„Das fehlende Drittel“ in Hannover (links), Fassadenkunst als Marketing in Berlin (rechts)
Foto: Cuadro Frezca, Schöning/Imago Images
Auf der grauen Fassade des elfstöckigen Hauses prangt eine idyllische Berglandschaft. Im Tal saftig grüne Wiesen, eine hübsche Hütte, Tannen und Laubbäume. Darüber türmen sich bläuliche, spitze Bergketten auf. Der Himmel ist blau. Aber nur auf zwei Dritteln der Fassade. Das letzte Drittel ist nicht bemalt, der einzige Farbtupfer im tristen Grau besteht darin, dass sich die Bergkette hier in die rote Zick-Zack-Linie eines in schwindelerregende Höhen steigenden Aktienkurses verwandelt.
Der Unmut über steigende Mieten drückt sich dieser Tage auf vielerlei Weisen aus. Während in Berlin am vergangenen Samstag Tausende Menschen auf der Straße demonstrierten und demnächst der Volksentscheid über die Enteignung der Deutsche
Deutsche Wohnen ansteht, sorgt in Hannover dieses Wandbild an einer Hochhausfassade im Stadtteil Roderbruch für Diskussionen.Die strahlende Sonne ist am blauen Himmel nicht zu sehen, dafür das Logo des Immobilienkonzerns Vonovia, dem das Haus und damit auch die Fassade gehört. Das fehlende Drittel – so lautet der Titel des 34 Meter hohen und sechs Meter breiten Wandbildes, welches das Berliner Künstler*innenkollektiv Cuadro Frezca im Rahmen des Street-Art-Festivals Hola Utopia an die Fassade des Mietshauses am Osterfelddamm 39 gemalt hat. Mit dem Titel und dem freigelassenen Drittel der Wand will das Kollektiv auf den Anteil pro Euro der Miete aufmerksam machen, die das seit 2013 an der Börse notierte Unternehmen Vonovia an die Aktionär*innen als Dividende abführt. Nach Berechnung der Künstler*innen rund 37 Cent.Die idyllische Gipfellandschaft, die in einer Börsenkurve endet, verbildlicht das Dilemma, dass insbesondere börsennotierte Immobilienkonzerne auf dem Rücken ihrer Mieter*innen profitmaximiert agieren, um ihre Aktionäre zu befriedigen. Die Leerstelle fragt, ob mit Wohnen Mehrwert erzielt werden sollte und wofür das Geld ansonsten eingesetzt werden könnte. Das von Konzernchef Rolf Buch gemanagte Unternehmen Vonovia besitzt etwa 415.000 Wohnungen, davon gut 354.000 in Deutschland. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete es einen Umsatz von über vier Milliarden Euro. Wenn die Vonovia den Branchenzweiten Deutsche Wohnen erfolgreich übernehmen sollte, kämen die beiden einzigen Immobilienkonzerne im Leitindex Dax auf rund 550.000 Wohnungen im Wert von mehr als 80 Milliarden Euro und mit einem Börsenwert von 48 Milliarden Euro. Mit vereinter Kraft könnten sich die beiden umso stärker gegen Mietpreisregulierungen und andere Markteingriffe des Staates stemmen.Als das Wandbild von Cuadro Frezca fertiggestellt war, machten die Verantwortlichen der Vonovia gegenüber den Künstler*innen deutlich, dass Kunst zwar frei sein solle, aber neutral bleiben müsse, und dass ihr Bild so nicht bleiben könne. Für sie sei dies nicht der richtige Rahmen, um über Wohnungspolitik zu diskutieren. Sie würden eine Darstellung ihres Aktienkurses auf keinen Fall dulden. „Die Vonovia darf die Fassade des Hauses theoretisch komplett überstreichen, weil es ihnen gehört“, sagt Jo Preußler, Mitglied des Kollektivs, „aber verändern dürfen sie es nicht. Das wäre ein Eingriff in das Urheberrecht.“ Nach dem ersten Gespräch mit der Vonovia ging das Kollektiv davon aus, dass der Konzern ihr Bild „zensieren“ möchte. Schließlich erklärten sich die Verantwortlichen aber doch bereit, erneut ins Gespräch zu gehen, und trafen sich an diesem Montag zu erneuten Verhandlungen. Überraschenderweise gelang es dem Kulturbüro der Stadt Hannover, das an der Finanzierung des Festivals beteiligt war, die Vonovia zu überzeugen, dass das Wandbild unverändert stehen bleiben kann. Argumente dafür seien einerseits die Kunstfreiheit und das Urheberrecht gewesen. Schwerer wog vielleicht noch der drohende Imageschaden, hätte Vonovia das Bild komplett überstreichen lassen. Kollektivmitglied Aljoscha Begrich hat Zweifel, ob die Vonovia weiterhin an einer öffentlichen Debatte um Mietenwahnsinn und kritische Kunst teilnehmen wird.Gegenteil von „Artwashing“„Das Wichtigste für uns ist, die Diskussion um die Frage in Gang zu setzen, was mit dem Anteil der Miete passiert, der als Dividende ausgeschüttet wird“, sagt Begrich, und Preußler fügt hinzu: „Das ist ein Teufelskreis: Höhere Dividende bedeutet höhere Miete.