Alpträume.
Ich bin wieder im Punjab. Punj heißt fünf, und Ab heißt Wasser – auch Strom. Das Land der fünf Ströme, aufgeteilt in Pakistan und Indien.
Ich träume, wieder dort zu sein, auf meinem Charpoi im Innenhof des alten Bauernhauses schlafend. Der Cooler macht einen grausamen Lärm, aber in seiner Zielrichtung zu schlafen ist angenehmer als im Gästezimmer, dort muss heute Nacht die Luft zum Ersticken sein, trotz des Deckenventilators.
Wie jeden Morgen warte ich auf das Geräusch, wenn Bibi in der Steingutschale Wasser und Mehl für die Frühstücks-Chapattis zu kneten anfängt – dabei hebt sich die Schale immer etwas vom Boden und fällt mit einem klopfenden Geräusch zurück.
Heute nicht. Es pocht, das Pochen scheint lauter zu werden, ich kann meine Augen nicht öffnen. Ich will schreien und kann nicht. Bibi muss doch dort drüben neben der Feuerstelle hocken, über den Teig gebeugt. Ich muss sie erreichen …. Die Geräusche verstärken sich zu einem Weltuntergangsdröhnen, es kracht, es bebt…
… wieder mal fuhr ein Schwertransport in aller Frühe zu dicht unter meinem Fenster vorbei, ohne Rücksicht auf Geschwindigkeitsbegrenzung. Die Beklemmung aus dem Traum weicht nach dem Aufschrecken nicht. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Ich stelle den Fernseher an.
Der Nachrichtensprecher meldet: Heute Morgen wurde ein Anführer der Al-Qaida in einem Dorf in der Nähe von S. durch einen Drohnenangriff der USA getötet. Der Sprecher der US-Armee zeigte sich zufrieden, dass man diesen wichtigen Mann endlich ausschalten konnte. Dabei sollen noch 8 weitere Personen ums Leben gekommen sein, wie einheimische Quellen berichten, die Bewohner des Hauses, in dem er zu Gast war. Es sollen vor allem Frauen und Kinder unter den Toten sein.
Mord. Sagt mein Herz. Und auch wenn es nicht dieselben Menschen wie in meinem Traum sind, für mich haben diese Toten ihre Gesichter. Mit ihnen sterbe ich einmal, zweimal – und lerne das Hassen.
Kommentare 21
Soll man zwar nicht tun, aber diesmal kommentiere ich meinen Text. Ich hoffe, dass er so verstanden werden kann, wie ich ihn - auch - gemeint habe: als Antwort auf verschiedene Afghanistan-Bundeswehr-Tod-Beiträge der letzten Tage.
Ich kann die Berichterstattung über deutsche Soldaten, die ja freiwillig dorthin gegangen sind, nur schwer ertragen, ohne laut zu fluchen. Ganze Landstriche wurden und werden mit Krieg überzogen, weil man ihnen angeblich die Segnungen der Demokratie und "Freiheit" bringen will. Die Anzahl der Toten übersteigt schon lange die, die die ach so fürchterlichen vorherigen Regimes gefordert haben. Die Freiheitsbringer sind Besatzer, die den Tod im Gepäck haben - wenn sie ihn nicht nächtens ferngesteuert über Unschuldige bringen.
Ich bin Partei in diesem Krieg - Neutralität kann ich daher nicht bieten.
so bekommt das ganze ein gesicht - und sei es in den nächtlichen 'gesichten', auch alpträume genannt - und nicht in den konterfeis deutscher soldaten, wie mh meinte.
Danke - dein Kommentar lässt mich hoffen, dass der Text sich so liest, wie ich ihn gemeint hatte. Selten noch war ich mir so unsicher.
Gesicht: ich hatte während des Schreibens die Datei meiner "Eigenen Bilder" offen. Bilder des Hofes, von Bibi an der Feuerstelle - von den Kindern und Müttern.
