Dass bereits Stunden, bevor das TV-Duell am vergangenen Sonntagabend überhaupt beginnt, eine Google-Anzeige den Sieg des SPD-Kandidaten Martin Schulz verkündet, bringt das Tempo der medialen Berichterstattung auf den Punkt. Die Medien kommen der Realität zuvor und umwabern sie als zeitloses Hintergrundrauschen. Das Werk der Künstlerin Anne Imhof, die dieses Jahr den Goldenen Löwen auf der Biennale gewann, offenbart das dialektische Wesen unserer medialisierten Öffentlichkeit. Die Gegenüberstellung liegt nicht sofort auf der Hand und doch lohnt an dieser Stelle der Vergleich von Kunst und politischer Berichterstattung. Imhofs Performance ermöglicht ihren Zuschauern ein Moment auf der Meta-Ebene unserer Medienwelt: Die Selbstvergegenwärtigung in einem lebendigen Denk-Bild. Denn eines haben die beiden Performances – die Medialisierung des TV-Duells zwischen den beiden Kanzlerkandidaten und Anne Imhofs Faust – gemein: Ihre Dialektik hinterlässt ein zutiefst menschliches Gefühl der Melancholie.
In einem transparent verglasten Raum vollführen schwarz gekleidete junge Menschen eine Choreografie. Sie sitzen auf gläsernen Podesten, kämpfen, sperren ihre Münder auf oder bauen mit Spiritus Flammenbahnen aus Wattebäuschen. Eine der Protagonistinnen hat eine Kamera bei sich. Sie verfolgt das Geschehen durch die Linse und drückt alle paar Sekunden ab. Wie ein magnetischer Mob gruppieren sich die Zuschauer im Deutschen Pavillon immer wieder neu um die Performer im Raum. Mit dem stets gezückten Smartphone dokumentieren sie dabei fortwährend das Geschehen.
Die Künstlerin Anne Imhof versteht sich selbst als Malerin. Die „Bildwerdung des Lebendigen“ ist das, was sie interessiert. Wie die Philosophin Juliane Rebentisch schreibt, erzeugt ihre Arbeit dialektische Bilder. Die lebendigen Malereien, die Imhof mithilfe der Körper der Performer zeichnet, sind gleichzeitig offen und verweigern sich. Sie sind kitschig und menschlich. Sie changieren zwischen Oberflächlichkeit und Tiefgründigkeit, sind im Gange und schon wieder vorbei. Sie sind so zeitlos wie die Medienblase um den Politikzirkus. Diese Dialektik hinterlässt ein Gefühl diffuser Unsicherheit, das sich auch durch die wabernde Zeitlosigkeit der Vor-, Nach- und Liveberichterstattung politischer TV-Events einstellt. Soll man lachen oder weinen und welches Spiel wird hier gespielt?
Imhofs Performer schauen die Besucher an, aber verweigern die Kommunikation. Man befindet sich inmitten der performativen Handlungen und wird trotzdem nie ein Teil davon sein. Die Mächtigen bleiben für sich. Während des Live-Streams des Ersten auf Facebook ploppen sekündlich neue Kommentare auf. Abwechselnd bewegen sich wutschnaubende Emoticons, Like-Buttons und Herzen in Wellenlinien über den unteren Bildschirmrand und erzählen in Live- Übertragung von den Reaktionen der Zuschauer auf den gerade sprechenden Politiker. Meinungen werden unter dem Hashtag #TVDuell geteilt, die Parteien liefern fehlende Informationen nach, loben ihren Kandidaten und interpretieren in Dauerschleife. Aus den hinteren Reihen im Deutschen Pavillon lässt sich das Geschehen auch parallel über den Smartphone-Bildschirm der vor einem filmenden Besucher betrachten.
Wenn Merkel oder Schulz während des TV-Duells sprechen, erscheinen ihre Wörter gedanklich schon als farbig hinterlegte Zitate, sind ihre Körper bereits gebannt als lebendige Abbilder ihrer Umfragewerte zu Kompetenz und Bürgernähe nach der Show. Das Gegenwärtige wird im Moment des Sichvollziehens vorausgesehen, da es gleichzeitig auf Twitter und Facebook sowie wenige Augenblicke später in Fernsehen und Online-Medien besprochen und bewertet wird. Es geht bei Imhof, genau wie bei der politischen Berichterstattung, nicht um eine Entfremdung von den Dingen.
Es geht um die Entfremdung von sich selbst, als Individuum und als politischem Entscheidungsträger.
Imhofs dialektische Bilder, ebenso wie die Zeitlosigkeit der politischen Berichterstattung, provozieren ein Vakuum, welches die Melancholie unserer medialisierten Welt offenbart. Ein diffuses Unbehagen macht sich breit. Ein Vakuum, in dem kaum Luft für eigene Gedanken und Interpretationen bleibt. Und eines, das deutlich macht, inwiefern das Private – das scheinbar intime Zwiegespräch mit dem Smartphone – gerade deshalb öffentlicher und politischer denn je ist.
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