Das Weltall sollte ein rechtsfreier Raum bleiben, findet Carey Young, denn das Gesetz sei an „die Erde gebunden“. Und muss hier hinterfragt werden. Zum Beispiel in der aktuellen Ausstellung der Künstlerin: Legal Fictions in Zürich.
Der Freitag: Das auffälligste Werk in Ihrer Ausstellung heißt „Declared Void II“. Eine Zone von rund 16 Quadratmetern, ausgezeichnet durch dicke schwarze Linien auf dem Boden und an der Wand. Wer sie betritt, erklärt sich einverstanden, für die Zeit seines Aufenthalts US-Bürger zu sein. Wie reagieren die Besucher?
Carey Young: Noch kann ich die Reaktionen nicht abschätzen. Die erste Version des Werks habe ich in den USA ausgestellt. Dabei bot ich den Besuchern an, das Anwendungsgebiet der amerikanischen Verfassung zu verlassen, indem sie die auf den Boden gemalte Grenze übertreten. Es war für mich faszinierend zu sehen, wie die Besucher um die Zone schlichen und unsicher waren, sie zu betreten. Einige traten dann ein, viele nicht.
Wovor hatten sie Angst?
In den USA sind die Menschen sehr sensibel, was ihre Verfassung angeht. Hier in Zürich werfe ich Fragen zur Migrationsdebatte auf. Es ist eine politische Provokation. Eine Zone, in der man – wenn auch nur fiktiv – eine andere Nationalität annimmt, ist immer auch eine Art Bühne für den Besucher.
Der Begleittext zu „Declared Void II“ liest sich wie eine Vertragsklausel und ist in dicken Lettern auf die Wand geschrieben. Ist diese juristische Sprache Teil der Provokation?
In meinen Werken ist immer auch eine Warnung enthalten. Ich frage, was passiert, wenn die Welt immer prozesssüchtiger wird. Wir werden immer abhängiger vom Recht, um Konflikte zu lösen. Das Gesetz ist uns auferlegt.
„Legal Fictions“. Ist denn das Recht für Sie eine Fiktion?
Ich interessiere mich schon seit vielen Jahren für das Recht. Verträge sind eine Form der Choreo- grafie. Eine Form, Beziehungen zwischen Menschen aufzubauen. Es geht mir dabei aber nicht um Vorherrschaft, eher um ein Spiel.
Gibt es auch zwischen den Besuchern und Ihnen einen Vertrag?
Die Grenze zwischen dem Künstler und dem Betrachter ist sehr dynamisch geworden. Ein Raum mit riesigen Grenzen, die der Betrachter überschreiten muss – das ist für mich eine sehr offene, kreative Situation. Ich frage mich stets: Wie kann ich dem Besucher etwas anbieten und ihm die Wahl geben, mein Angebot dann auch anzunehmen?
In Ihrem Werk „Obsidian Contract“ liest der Besucher in einem schwarzen Spiegel einen Vertragstext. Wenn er seine Reflexion mehr als zehn Sekunden ansehe, steht da geschrieben, willige er ein, dass der Raum im Spiegel für allerlei Aktivitäten genutzt werden darf. Um Vieh grasen zu lassen oder Feuerholz zu sammeln. Wie kamen Sie darauf?
Das sind alles Aktivitäten, die im Laufe der letzten 200 Jahre im öffentlichen Raum illegalisiert wurden. Das Weiden von Tieren wurde auf öffentlichen Plätzen verboten, als der Adel in Großbritannien das Land unter sich aufteilte. Es sind auch zeitgenössischere Dinge im Vertrag enthalten, beispielsweise das Fotografieren. Viele Städte sehen das Fotografieren als Sicherheitsrisiko. Mein Werk erlaubt alle diese Aktivitäten – aber nur in einem Gebiet, das man durch einen schwarzen Spiegel in einem Galerieraum sehen kann. Theoretisch entsteht so ein neuer, ein freier öffentlicher Raum.
Wie hat sich der öffentliche Raum in Ihren Augen entwickelt?
Der freie öffentliche Raum verschwindet in unseren Städten – durch Privatinteressen und den mangelnden Schutz des Staates.
Sie verzichten in Ihren Werken aber darauf, mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen.