Ich zweifelte: sie dem Beitrag hinzufügen? Sie sind - Gott sei dank - am Leben. Ich habe es schon deshalb unterlassen.
Aber auch, weil ich zur Veröffentlichung, bisweilen selbst zum Anfertigen von Photos, ein gespaltenes Verhältnis habe. Oft lasse ich die Kamera in der Tasche, will kein Eindringling in fremde Intimsphäre sein, auch nicht als Touristin abgestempelt werden. Das tut mir später oft leid, weil ich die Bilder in meinem Gedächtnis gerne teilen würde.
Doch - hätte ich sie auf meiner Festplatte, würde ich es wohl wieder so machen wie heute: sie für mich behalten, die Privatheit des Hauses und der Gesichter nicht stören.
Dennoch....
sehr zutreffend kommentiert, born2bmild.
wer den eigenen laden nicht aufräumt und dann den des anderen durcheinanderwirft, muss ein held sein.
herrschaft hat viele gesichter, rahab und alien59.
mensch könnte auch sagen, die typen tragen verschiedene, meist freundliche, oft auch ernste masken. es genügt nicht, ihnen die maske vom gesicht zu reißen. denn das ist selbst nur eine maske.
mensch muss herrschaft durchschauen und nach möglichkeit durchkreuzen. jede herrschaft. denn jede herrschaft tötet täglich.
die rückführung aller herrschaft auf das unumgängliche maß an verwaltung ist fast unmöglich. dezentralisierung und globalisierung, scheinbar widersprüche, sind conditio sine qua non.
Eigentlich ging es mir nicht um Herrschaft bzw. deren Gesichter - sondern um die Gesichter der Opfer.
ach ne, h.yuren, dass herrschaft viele gesichter hat ist mir ja was völlig neues!
darum ging's jetzt allerdings mal nicht - erst wieder im nächsten theater. erst mal ging es darum, die fratzen 'aufzunehmen', die herrschaft in alpträumen annimmt.
kann ja sein, dass mensch das aus eigenem erleben kennen muß, um zu verstehen, wie das gemeint ist....
Ich wünsch mir noch viel mehr solcher Beiträge, die keine Nachrichten, sondern Gefühle darstellen. Das ist ein guter Weg, Menschen zum Nachdenken zu kriegen. Tagesschau? Die Welt in Zahlen.
Ich verstehe das so, dass hier der Krieg und das Morden "Gesichter" bekommt. Überhaupt bin ich gegenwärtig reichlich entsetzt über die patriotischen Ver"drehungen" und das Neusprech.
Gestern noch Helfer und Frauenbefreier jetzt Kämpfer gegen heimtückische Taliban. Das ist ein Krieg....der niemandem nützt, der keinen einzigen Terroranschlag verhindert und die Welt von nichts befreit außer von der Last der großen Waffenarsenale.
Und tatsächlich - er sät auch neuen Hass.
Das trifft es insgesamt sehr gut.
Es sind dann insbesondere die Krokodilstränen, die mir so bitter sind - bei den Opfern der Gegenseite steht immer so ein wenig "selbst schuld" hinter der Negierung ihrer Menschlichkeit.
.....ja, Du bist parteiisch in diesem Krieg
- und das ist wichtig.
Partei braucht Stimme
@alien
wenn ich deine Berichte, und insbesondere den obigen lese, und dann im deutschen TV und Print die journalistische Arbeit erschauen und erlesen darf, dann bekomme ich, abgesehen von löblichen Ausnahmen, Albträume.
Archi, es gibt eine ganze Menge von Dingen, die mich zornig machen. Dieser Alptraum beschreibt eines davon.
Mein Zorn jedoch ist nur der einer nicht mehr jungen Frau mit beschränkten Mitteln. Aber er hat mich gelehrt, die zu verstehen, die nicht einfach tatenlos herumsitzen wollen, weil es ihnen das Herz bricht.
