Kohle bleibt planungssicher

Energie Erst 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Der Umweltbewegung ist das zu spät
Ausgabe 28/2020

Viele der Klimaaktivistinnen tragen T-Shirts, auf denen steht „FCK 2038“. Hier vor dem Deutschen Bundestag in Berlin. Die Aufschrift fasst zusammen, was die Bewegung von dem neuen Gesetz für den Kohleausstieg hält: Nichts. Um das kundzutun, ist Kathrin Henneberger extra vom Rheinland nach Berlin gereist. „Wir fühlen uns von der Politik verraten.“

Hinter ihr lassen zwei Kletterer von Greenpeace ein gelbes Banner vor dem Eingangstor des Reichstags herunter. Unter der Inschrift „Dem deutschen Volke“ ergänzt jetzt das Plakat den Schriftzug: „eine Zukunft ohne Kohlekraft“. Und die wird kommen. Spätestens 2038, so ist es nun Gesetzeslage. Zwar werden die ersten Kraftwerke bereits in den kommenden Monaten stillgelegt – bis 2022 wird bereits ein Viertel der Kraftwerke abgeschaltet. Der gesetzliche Fahrplan sieht jedoch ebenso vor, dass einige der Meiler noch bis 2038 weiter Strom ins Netz speisen dürfen.

Der gesetzliche Fahrplan: Die Klimaaktivistinnen weisen darauf hin, dass sich der Klimawandel nicht an Kompromisse hält. Er hat seinen eigenen Fahrplan. Politische Vereinbarungen hingegen, das wissen die Demonstranten hier, sind veränderbar. Denn hätten Aktivistinnen in den vergangenen Jahren nicht schon so manches Banner an Parteizentralen gehängt und so manchen Bagger in Kohlegruben besetzt, wie Ende Juni im Brandenburger Jänschwalde, dann gäbe es das Kohleausstiegsgesetz selbst jetzt womöglich noch nicht.

Doch am Tisch für den Fahrplan saßen eben nicht nur Klimaschützer, sondern auch die Braunkohlebetreiber RWE und LEAG. Ihnen sicherte die Regierung Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 4,35 Milliarden Euro zu – ein goldener Handshake für die beiden Unternehmen. Bevor ihre Kraftwerke vom Netz gehen, werden ihnen potenzielle künftige Gewinne ausbezahlt. Um rund zwei Milliarden Euro zu hoch sei diese Kompensation angesetzt, sagt Pao-Yu Oei, der für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mehrere Studien zum anstehenden Kohleausstieg erstellt hat: „Die Zahlungen basieren auf den Wunschvorstellungen der Unternehmen. Aber der Markt hat sich in den vergangenen zwei Jahren rasant verändert.“ Insbesondere die künftige Auslastung von Kohlekraftwerken werde von vielen Akteuren weiterhin deutlich überschätzt. Denn erneuerbare Energiequellen verdrängen den Kohlestrom zusehends und die steigende CO2-Bepreisung macht ihn zusätzlich unrentabel. So wurden im ersten Halbjahr 2020 über 50 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt, während die Stromproduktion aus Kohle innerhalb von drei Jahren auf 20 Prozent halbiert wurde, so der klimapolitische Thinktank Agora Energiewende.

Damit könnte der Fahrplan auch aus wirtschaftspolitischer Perspektive sowieso noch deutlich beschleunigt werden: Für den Wirtschaftsforscher Oei steht fest, dass der Ausstieg aus der Kohle marktbedingt schon viel früher kommen werde als 2038. Dass dennoch so viel Steuergeld an die Unternehmen ausgezahlt werden soll, ist für ihn daher unverständlich. „Jetzt muss darauf geachtet werden, dass das Geld zumindest in wirklich nachhaltige neue Arbeitsplätze investiert wird – nicht in neue Gaswerke“, sagt er.

Den Ausstieg vergolden

Wofür also werden diese enormen Entschädigungszahlungen ausgegeben? Das sei völlig unklar, monieren auch andere Umweltrechtsorganisationen, etwa Client-Earth. „Dass auch der Bundestag nicht weiß, wofür die Entschädigung gezahlt wird, ist demokratiepolitisch problematisch“, kritisiert deren Juristin Ida Westphal. „Außerdem ist mir schleierhaft, wie die beihilferechtliche Prüfung der EU-Kommission mit dieser Informationslage möglich sein soll.“ Denn bevor die öffentlichen Verträge, in denen die Zahlungen geregelt werden, durch den Bundestag gehen, muss sie die EU-Kommission abnicken. Sie prüft, ob die Vereinbarungen mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar sind.

Zwar hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einen Tag vor der Bundestagsabstimmung vergangene Woche noch ein Gutachten zu den Entschädigungszahlungen an die LEAG veröffentlicht, doch werden daraus die genannten Summen keineswegs schlüssig. So stellt sich die Frage, ob die Betreiber auch für die Beseitigung der Umweltschäden des Kohleabbaus einen Zuschuss erhalten sollen. Diese Schäden müssten nach deutschem Recht nämlich sowieso von den Betreibern getragen werden. Laut ClientEarth bestehe nun das Risiko, dass die Kosten auf die Öffentlichkeit abgewälzt werden könnten.

Gleichzeitig mit dem Gesetz zum Kohleausstieg wurde das Strukturstärkungsgesetz verabschiedet. 40 Milliarden Euro fließen in die betroffenen Regionen, wo sie die Energiewende unterstützen. Zum Beispiel in die Digitalisierung, die Wasserstoffinfrastruktur und in die Forschung rund um Batterienspeicherung. Auch öffentliche Arbeitsplätze werden bereits in die Kohleregionen verlagert. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hofft, dass auf diese Weise neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, bevor die alten wegfallen – eine Abfederung des Strukturwandels, die es so noch nicht gab in der Bundesrepublik. Einmalig sei auch der gleichzeitige Ausstieg aus Atom- und Kohleenergie. Der Minister spricht von einem Generationenprojekt.

Die junge Generation, die gegen den späten Kohleausstieg protestiert, sieht sich durch diese soziale Abfederung nicht besänftigt – sie hat vor allem das Klima im Blick, und damit ihre eigene Zukunft. Der schnellste Weg, CO2-Emissionen zu reduzieren, sei nun einmal der schnelle Kohleausstieg, das macht Fridays for Future seit 2019 deutlich. Trotz der massiven Proteste – 1,4 Millionen Menschen demonstrierten im September für ein schnelles Ende der Kohleverstromung – nahm in Nordrhein-Westfalen im Mai 2020 ein letztes Steinkohlekraftwerk den kommerziellen Betrieb auf. Insgesamt 18 Jahre soll es laufen.

FCK 2038. Der Aufdruck des T-Shirts wird wohl noch einige Zeit nicht an Aktualität einbüßen. Kathrin Henneberger, die Aktivistin vor dem Deutschen Bundestag, stellt sich auf einen jahrelangen Protest ein. Jetzt hat sie erst einmal einen intensiven Protestsommer 2020 vor sich. Henneberger zieht von Berlin weiter ins rheinische Kohlerevier, wo sie sich mittels Besetzungen gegen das Abbaggern und die Umsiedlung weiterer Dörfer einsetzen will. Und im September plant die Klimabewegung große Proteste im Rheinland. Henneberger jedenfalls gibt sich mit dem Enddatum der Bundesregierung nicht zufrieden: „Wir können uns wirklich auf niemanden verlassen, außer auf uns selbst.“

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