrer ewigen Legitimationskrise auf Rückendeckung der islamischen Geistlichkeit angewiesen war, blieben Polygamie, ein Frauen diskriminierendes Erbrecht, Heiratsalter, Scheidungsmodalitäten und Sorgerecht für Kinder weiterhin Tabuthemen. Die staatliche Förderung von Frauen manifestierte sich nicht in Freiheiten gewährenden Gesetzen, sondern in kurzen Röcken, Dekolletés und westlichem Outfit, was wiederum die islamische Geistlichkeit und die Linke zugleich aufregte.

In den siebziger Jahren, als der Widerstand gegen das Schah-Regime wuchs, setzte sich die Studentenbewegung an die Spitze des politischen Kampfes. Die politisch aktiven Studentinnen, islamisch nicht tief verwurzelt, fühlten sich stark von einem Marxismus angezogen, der ihnen vor allem Gleichberechtigung in Aussicht stellte, de facto aber ein Gemisch aus zeitgenössischen, marxistisch-leninistischen Theorien und der schiitischen Mythologie von Martyrium und Entsagungen war. Die überwältigende Mehrheit davon inspirierter Frauen ging in die Stadtguerilla. Ein fataler Aderlass für eine heranwachsenden Intellektuellengeneration und vielleicht mit ein Grund für die Machtübernahme der Islamisten Jahre später. Drei Welten existierten parallel: Untergrundkampf der Engagiertesten für versprochene Gleichberechtigung unter der Diktatur des Proletariats, die offizielle kaiserliche Bühne mit all ihren "Lady-Di-artigen" Erscheinungen und die deprimierende Rechtlosigkeit der Frauen allenthalben.

Frauen ohne Tschador waren aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Optimistisch geschätzt, überschritt die Beschäftigungsquote der Frauen im öffentlichen Sektor knapp die 20-Prozentgrenze. "Schahbanu" (die Königsfrau) sollte eine herausragende Rolle bei der Vermittlung der neuen Werte der "Großen Zivilisation" spielen. Dabei war der Schah war so modern und westlich, dass er Farah Diba, seiner dritten Ehefrau, erst dauerndes Bleiberecht am Hof einräumte, nachdem sie ihm einen Thronfolger "geschenkt" hatte.

Es gab bewegte Frauen, aber keine Frauenbewegung. Die Linke hatte die politisch-moralische Hoheit und ein "großes Maul". "Feminismus" war verpönt, behauptet wurde, er würde die Bündnisbreite des Proletariats schmälern.

Fünf Prozent der politischen Gefangenen waren damals Frauen. Sie schrieben die wichtigsten Kapitel des iranischen Widerstandes gegen Diktatur und Willkür mit. Berichte aus dieser Zeit zeugen davon, wie sehr die männliche Sicht von diesen starken Frauen übernommen wurde. In Gesprächen mit Überlebenden erfährt man, wie rigoros und selbstlos die meisten um "höherer" oder "allgemeiner" Ziele willen selbst verhinderten, dass eine eigenständige Frauenpolitik entstand.

1977. Das Land, bekannt als Insel der Stabilität in einer unruhigen Region, erlebte ein Gewitter. Das jähe und unüberhörbare Nein der Bevölkerung zum Schah-Regime überraschte und lähmte den Gegner. Auch die Religiös-Konservativen wandten sich gegen den Kaiser - und brauchten plötzlich die Frauen. Eine Geistlichkeit, die Frauen zuvor kein aktives Gesellschaftsleben zugestand, wollte sie auf einmal auf der Straße sehen. Appetit auf Macht und deren greifbare Nähe ermöglichten eine opportunistisch flexible Auslegung der Dogmen. Täglich gab es Aufrufe und Fatwas zur Legitimität der Frauenpartizipation am politischen Geschehen: Sie sei ein von Gott gutgeheißenes "Muss". So überzeugte man auch die hinterwäldlerischsten Paschas, dass sie keine Chance mehr hatten, das Engagement ihrer Frauen und Töchter zu verhindern.

Bis zum Sturz der Diktatur waren Frauen Schulter an Schulter mit Männern bei allen Großkundgebungen präsent, sogar in Überzahl. Die meisten verschleiert, aber ohne Differenzen mit Nichtverschleierten in ihren Reihen. Bald absolvierten die Frauen eine Schule, deren Besuch ein Dorn im Auge aller Konservativen war: Teilhabe an einem historischen Ereignis, das ihr Selbstwertgefühl förderte. Dabei spielte keine Rolle, dass sie als "Fleischmauer", Statistinnen, Fußsoldatinnen oder bloße Blutspenderinnen entwertet verspottet wurden. Sie waren da, und sie waren ein Machtfaktor. Frauenspezifische Forderungen hörte man nicht, ab und an die vage Forderung, den Frauen die Würde zurückzugeben. Die in ihrem Egalitätsverständnis gefangene Linke sah keinen Grund, sich tiefer mit dem Thema zu befassen.

Die dominierende Exegese der islamischen Dogmen lehnte Frauen im öffentlichen Leben ab. Die neuen Machthaber, die Orthodoxen, gaben deutlich und relativ eilig zu verstehen, dass sie die entfesselten Frauen sobald wie möglich nach Hause schicken würden. Es gestaltete sich schwieriger, als sie dachten. Zurück zur alten Tagesordnung, in Küche und Wohnzimmer wollten die Frauen nicht. Die mikropatriarchalen Gepflogenheiten innerhalb der Familien konnten "ihre Frauen" nicht mehr überzeugen, ihre öffentlichen Aktivitäten einzustellen. Das Argument der Frauen: Es sei doch alles islamisch - Kultureinrichtungen, Schulen, Kinos, Universitäten - weshalb sollte ihnen das alles verboten sein?

