Staatenlose Füße

Exil Batoul und Reem studierten Kunst in Syrien und jetzt in Berlin. Erster Schritt dort war ein Mappenkurs für Geflüchtete
Ausgabe 41/2017

Blutrote Granatapfelkerne, Gurken, pink eingefärbter Rettich und Brot stehen bereit. Gleichbeginnt hier eineFalafel-Performance. Arabische Kultur gegen deutsche Kultur. Wer am schnellsten Falafel rollen kann, gewinnt. Ausgedacht hat sich das die syrische Künstlerin Reem Awad. Die 25-Jährige ist seit gut einem Jahr in Berlin und leitet einen von FLAX (kurz für Foreign Local Artistic Xchange) initiierten Workshop für bildende Kunst. Das Netzwerk wurde Ende 2015 von der Sozialunternehmerin Lanna Idriss, der Malerin Katharina Grosse und dem bildenden Künstler Nasan Tur gegründet. Geleitet wird der Unterricht von Frauen für Frauen. Neben der Women Academy organisiert das Netzwerk Veranstaltungen zur Vernetzung neu in Deutschland angekommener Künstler, um den Austausch mit der Berliner Kunst- und Kulturszene anzustoßen.

Die Falafel-Performance läuft friedlich ab und die arabische Seite gewinnt. Wie viele Frauen jeweils zu ihrem Workshop kommen, weiß Reem vorher nicht: „Manche kommen regelmäßig, andere nicht. Wir laden alle syrischen Frauen ein, auch die, die vorher nichts mit Kunst zu tun hatten.“ Der Workshop gebe Frauen die Möglichkeit, etwas für sich selbst zu machen, abseits des hard life, das sei wie eine Kunsttherapie.

Italien als Ziel – vor dem Krieg

Wir sitzen um den großen Tisch in der Gemeinschaftsküche des Z/KUs, des Zentrums für Kunst und Urbanistik, das sich im ehemaligen Moabiter Güterbahnhof in Berlin-Mitte befindet. Die Räume hier werden für zwei- bis achtmonatige Aufenthalte an Künstler aus aller Welt und Stadtforscher vergeben. Von der Terrasse dringen arabische Sprachfetzen in die Küche. Drinnen mischen sich Englisch und Deutsch. Es riecht nach Kumin. Mit am Tisch sitzt Batoul Sedawi, eine Freundin von Reem. Die zwei Syrerinnen haben an der Foundation Class teilgenommen, die vom Künstler Ulf Aminde an der Kunsthochschule Weißensee ins Leben gerufen wurde. Das Projekt richtet sich an Künstler, die nach Deutschland geflohen sind oder einen Asylantrag gestellt haben und in ihrem Herkunftsland Kunst oder Design studierten oder studieren wollten. Die erste Projektphase beinhaltet Vorträge, Workshops und Exkursionen. Sie werden von Künstlern und Wissenschaftlern geleitet, die selbst nach Deutschland migriert sind. „Über das Erinnern im Kontext von Migration“ heißt eine Veranstaltung.

In der zweiten Phase erhalten die Teilnehmer Hilfestellung bei den Mappen, mit denen sie sich an Kunsthochschulen bewerben können. „Ich habe in Damaskus bereits sieben Semester Kunst studiert“, sagt Batoul. Mit ihrer Mappe wurde sie an der UdKangenommen und kann nun ab Oktober ihr achtes Semester beginnen. „Eigentlich war mein Plan, in Italien zu studieren. Aber das war vor dem Krieg. Es ist etwas anderes, ob du in eine Stadt kommst, weil du es geplant hast, oder ob du dazu gezwungen wirst. Es ist toll, aber es ist ein großer Unterschied.“

