Berliner Smalltalk endet früher oder später beim Wohnungsmarkt. Immer kennt man wen, der dringend was braucht, erzählt bizarre Anekdoten von der Suche. Aber für Smalltalk habe ich keine Zeit. Ich brauche eine Wohnung für mich und mein Kind, und Wohnungssuche in Großstädten gleicht einem Vollzeitjob.
„Wie wir Kinder erziehen und aufziehen – darin müssen alle frei sein“, fordert die FDP. Ja, bitte! Das Wechselmodell soll Leitmodell werden: Kinder sollen nach einer Trennung bei beiden Eltern aufwachsen. Super! Und so gleichberechtigt. Nur brauchen Eltern dafür: mehr Wohnraum. Wie wir mit Kindern leben wollen, hängt damit zusammen, wie wir wohnen können. Der Wohnungsmarkt schreibt uns vor, wie wir leben müssen.
Ich erl
en.Ich erlebe selbst, was für eine finanzielle Belastung das Wechselmodell bedeutet. Ich habe über die Hälfte meines Einkommens für unsere beiden Zimmer gezahlt, für meines und das meiner Tochter. Nun brauchen wir etwas Neues. Als Teilzeit-Alleinerziehende mit prekärem Einkommen brauche ich gar nicht erst zu versuchen, eine Zwei-Zimmer-Wohnung in unserem Kiez zu finden. Erkläre ich den Vermietern, dass ich mit meinem Partner nicht zusammenlebe und mein Kind zu seinem Vater pendelt – der nicht mein Partner ist? Nein. Lieber bewerbe ich mich auf dem Papier zusammen mit einem der beiden Männer. Dann sind wir die gern gesehene Normalfamilie. Und beide Männer verdienen mehr als ich.Während ich suche, frage ich mich: Was ist mit Eltern, die jeden Abend, jede Nacht streiten, sich längst getrennt haben, aber nicht auseinanderziehen können, weil sie nicht das Geld dafür haben, zwei Wohnungen zu bezahlen? Was ist mit den Müttern, die von ihrem Partner geschlagen werden, aber nicht ausziehen können, weil sie keine Wohnung finanzieren können und die Frauenhäuser voll sind? Wenn die Ampel das Wechselmodell als Leitbild setzt, bedenkt sie dann, dass Familien- und Sozialpolitik auch Wohnungspolitik bedeutet?Frei sein in der Art, wie wir und unsere Kinder leben, das finde ich super. Aber über den Erfolg und Misserfolg der Wohnungssuche entscheiden das Einkommen, die (Nicht-)Zugehörigkeit zur Mittel- oder Oberschicht, die Hautfarbe, die Deutschkenntnisse. Die Wohnungsvergabe bleibt die subjektive Entscheidung der Wohnungsbesitzenden.Ich war, wie viele andere Eltern, eine der Ersten, die den Berliner Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne unterschrieben hat – um sie dann demokratisch zu verwalten, in öffentlicher Hand. Doch es regt sich Widerstand gegen diese Maßnahme. Ausgerechnet die SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey zögert, den Mehrheitswillen der Berliner Wahlberechtigten umzusetzen. Offenbar ist in den politischen Reihen kein Visionieren mehr möglich. Und ganz ehrlich? Das färbt ab.Ich habe fast verlernt, dass Wohnen auch ganz anders sein könnte. Stellt euch mal vor! Dass das Wechselmodell auch innerhalb eines Hauses stattfinden könnte, mit einem gemeinsamen Hof, der Treffpunkt mit den gegenüber wohnenden Partner*innen oder Co-Eltern ist. Dass man bei Regen in die Gemeinschaftsräume gehen könnte, unten im Mietshaus, wo Kinder die Nachbarskinder treffen und Eltern die Nachbarseltern, wo Kinderzeit eine kollektiv genutzte Zeit werden könnte – über die isolierte und oft einsame Kleinfamilie hinaus. Dass ein Zuhause zu finden kein Kampf sein muss. Meine Güte, was gäbe das neuen Stoff für Berliner Smalltalks!Placeholder authorbio-1