Die darauffolgenden Jahre wurden die finstersten Kapitel der iranischen Geschichte, vor allem in Bezug auf Frauenrechte: Eingeführt wurden absoluter Schleierzwang und ein generelles Berufsverbot für Frauen im Justizwesen. Parallel dazu geschahen ideologische und "moralische" Säuberungen im Bildungswesen und öffentlichen Leben. Das Heirats- und Mündigkeitsalter der Frauen wurde auf neun Jahre heruntergesetzt - mit der Konsequenz, dass Kinder im Strafrecht als Erwachsene galten. Die höchsten staatlichen Instanzen erklärten Frauen zu Versuchungs- und Verführungsbestien, propagierten zynisch körperliche Gewalt und Züchtigung durch Ehemänner und Brüder. Im Zivilrecht setzten die Machthaber den "Wert" der Frauen halb so hoch an wie den von Männern, sie führten die frauenfeindliche Zeitehe und Polygamie ein. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Frauen aus breiten urbanen Schichten, links bis liberal, leisteten tapfer Widerstand, der aber von ihren politischen Organisationen im Namen des "Hauptwiderspruchs" und "Hauptziels" vernachlässigt beziehungsweise ignoriert wurde. Dass diese Unterdrückungsmaschinerie mit tatkräftigem Einsatz der religiösen Frauen lief, lieferte ihren Gegnern ein weiteres "entwaffnendes" Argument.

Drei Jahre nach der Revolution leckten alle politischen Parteien und Organisationen ihre Wunden und waren derart mit ihrer Existenzkrise im Untergrund, Ausland oder in halblegaler Form beschäftigt, dass Frauenpolitik, Feminismus und Frauenrechte ihnen völlig fern lagen.

Die Ironie der Geschichte ist, dass in dieser Zeit der allseitigen Verzweiflung der Begriff "islamischer Feminismus" geprägt wurde. Ausgerechnet die im politisch-ideologischen Apparat agierenden Frauen versuchten den Koran gemeinsam mit linksliberalen Frauen außerhalb des Systems feministisch zu interpretieren. Angesichts der von Frauen erlittenen und von den religiösen Lehren gedeckten Entrechtungen lassen sich "Islam" und Feminismus in der Tat schwer vereinbaren. Der Opposition im Ausland wies dieser basisnahen Strömung die Zuschauerrolle zu.

Sowohl ein großer Teil der islamischen Geistlichkeit als auch die mit Feminismus vertrauten Auslandsgruppen sprechen dem "islamischen Feminismus" die Existenzberechtigung ab. Doch das "Grassieren" des islamischen Feminismus war im aktuellen politischen Diskurs des Landes historisch gesehen nur der Anfang der Frauenpolitik, einer Politik von Frauen für Frauen. Noch kämpfen Frauen in Iran für elementare Rechte, die im Westen seit der Aufklärung immerhin für selbstverständlich gehalten, wenn auch nicht verwirklicht werden. Das Wichtigste im Selbstverständnis dieser iranischen Frauen ist, selber dabei zu sein, Frauenpolitik und Fraueninteressen nicht von anderen vertreten zu lassen.

Sie äußern ihren Widerstand auf vielerlei Arten: Sie missachten die Geschlechtertrennung in den öffentlichen Verkehrsmitteln, überschreiten offensiv den Rahmen des Zugelassenen in der Kleiderordnung, sie leben eine auffällige "Feierwut" bei nichtreligiösen oder nichtstaatlichen Anlässen, treiben demonstrativ Sport. Trotz struktureller Benachteiligung der Mädchen in den Familien stellen Frauen immer noch mehr als die Hälfte der Studierenden an den Hochschulen.

Bei den letzten Parlamentswahlen waren Frauen die eigentliche Antriebskraft. Ihre Wahlbeteiligung war höher als die der Männer, und sie haben ihre männlichen Bekannten und Angehörigen regelrecht zu den Wahlurnen getrieben.

Die im Westen symbolbeladenen Bereiche, die Modernität suggerieren, nehmen diese Frauen gerne in Anspruch. Darauf konzentrieren sich westliche Medien. Doch hier ist Vorsicht geboten. Denn die reaktionäre Geistlichkeit macht diesen Wettbewerb eifrig mit und ist mit Abstand besser ausgestattet als die engagierten Frauen. Technik und deren Nutzung dürfen mit politischen Kategorien von Emanzipation, Mit- und Selbstbestimmung nicht verwechselt werden.

Die schiitischen Ideologen Irans sind infolge der unmittelbaren Beteiligung an der Macht viel flexibler als ihre Dienstbrüder aus dem Vatikan. Es ist schon ein bizarr wirkendes Bild, wenn verschleierte Frauen von Tür zu Tür ziehen und Kondome im Namen der Familienplanung verteilen oder unverhohlen Abtreibungen empfehlen.

Die iranischen Frauen sind im Kommen, und die patriarchalen Strukturen werden es zunehmend schwer haben, den Strom selbstbewusst agierender Frauen in die alten Kanäle zu leiten.

Ali Mahdjoubi-Namin war von 1978-90 im kommunistischen Spektrum des Widerstands aktiv und wurde durch die Frauen seiner Familie frauenpolitisch sensibilisiert. Zwei seiner sechs Schwestern waren seit 1971 im Untergrund, sie wurden 1974 verhaftet und schwer gefoltert. Zwei andere Schwestern wurden Opfer der ideologischen Säuberung im Bildungswesen 1980-81.

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