455 Tage habe die Reise gedauert. Batoul hat die Flucht für eine Arbeit in ihrer Bewerbungsmappe rekonstruiert. My Way ist der Titel. Auf ein Blatt Papier hat sie eine blaue Linie gemalt. Von unten rechts nach links oben und dann wieder ein Stück zurück, bis die Linie kurz über dem Zentrum des Blatts endet. Die Linie wird von Symbolen unterbrochen: einem Auto, Flugzeug, Bus. „Das Zelt steht für Flüchtlingsunterkunft.“ Es gibt Symbole für eine Kirche, Handschellen. „An der Grenze von Dänemark zu Deutschland wurden wir von der Polizei festgenommen.“ Batoul verbrachte eine Nacht im Gefängnis. In welchem Ort genau, weiß sie nicht mehr. Die Punkte, die Legende und die Linie – sie vermitteln Klarheit und geografische Genauigkeit. In Batouls Kopf aber schwirren andere Gedanken umher als Ortsnamen. In einer zweiten Karte weiß sie das mithilfe der gleichen Linie, aber einer anderen Legende, auszudrücken: „Ich habe syrische Bekannte und von dort Geflüchtete gefragt, welche Assoziation sie mit welchen Ländern verbinden. In der Legende steht für die Türkei „Schmuggler“, für Italien und Griechenland „Polizei und Gefängnis“. Von einem Punkt aus, der das Meer symbolisieren soll, schnellt eine Linie ganz nach oben zum Rand des Blatts: „Die steht für den Himmel.“

Auch Reem hat schon in Aleppo Kunst studiert, bevor sie nach Berlin gekommen ist. Während die anderen beim Aufräumen in der Küche mit Schüsseln klappern, erzählt sie: „In Syrien habe ich viel mit Ton gearbeitet, das war klassischer. Die Professoren haben uns immer strenge Vorgaben gegeben. Hier in Berlin mache ich alles, was möglich ist. Für meine Mappe habe ich verdorbene Früchte fotografiert. Ich arbeite jetzt organischer, mit Holz und Gips und toten Fischen. Das sind Studien über Zeit und darüber, wie die Zeit Dinge beeinflusst und sie sich irgendwann selbst auflösen.“

Nacht im Gefängnis

Auf ihrem Handy hat sie Fotos von der ersten Arbeit, die sie in Berlin gemacht hat. Es sind Gipsabgüsse von ihren eigenen Füßen. „Sie sind das Symbol für den Weg von Syrien hierher, den ich zu Fuß und mit dem Boot zurückgelegt habe. An der Oberfläche meiner Arbeit liegt oft Humor, doch dahinter stehen traurige Geschichten.“

Aufgewachsen ist Reem in Aleppo, ihre Eltern kommen aus Palästina. Ihre dunkelbraunen Augen sind schmal, sie spricht schnell und bestimmt: „Mein Vater hat Palästina 1948 verlassen, wir wollten keinen syrischen Pass, konnten auch keinen palästinensischen Pass bekommen, also bin ich staatenlos.“ Mit ihrer Mappe aus der Foundation Class hat sie nun auch einen der begehrten Plätze an der UdK bekommen.Nicht nur FLAX und die Kunsthochschule Weißensee bieten Projekte für Künstler im Exil an. Auch an der Universität der Künste gibt es eine Interkulturelle Studienvorbereitung, eine Studienberatung auf Arabisch und Farsi und eine Gruppe zur Mappenberatung. An diesem Common Ground Art Lab hat Batoul einige Male teilgenommen. In wöchentlichen Treffen während des Semesters zeichneten und malten die Teilnehmer zusammen, besuchten Museen und bekamen Fragen zur Mappe beantwortet. Eine strategische Zusammenstellung der Bewerbungsunterlagen wird hier aber nicht angeboten. Das wiederum bietet die Kunsthochschule Weißensee an.

„Außerdem wurde uns bei bürokratischen Aufgaben und dem Ausfüllen von Formularen geholfen, die es meist nur auf Deutsch gibt. Für mich ist die Foundation Class das perfekte Projekt“, sagt Batoul. „Sie arbeiten mit uns als Studentinnen, nicht als Flüchtlinge.“ Reem fügt hinzu: „Für uns ist es sehr wichtig, dass Labels wie Flüchtling oder Migrantin nicht im Vordergrund stehen oder gar nicht erst benutzt werden. Vom ersten Tag an wurde uns mitgeteilt, dass es Medien gibt, die auf diese Weise über uns schreiben wollen werden. Aber uns wurde gesagt, dass wir uns auf unsere Arbeit und uns selbst konzentrieren sollen. Wir haben uns wie zu Hause und in Sicherheit gefühlt. Die Lehrer an der Kunsthochschule Weißensee haben ihre Hilfe und ihr Engagement nicht ins Rampenlicht gerückt, nicht von uns profitiert. Das ist uns wichtig.“

Alicja Schindler hospitiert beim Freitag

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