Halal - parallel, aber nicht koscher

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Obwohl es in Deutschland erheblich mehr Muslime als Juden gibt, habe ich schon oft festgestellt, dass der Begriff „koscher“ weit bekannter ist denn das islamische „halal“. Beides bezeichnet vor allem Lebensmittel, die den religiösen Geboten entsprechen. Halal ist aber für sehr viele Deutsche so gar nicht „koscher“ – im Sinne von akzeptabel. Nicht nur deshalb, weil die Inhalte tatsächlich nicht völlig identisch sind*, sondern weil nur dem muslimischen Begriff mehr und mehr der Ruch der verfemten Parallelgesellschaft anhaftet. Und die, so die Mehrheitsmeinung, ist ja abzubauen, zu vermeiden – die muslimische Variante, wohlgemerkt. Wir reden hier nicht über Japaner oder gar über Juden.

Und so gibt es immer mal wieder empörte Aufschreie, wenn ein Betrieb oder Wirtschaftszweig sich aus Gründen der Kunden-Acquise im islamischen Bereich um ein Halal-Zertifikat** bemüht, oder, wie vor kurzem, in Frankreich einige Schnellrestaurants angeben, nur noch Halal-Fleisch zu verwenden, damit auch Muslime dort unbesorgt essen können. Dagegen will wohl sogar der Bürgermeister klagen. Warum, ist mir recht unbegreiflich, denn weder wird jemand gezwungen, dort zu essen, noch würde – außer für Juden – ein Nicht-Muslim gegen ein Verbot verstoßen, wenn er halal geschlachtetes Fleisch zu sich nähme.

Es ist interessant, dass nach mehr als vierzig Jahren Einwanderung von Muslimen das Thema islamkonforme Produkte zunehmend diskutiert wird.

In den ersten Jahren kümmerte sich kein Mensch darum. Die türkischen Gastarbeiter dachten teilweise anfangs überhaupt nicht darüber nach, weil sie sich kaum vorstellen konnten, was alles in Europa nicht halal war, und begnügten sich damit, lediglich – soweit sie es bemerkten – kein Schwein zu essen. Viele für sie notwendige Lebensmittel wurden lange Zeit aus dem Urlaub mitgebracht – wer kann sich aus den siebziger Jahren nicht an die überladenen Ford-Transits auf den sommerlichen Autobahnen erinnern? Auf die Idee, daraus ein Geschäft zu machen, neue Kunden durch ein auf sie abgestimmtes Import-Angebot anzuwerben, kam von den größeren Lebensmittelläden niemand. Diese Menschengruppe existierte für das Marketing nicht, meist war man noch froh, wenn sie in den deutschen Läden nicht zu sehen waren.

Als dann die ersten Gastarbeiter einen Status erwarben, der ihnen auch eine selbständige Tätigkeit erlaubte, gleichzeitig viele andere Arbeitsplätze wegfielen, gab es dann mehr und mehr rührige Menschen, die zunächst im Kleinen, später immer umfangreicher, Geschäfte, auch Produktionen, eröffneten und den Bedarf ihrer Landsleute zu decken suchten (was i.Ü. natürlich auch für die italienische, spanische, griechische Community gilt). Von manchen deutschen Käuferschichten wurden diese Lädchen, wo man das erwerben konnte, was man in den Ferien im Ausland kennen gelernt hatte, auch gerne frequentiert. Es gab – oft wegen Unkenntnis und Unerfahrenheit – oft Anfangsprobleme, aber mit der Zeit etablierte sich hier ein ganz neuer Wirtschaftszweig, der über Jahre hinweg wuchs und florierte.

In den Zeiten schlechten Konsums regte sich allmählich bei den größeren einheimischen Unternehmern der Neid: ansehnliche Umsatzzahlen erlaubten es dieser Konkurrenz, eine nicht unbeträchtliche Zahl an Kunden weitgehend zu binden, die dann für sie wegfielen. Und so wurde versucht, mit vielen Jahren Verspätung in diesen Markt einzudringen, oft mit Reklame in türkischer Sprache – was bei der nachwachsenden Generation oft auf Unwillen stieß: das hätten die sich mal vor dreißig Jahren überlegen dürfen.

Äußerst misstrauisch beobachtet werden diese Bestrebungen jedoch einerseits von der rechten politischen Flanke (die Polemiken gegen alles, was halal ist, sind lesenswert, wenn man sich mal wirklich ekeln will), und andererseits von Teilen der Politik, die sich nie um die Borniertheit der Wirtschaft gekümmert hat, als diese es unterließ, die Angeworbenen als Kunden zu sehen, nun aber die aus diesem Grund entstandene ethnische Wirtschaft als Ausdruck der Parallelgesellschaft am liebsten abgeschafft sähe. Der einheimische Handel hat jedoch sehr spät begriffen, dass dieses Marktsegment zu groß ist, um gänzlich darauf verzichten zu können, und kämpft mit sogenanntem Ethno-Marketing.

Politisch stoßen diese beiden Richtungen nun zunehmend aufeinander. Das könnte, wie in Frankreich nun beispielhaft zu sehen, noch recht interessant werden.

*Die jüdischen Vorschriften sind um einiges strenger, weshalb eher Muslime koscher kaufen (in den USA, da dort ausgiebig koscher zertifiziert wird, sehr oft), als Juden halal. Soweit die türkischen Läden aber z.B. gelatinefreie Produkte anbieten, sind die auch für die jüdische Community interessant. Überhaupt gibt es in diesen Fragen recht viele Berührungspunkte, meist ohne öffentliche Diskussion.

**Über die Zertifizierung müsste ich einen eigenen Artikel schreiben, das soll hier grad noch nicht das Thema sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Alien59

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Alien59

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