Meine Waffe ist das Wort - wenn ich die Möglichkeit bekomme, meine Stimme vernehmlich zu machen, ist das alles, was mir bleibt.
Ich hoffe, du hattest trotzdem eine gute Nacht. Aber ich nehme deinen Kommentar mal als Kompliment und sage artig dankeschön.
Obwohl ich es eher unverdient finde - ich habe nur minimale Recherchemöglichkeiten, so bin ich nur eine Übermittlerin.
Ja, wir vergessen, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt. Die parteiischen, gekauften und manipulierenden Medien fokussieren längst nur noch auf eine, blenden die andere aus oder machen sie verächtlich. Aber jeder Mensch hat eine Geschichte und ein Gesicht, ist der Sohn, ist die Tochter seiner Eltern, die wiederum Söhne und Töchter ihrer Eltern sind. Das sollten, ja, das dürfen wir nie vergessen. Schön, wenn es solche Beiträge gibt, die uns das eindringlich vor Augen führen.
Sehr guter Beitrag. "Wir im Westen" betonen Menschenrechte, zeigen auf andere, ächten die Todesstrafe, achten das Leben mehr als alles andere - achten "das menschliche Leben"?! Aber nur im konkreten, nicht im entfernten, nicht wenn ich den Tod nicht sehe, den Mord, das Leiden. Ein Krieg ist ein Krieg, er macht Frauen zu Witwen, Kinder zu Waisen, bringt Eltern um ihre Söhne. Um aus einem Krieg etwas zu erschaffen, braucht es große Menschen, die Vergeben können, die Lehren ziehen und dem "Feinde" die Hand reichen. Das geschah in Europa nach 1945, und nochmals zwischen 1985 und 1991. Doch es wurde nicht gelernt. In Afghanistan zeigt sich, dass ein militärischer Sieg eine noch größere Niederlage nach sich ziehen kann. Wenn man die Menschen nicht gewinnt, wird man niemals einen Krieg gewinnen können. Wenn Frauen und Kinder erschossen werden, um einzelne Taliban oder Al-Qaida Kämpfer zu töten, dann sät man Leid und erntet Hass. Ein Wort geistert mir durch den Kopf, es sist zu offensichtlich: Vietnam.
alien, ist nicht das opfer untrennbar mit dem täter verbunden, insofern es ohne ihn das opfer gar nicht gäbe?
was ändert die klage, wenn nicht die frage nach den ursachen gestellt wird!
die wehklagen sind schon im gilgamesch-epos dokumentiert. da ist aber auch vom wüten der herrschaft des gilgamesch die rede. weil beides untrennbar zusammengehört.
"... und lerne das Hassen."
hass mag ein verständliches und begründetes gefühl sein. hass aber führt nicht über den hass hinaus. er bleibt einer situation, dem (schrecklichen) erleben verhaftet.
hass ist eine prima bedingung für neue opfer.
denke nach über die ursachen und bedingungen von wahn und gewalt! sonst bleibt es bei dem kreislauf des leidens.
Worte sind die stärkste Waffe......
Ich sah das gestern abend in der Tagesschau. Und da war es wieder: "ein Gegner, der heimtückisch und hinterhältig angreift" - "eine auf Hass basierende Ideologie" - das hätte glatt aus jedem NPD-Pamphlet oder von PI stammen können, was da ein hochrangiger Offizier von sich gab.
Die Verteufelung des Gegners - der SEIN Land verteidigt. Ich war so wütend....
Diese dösige Semantik bei den Trauerfeiern beweist nur die Einfältigkeit. Es geht in Bezug auf die Taliban längst nicht mehr um Afghanistan, - das wurde mit dem Wahlbetrug im vergangenen Jahr klar!
Es geht den verantwortlichen Politikern darum zu verhindern das die NATO einen Gesichtsverlust erlebt. Darum geht es auch nicht um die Menschen die im Verlauf dieser "Imagepflege" auf beiden Seiten sterben.
Hast ja recht - aber es ekelt mich trotzdem an.