“ Die Mieter*innen des Hauses hatten über die horrenden Nebenkosten geklagt und ihnen gesagt, dass der Mensch hier nichts zähle. Danach entschieden die Künstler*innen, in der jetzigen Form zu malen. Das Paradox liegt für sie darin, dass ein Aktienunternehmen Profit machen muss, während ein Immobilienkonzern sicherstellen sollte, dass die Mieter*innen sich ihre Wohnungen zu transparenten Preisen und auf Dauer leisten können. Das Mehrwertstreben eines Börsenunternehmens und der Wunsch nach bezahlbarem Wohnraum in der Realität der Mieter*innen klaffen – je weiter die rote Zick-Zack-Linie steigt – immer weiter auseinander.Die Beiträge der anderen Teilnehmenden des Street-Art-Festivals seien nicht so kritisch gewesen, oder anders gesagt, hätten nicht für Aufruhr gesorgt. „Wir hätten das Bild niemals gemalt, wenn die Vonovia uns beauftragt hätte“, sagt Begrich. „Es gibt hier einen Unterschied zwischen dem freien Kunstwerk und einem Auftrag.“ Tatsächlich habe die Vonovia zwar nicht nur die Fassade zur Verfügung gestellt, sondern auch teilweise das Gerüst mitfinanziert. Es sei aber nicht klar, wie hoch der Beitrag gewesen sei, und auf der Website des Street-Art-Festivals Hola Utopia taucht der Immobilienkonzern nicht offiziell als Sponsor auf. Weil die Vonovia einen Teil finanziert hat, will das Kollektiv ein Drittel ihres Honorars für ein Anwohnerfest vor dem Haus abgeben. „Damit auf keinen Fall Vonovia-Geld an das Kollektiv geht“, erklärt Begrich.Dabei ist die Finanzierung von Kunst und Kultur durch Immobilienkonzerne keine Seltenheit. Diese Reinwaschung von der Verantwortung für die Berliner Wohnungskrise mittels Kunstsponsoring wird auch unter dem Begriff „Artwashing“ subsumiert. Fährt man in Berlin durch Moabit, lassen sich entlang der Heidestraße an den Fassaden der Wohnbauten der Adler Real Estate Graffitis bewundern, die sich leicht als Marketing identifizieren lassen. „Coole Location“ steht in der Sprechblase des Strahlemanns in Jeansjacke mit Sonnenbrille und gelglänzender Turbo-Haartolle. Und die junge Frau mit To-go-Kaffeebecher in der Hand ruft begeistert: „Krass hier!“. Statt einer Signatur des Künstlers oder der Künstlerin findet sich in einer Ecke das Logo der Adler Real Estate.Ein anderes Beispiel ist das Berlin Mural Fest, ein Street-Art-Festival, das seit ein paar Jahren von Xi Design veranstaltet wird, einem Team um das Berliner Street-Art-Trio Die Dixons. Motto ist: „Wir machen Werbung zum Kunstwerk.“ Hier klingt schon das Paradox an, denn Street-Art ist ursprünglich weder dekorativ noch kommerziell.Neben dem Berlin Mural Fest geht auch die Zwischennutzung eines ehemaligen Volksbankgebäudes an der Nürnberger Straße im Jahr 2017 als temporäre Street-Art-Galerie mit dem Titel The Haus auf Xi Design zurück. Auftraggeber und Eigentümer war und ist die Immobilienfirma Pandion, die die Strahlkraft temporärer Kunst- und Kulturräume für ihr eigenes Marketing nutzt. Inzwischen befinden sich in dem Gebäude Luxusappartments. Auch die Zwischennutzung der ehemaligen Robbenund-Wientjes-Flächen an der Prinzen- und Ritterstraße in Kreuzberg wurde von der Pandion AG initiiert.Mit ihrem Wandbild in Hannover haben Cuadro Frezca nun gerade nicht beim Reinwaschen von der Verantwortung für unbezahlbares Wohnen geholfen. Für Begrich ist das allerdings nur der erste Etappensieg: „Nun geht es darum, dass die Vonovia auch ihr Geschäftsgebaren ändert. Und ich habe ihr schon gesagt: Ich fülle gerne das fehlende Drittel auf, wenn das passiert und sie das Geld der ausgezahlten Dividenden an die Mieter*innen zurückgeben.“Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.