Als wär's ein Stück von mir

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Manchmal lese ich etwas, und es trifft mich tief im Herzen. So ging es mir heute morgen mit Kübra Gümüsays Kolumne in der taz: Beobachtet. Sie beschreibt an drei Beispielsfällen aus ihrer Bekanntschaft, wie sich die Beobachtung von jungen Muslimen durch den Verfassungsschutz auf deren ganz normales Leben auswirkt. Sie hat dabei ganz simple Ereignisse ausgewählt, nichts besonders hartes. Keinen Fall wie den, über den ich vor kurzem schrieb. Die Kommentare sind teilweise gehässig, wie ich nicht anders erwartet hatte.

Es ist das Ergebnis eines langen Prozesses. In den achtziger, neunziger Jahren war es für niemanden ein Problem, sich in seiner Moschegemeinde, seinem Verein zu engagieren. Nach 2001 änderte sich das. Warnungen der Verbände verhallten ungehört – die Stigmatisierung völlig durchschnittlicher Vereinsmitglieder oder Moscheebesucher wurde fortgesetzt und verschärft. Jeder Aktive sah sich irgendwann vor die Wahl gestellt, seine Aktivitäten aufzugeben, zu verheimlichen oder die Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Welche Konsequenzen? Probleme bei Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder Einbürgerung, beim Nachzug des Ehegatten, bei der Arbeitssuche bis hin zu Kündigungen. Es gab sogar Kündigungen von Bankkonten – weil jemand quasi den falschen Namen hatte.

Viele nahmen und nehmen dies in Kauf. Sie sagen: wir fürchten nur Allah, nicht die Menschen. Dieses Statement, laut ausgesprochen, wird ihnen dann auch gerne wieder vorgeworfen. Ich respektiere jeden, der dies tut, kann aber die anderen auch nicht unbedingt verdammen.

Für die Älteren, wie für mich, war es hart, dem zusehen zu müssen. Gut ausgebildete, vorbildliche junge Muslime rannten gegen Wände. In einem Land, das viele von ihnen für IHR Land hielten.

Die Vereine und Moscheen kämpfen mit den Folgen dieser Entwicklung: trotz Mitarbeit werden viele nicht offiziell Mitglieder, um ihre Namen nicht bekannt geben zu müssen. Im Gegenzug wird dann den Verbänden vorgeworfen, sie verträten viel weniger Menschen als sie angeben.

Offizielles Auftreten, die Übernahme von Führungspositionen leisten sich nur die, die damit rechnen, dann „verbrannt“ zu sein. Dauerhaft, manchmal werden Dinge von vor zwanzig Jahren ausgegraben, um jemandem zu schaden.

Manchmal, wie einer von Kübras Fällen richtig schildert, reicht auch Verwandtschaft. Hier wurde die Sippenhaft wieder eingeführt. Daher überlegt sich mancher, mit wem er Kontakt haben will, mit wem nicht. Oder, wie ich, vermeidet Kontakte auch zu Freunden, um diese nicht zu belasten. Das wurde mir gestern aus anderem Anlass bewusst. Mich hat der Verfassungsschutz auf diese Weise zu viele Freunde gekostet: nicht, weil sie sich von mir abgewendet hätten, sondern weil ich sie nicht mehr anrief oder ihnen schrieb, um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen.

Um all dies zu dokumentieren, und auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat der Verfassungsschutz ausreichend Personal. Ergebnis der Beobachtung: keines. Seit fast zwanzig Jahren. Die sogenannten Erfolge haben alle nichts mit normalen Moscheevereinen zu tun, von zweifelhaften Anstiftern einmal ganz zu schweigen.

Aber in Deutschland herrscht Religionsfreiheit.

Dieser Artikel erschien zuerst auf meinem Blog.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Alien59

Nächster Versuch. Statt PN: alien59(at)live.at

Alien59

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden