Interview „Soлomiya“ mutet wie ein Lifestylemagazin an und erzählt dabei vom Krieg in der Ukraine. Beschönigt ihn das nicht? Ein Gespräch mit den beiden Fotografen Sebastian Wells und Vsevolod Kazarin
Collage aus der Reihe „Untitled Yet“ von Sasha Kurmaz (links). Lena, Kiew im Frühjahr 2022
Collage: Sasha Kurmaz, Foto: Vsevolod Kazarin & Sebastian Wells
Der Berliner Sebastian Wells trifft im Frühjahr in Kiew auf Vsevolod Kazarin. Die zwei Fotografen verbindet eine Frage: Wie stellen wir die junge Generation der Ukraine dar, zu der auch Kazarin gehört? Eine Generation, deren Coming-of-Age von einem brutalen Angriffskrieg geprägt sein wird, deren Alltag parallel dazu aber ohne Unterlass weiterläuft. Entstanden ist so das Magazin soлomiya („Solomiya“).
der Freitag: Herr Wells, Sie sind im April trotz des Kriegs nach Kiew gefahren. Warum?
Sebastian Wells: Ich war sehr frustriert von der Situation. Ich mache viel Dokumentarfotografie, war in vielen Krisensituationen, aber noch nie zuvor in einem Krieg. Natürlich habe ich mich gefragt: Was kann ich als Fotograf mit meiner Kamera machen? Was kann ich zeig
ch habe ich mich gefragt: Was kann ich als Fotograf mit meiner Kamera machen? Was kann ich zeigen? Ich bin nach Kiew, ohne feste Idee oder Erwartung, und dann habe ich dort nach zwei Tagen Vsevolod getroffen. Wir waren in einer ähnlichen Situation, mit den gleichen Fragen. Also haben wir eine Kollaboration begonnen und Fotos von jungen Ukrainer:innen auf der Straße gemacht. Wir haben sehr bewusst entschieden, wo wir die Leute fotografieren, in welcher Pose und vor welchem Hintergrund.Vsevolod Kazarin: Was unsere Fotos von anderen Kriegsbildern unterscheidet, ist, dass wir nicht zeigen, was bereits verloren ist, sondern was wir verteidigen. Die meisten jungen Leute in den Bildern haben die Kämpfe nicht erlebt, keinen Artilleriebeschuss wie in Butscha oder Mariupol. Trotzdem müssen sie ihren Alltag im Kriegszustand weiterleben.Sie haben sich entschieden, Ihre Protagonist:innen in ihrem Alltag zu zeigen. Gerät das Leid des Kriegs dadurch nicht in den Hintergrund?Wells: Wir haben das viel diskutiert, und ja, es kann provokativ sein, nicht die Verluste der letzten Wochen und Monate zu zeigen. Aber die Porträts sind nicht das Einzige, was soлomiya zeigt, andere Künstler:innen haben dazu beigetragen, und ihre Ansätze unterscheiden sich von unserem. Aber wir wollten Stimmen aus der Ukraine in die westliche Welt bringen, mit denen sich Menschen beispielsweise in Berlin identifizieren können. Kiew ist gar nicht so anders als Berlin, auch das wollte ich mit diesen eher „positiven“ Fotos zeigen. Die Menschen dort machen ja weiter und geben nicht auf. Sie ziehen sich bewusst gut an und gehen auf die Straße, während der Krieg im Hintergrund immer da ist. Das ist sehr bewusst in die Bilder eingeflossen, auch weil man sich dem Krieg vor Ort gar nicht entziehen kann.Am Ende von „soлomiya“ gibt es zwei Berichte von Überlebenden aus Butscha, sowohl die Texte als auch die Fotos sind ein irrer Kontrast zu den anderen Porträts im Magazin.Kazarin: Wir haben Artem und Christina gebeten, sich für die Fotos an das zu erinnern, was sie während der Kämpfe und unter der russischen Besatzung bis zu ihrer Flucht getan haben. Die Fotos sollten bewusst anders aussehen, um das Gefühl eines Flashbacks zu vermitteln, also das, was die zwei selbst erleben, wenn sie von dem berichten, was in Butscha passiert ist. Es war uns auch wichtig, zu zeigen, dass Butscha ein sehr junger Ort ist. Hier haben vor dem Krieg hauptsächlich Studierende gelebt, junge Menschen Mitte 20, deren Perspektive in den Bildern, die wir sonst vom Krieg sehen, oft fehlt.Placeholder image-1Besteht die Gefahr, dass wir beim Anblick der anhaltenden grausamen Bilder von der Front abstumpfen?Kazarin: Leider passiert das bereits. Ich kann das den Leuten auch nicht vorwerfen. Selbst hier in Kiew können wir nicht immer in diesem grausamen Zustand leben. Wir müssen manchmal auch positive Emotionen fühlen, selbst in diesen schrecklichen Zeiten. Ich stimme Sebastian darin zu, dass Menschen sich weniger mit diesen brutalen Kriegsbildern identifizieren können. Es wirkt weit weg, fast wie eine andere Realität. Wenn wir aber auf die jungen Menschen schauen, die in Kiew leben, können sich die meisten mit ihnen identifizieren. Da haben die Leute eher das Gefühl: Die sind wie wir, was ihnen passiert, das kann uns auch passieren.Wells: Ich muss ehrlich sagen, dass es auch für mich schwierig ist, diese Bilder von diesem unerschütterlichen Leid immer wieder zu sehen und dem immer die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken. Insofern sind unsere Porträts vielleicht eine unterbewusste Reaktion auf die Kriegsfotos gewesen. Gleichzeitig ist es kein Gegenentwurf, sondern allenfalls eine Ergänzung. Ich glaube auch, dass Kriegsfotografien deutlich mehr Funktionen haben, als die Weltgemeinschaft zu erschüttern. Insofern vertraue ich auf diese Bilder als Beweismittel, auch wenn ich weiß, dass mit der Zeit eine Müdigkeit einsetzt.Kazarin: Es ist nicht so, dass die Bilder vom Krieg nicht wichtig wären – im Gegenteil, sie sind viel wichtiger als unsere Fotos. Die Fotograf:innen, die gerade an der Front sind, machen einen unglaublich wichtigen Job. Es geht nicht darum, was besser ist. Unser Ansatz ist einfach ein anderer.Placeholder authorbio-1Die anderen Künstler:innen zeigen in ihren Arbeiten für „soлomiya“ teilweise genau diese Kriegsbilder. Wie haben Sie entschieden, welche Arbeiten Sie zeigen wollen?Kazarin: Es war alles sehr spontan. Als wir mit der Porträt-Reihe angefangen haben, haben wir nicht daran gedacht, ein Magazin zu machen. Es ist einfach zu einem geworden. Ich habe irgendwann meinen Freund Andrii (Ushytskyi, der dritte Herausgeber des Magazins, Anm. d. Red.) gebeten, einen Text für unser Projekt zu schreiben, die Akademie der Künste hat uns weitere Künstler:innen vorgeschlagen. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es zu einem so großen Projekt werden würde …Durch das ganze Magazin zieht sich die Frage der Bedeutung von Kunst im Krieg. Welche Rolle spielt Kunst als Form des Widerstands?Kazarin: Kunst ist etwas, das uns dabei hilft, über die Ukraine zu sprechen. Andrii hat einmal gesagt, dass die Leute immer nur Nachrichten über die Ukraine hören, Informationen ohne Gefühle. Aber nur über Gefühle können die Menschen im Ausland mit uns in der Ukraine sympathisieren. Kunst ist eine subjektive Sprache, die Menschen verbindet, während sie dokumentiert, was jetzt passiert. Das hilft dabei, in dieser Situation zu leben und auch zu bezeugen, was passiert.Wells: Christina, die wir interviewt haben als eine, die in Butscha gelebt hat, hat gesagt, dass es für sie am wichtigsten ist, dass ihre Kunstwerke überleben, dass sie die irgendwo noch im Keller versteckt hat, weil ihre Malereien zu groß dafür waren, sie mitzunehmen. Das fand ich sehr bewegend. Gilles Deleuze hat davon gesprochen, dass Kunst eine Art ist, dem Tod zu widerstehen, weil sie fortlebt. Gleichzeitig bleibt bei all den schönen philosophischen Worten am Ende irgendwie Verzweiflung. Die Lage verschlimmert sich zusehends, man wird müde, es kommt der Sommer, man will trotzdem irgendwie mal seine Ruhe haben von diesen Kriegsnachrichten aus dem Osten … Ich glaube, dieses Magazin fühlt sich gut an, weil wir etwas gemacht haben, irgendetwas, so gut wir das können. In der Hoffnung, dass es Bestand haben wird. Gleichzeitig mache ich mir keine Illusionen, dass es jetzt die Welt verändert. Weder Kunst noch ein Magazin können am Ende Bomben aufhalten.Was bedeutet der Name des Magazins?Wells: Solomiya ist ein ukrainischer Frauenname. Der Name leitet sich vom hebräischen „Shalom“ ab und bedeutet „Frieden“.