Babyboomer - 1959

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Als ich geboren wurde, war sozusagen die welt noch in Ordnung. Gut, den Kalten Krieg gab es schon, aber es gab – noch – keine Mauer an der deutsch-deutschen Grenze, keine Studentenkrawalle und keine Terroristen.

Meine Eltern, auch aus Kriegsgründen spät zum Heiraten und Kinderkriegen gekommen, spielten heile Welt. Hausfrauenehe, Beamtengehalt, kleines Haus mit Garten in einer Klein-Kleinstadt (Dorf ohne Landwirtschaft mit Stadtrechten), zuerst gemietet, später gekauft. Man nehme dazu zwei Kinderchen, die aber dann auch bitte sich entsprechend zu benehmen haben.

Was Nummer zwei aber nicht immer tat. Spielen mit Schmuddelkindern, vor allem mit Jungs, war teileweise erheblich lustiger als die dämlichen Brett- und Kartenspiele, und auch kein Baum zu hoch.

Wir waren diejenigen, die doch einen erheblichen wandel miterlebten: von der Ofen- zur Zentralheizung, vom wöchentlichen wannenbad zur täglichen Dusche, vom Röhrenradio zum fernseher – natürlich schwarz-weiß -, von der waschfrau zur waschmaschiene. Heute in Amman erinnere ich mich an Vergessenes, wenn ich Schwitzwasser wie Tränen die Fensterscheiben hinunterrinnen sehe – bei den modernen Doppelglasscheiben darf das ja nicht mehr.

Bei uns kamen Kirschen und Äpfel vom Baum, die Kartoffeln aus der Erde und die Erbsen stibitze ich roh aus den am Maschendraht rankenden Reihen. Im Winter konnten wir die Ski anschnallen und auf den Hängen neben dem Haus fahren, aber vor allem fallen üben.

Sonntagsausflüge und Familienbesuche begannen damit, das Auto, ein wirklicher Luxus, aus der Garage am Ende der Straße zu holen – unser Haus hatte noch keine. Auto – ein Lloyd. Kennt noch jemand diese Gefährte? Unser Lloyd, die Isetta der Bekannten – Originale, weit vor 2CV und Quatrelle. Sicherheitsgurte? Kindersitze? Wir hatten unsere Freiheit auf dem Rücksitz, auch auf langen Autobahnfahrten in die Ferien. Zum Schlafen durften wir uns lang legen.

Chauffiert wurden wir jedoch nicht. Selbst nach dem Wechsel auf die ein halbe Autostunde entfernte höhere Schule hieß es für uns, um sechs aufstehen, eine halbe Stunde zum Bahnhof laufen, bei Regen oder Schneetreiben, eine halbe Stunde im Bummelzug, ein halbe Stunde auf Schulbeginn warten. Wenn der Hausmeister gnädig war, in der Eingangshalle, nicht vor der Tür.

Politik fand im Fernsehen statt. Jeden Sonntag zum Sonntagsbraten: der Frühschoppen mit Werner Höfer als Gastgeber. Meine intensivste Erinnerung daran: Schweigegebot und ausgiebige Langeweile. Interessanteste Teilnehmerin: eine indische Journalistin im Sari. Zwar nicht in Farbe, aber doch sehr von den Herren mit Anzug und Krawatte abstechend.

Kommentare meines Vaters, oft recht ungehalten. Brandt – den ich später sehr verehrte – mochte er nicht, Wehner oder gar Schuhmacher noch viel weniger. Strauß allerdings war auch nicht angesehen bei ihm. Die damaligen FDP-Politiker dürfte er mehr geschätzt haben. Was er wählte, verriet er meist nicht, zumindest nicht uns Kindern.

1968? Ich war neun. Wir hatten gerade ein Haus gekauft, Umbau, Umzug – wenn auch nur einige Hausnummern weiter - , mein zweites, drittes Schuljahr, das waren die Themen, Ohnesorg, Studentenbewegung mögen über den Bildschirm geflackert und von meinem Vater ungehalten kommentiert worden sein, wurden mir aber erst viel später bewusst. Die berühmten 68er waren für mich immer die Generation vor mir.

1972 – Olympia-Attentat. Als Turnerin natürlich begeisterte Zuschauerin der Spiele ein Schock für eine Dreizehnjährige aus einer künstlich heilen Welt, dass Menschen einander umbringen. Kriege fanden doch nur in Erzählungen längst vergangener Tage oder weit entfernt in den Nachrichten statt.

Aktuelles wurde auch in der Schule in dieser Zeit nicht wirklich viel diskutiert. Zeitfragen wie Feminismus waren eher ein Thema für Referate – mit meiner Realität hatten sie nichts zu tun.

Und dennoch lernte ich irgendwo, nicht mehr alles, was man mir so fertig servierte, als gegeben hinzunehmen. Der „deutsche Herbst“ kam. Biedermann hätte am Liebsten die Todesstrafe für die RAFler wieder eingeführt. Mit taten die Ermordeten leid, aber ein wenig wurden mir die Auswüchse des Systems bewusst. Kontrolle aller barzahlenden Stromkunden, man landete bei braven Omis.

Der Radikalenerlass ließ einige unserer wirklich guten, jüngeren Lehrer sehr vorsichtig werden. Vielleicht merkte ich mehr davon, weil ich mich mit den Jahren ihnen mehr anschloss als meinen Klassenkameraden. Tochter „alter“ Eltern, Zugezogene, mit zu guten Noten, um beliebt zu sein, war ich oft mehr Hassobjekt und Projektionsfläche denn Kameradin. Noch dazu Bücherwurm, waren meine Welten oft nicht die der anderen. Bravo, Disko, Schminke dezimierten mein Taschengeld nicht.

Meine Lehrer waren mir verständlicher – Referendare oft eher ein Objekt meines Mitleids, mit guten Ratschlägen und manchmal etwas Trost zu versorgen.

Als die Nachricht der Stammheimer Selbstmorde öffentlich wurde, besorgte ich mir ausländische Presse. Der deutschen glaubte ich nicht mehr uneingeschränkt.

Dieser Text verdankt sein Entstehen Katharinas blog über die 68er. Beim Schreiben merke ich, wie viel ich unbeschrieben lasse, um nicht den Rahmen dessen zu sprengen, was als blog noch gelesen wird. Es gäbe noch viel zu sagen, aber nicht hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Alien59

Nächster Versuch. Statt PN: alien59(at)live.at

Alien59

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