Das wurde schon getan. Ich möchte etwas anderes machen. Außerdem habe ich selber in der Privatwirtschaft gearbeitet und weiß, was in der Unternehmenswelt glaubwürdig ist. Welche Sprache, welches Verhalten, welche Normen dort vorherrschen. Das hat mir geholfen, meine Ästhetik zu definieren. Manche meiner Arbeiten sind sanfter, manche kraftvoller. Aber alle meine Arbeiten sind politisch.
Möchten Sie mit „Legal Fictions“ auch den Unternehmern den Spiegel vorhalten?
Ja. Es gibt einen Mangel an unternehmerischer Verantwortung. Unternehmen verursachen globale Katastrophen und schützen sich davor, Haftung zu übernehmen. Meine Arbeit reflektiert auch das.
In „Report of the Legal Subcommittee“ bilden Sie die Absichtserklärung der UNO ab, das Weltall für friedliche Zwecke zu nutzen. Ist das All eine Metapher für den freien öffentlichen Raum?
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Vereinten Nationen darauf geeinigt, dass das Weltall niemandem gehört und die Entdeckungen, die darin gemacht werden, allen gehören. Es war eine fantastische Utopie. Sie verblasste mit der Zeit. Heutzutage werden allerlei rechtliche und kommerzielle Nutzungen des Weltalls disku-tiert. Das ist lächerlich. Wer sind wir, das zu entscheiden? Das Gesetz ist an die Erde gebunden.
Tragen die Vertragswerke auf der Erde nicht auch lächerliche Züge?
Bei aller Kritik – ich glaube nicht, dass das Gesetz lächerlich ist. Ich finde es faszinierend. Wenn man an die Rechtsgeschichte denkt, geht es in Gesetzestexten immer um Schutz. Ein Gesetz konstruiert einen Menschen, es definiert, was er ist und was er tun kann.
Aber zeugt die Verrechtlichung des Alltags nicht auch von einem wachsenden Misstrauen der Menschen untereinander?
Für mich ist ein Vertrag immer die Klarstellung einer Situation. Man hat immer die Wahl, ob man ein Vertragsverhältnis eingeht oder nicht. Gibt es keine Wahl, gibt es keinen Vertrag.
Wenn ich mein iTunes-Update mache oder die Einstellungen von Facebook sich ändern, werde ich da nicht durch Juristendeutsch zu etwas gezwungen, das ich eigentlich nicht will?
Ich werde hier die Handlungsweise gewisser Unternehmen nicht verteidigen. Aber – ja, der Vertrag ist gültig, denn das Unternehmen hat umfänglich informiert. Es ist Ihnen überlassen, wie viel Zeit sie damit verbringen, das Vertragswerk zu lesen.
Die juristische Sprache verunmöglicht oft ein Verständnis des Geschriebenen.
Ich werde hier auch nicht die Juristen verteidigen. Die Ironie solcher Softwareverträge ist ja, dass sie nur für Anwälte absolut klar sind. Die juristische Sprache ist für Alltagspersonen überhaupt nicht klar. Also versuche ich in meinen Werken eine andere Sprache zu wählen. Ich bin schließlich auch Laie, ich habe nicht Jura studiert. Aber ich arbeite mit Juristen zusammen, um diese experimentellen, künstlerischen Verträge aufzusetzen. Aber es ist eine künstliche Sprache. Wir sind immer darauf aus, die Sprache sehr zugänglich und direkt zu halten. Man braucht keinen Juristen, um meine Werke zu verstehen.
Haben Sie keine Angst, dass eine Ausstellung, die sich mit Recht, Gesetz und Verträgen auseinandersetzt, Besucher abschreckt?
Ich hoffe nicht, dass die Leute von der Idee abgeschreckt werden. Ich hoffe, sie kommen unvoreingenommen. Das Recht verdient seinen trockenen Ruf nicht, es ist ein fantastisches, dynamisches Gebiet. Ich versuche, es den Leuten zugänglicher zu machen, indem ich damit spiele. Ich dehne den Rechtsbegriff aus bis an die Grenzen, sodass das Recht tut, was es nie zuvor getan hat.
Die Ausstellung Legal Fictions läuft noch bis 10. November im Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich
Carey Young wurde 1970 in Sambia geboren, sie lebt und arbeitet in London. Young arbeitet multimedial (Video, Installation, Fotografie ...), Werke von ihr findet man in der Tate und im Centre Pompidou
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.