„Das ist unglaublich fahrlässig“

Klimapolitik Die Bundesregierung rudert beim Klimapaket zurück. Auf den Straßen regt sich dagegen Widerstand
Aktivist*innen haben den großen Stern im Tiergarten – und inzwischen auch den Potsdamer Platz – besetzt
Aktivist*innen haben den großen Stern im Tiergarten – und inzwischen auch den Potsdamer Platz – besetzt

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

„Die Bundesregierung hat das Klimagesetz nochmal abgesenkt, so dass Paris weit verfehlt wird. Deshalb sind wir hier. Um diese Untätigkeit zu beenden“, sagt Carola Rackete. Sie steht am Potsdamer Platz auf einem Wagen, mitten in einer Blockade auf der Kreuzung. Um sie herum stehen und sitzen gut 1000 Leute mit bunten Fahnen. Sie bezieht sich auf eine Veröffentlichung des Spiegel vom Sonntagabend, laut dem der finale Entwurf des Klimaschutzgesetzes nochmals deutlich ambitionsloser ausfällt, als im September angekündigt.

Dabei wurde das Klimapaket, auf das die Bundesregierung so stolz war, bereits bei seiner Ankündigung am 20. September als nahezu wirkungslos kritisiert. Auf dem zeitgleich stattfindenden Streik der Fridays For Future, der laut Olaf Scholz die Regierung aus ihrem Klima-Schlummer geweckt haben soll, sorgten die Beschlüsse für Entsetzen und Wut unter den 270.000 Protestierenden. Trotz der Kritik aus der Wissenschaft und von Umweltverbänden, das Paket sei vollkommen unzureichend und würde nichts dazu beitragen, das Abkommen von Paris einzuhalten, ist die Regierung nochmal ordentlich zurückgerudert.

So ist laut dem Spiegel die CO2-Neutralität bis 2050 im Gesetz nicht mehr als definitives Ziel festgeschrieben, sondern soll nur noch verfolgt werden. Eine feste Zahl der Einsparungen für 2040 fällt genauso raus. Der Klimarat, der eigentlich als Kontrollgremium funktionieren, die CO2-Einsparungen überprüfen und Vorschläge zum Erreichen der Ziele machen sollte, scheint keine festgeschriebene Funktion mehr zu haben. Der jährliche Bericht dieses Gremiums wurde laut Spiegel ebenso gestrichen, wie die Möglichkeit, Vorschläge einzubringen.

Luisa Neubauer, eine der bekanntesten Personen innerhalb der Fridays For Future-Bewegung, fragt entsetzt auf Twitter, ob die Regierung jemals vorgehabt hätte, aktiv Politik gegen die Klimakrise zu betreiben. Auf die Frage, was man bitte noch tun soll, wenn 1,4 Millionen Protestierende deutschlandweit und zehntausende Wissenschaftler die Regierung nicht wach rütteln können, antwortet die Klimabewegung Extinction Rebellion mit einem Hashtag: #BerlinBlockieren.

„Es zeigt wieder einmal die Abhängigkeit der Politik von der Wirtschaft“

Seit Montagmorgen haben Aktivist*innen der Bewegung den großen Stern im Tiergarten – und inzwischen auch den Potsdamer Platz – besetzt. Weltweit ruft Extinction Rebellion seit mehreren Wochen dazu auf, ab dem 7. Oktober Großstädte mit friedlichem, zivilem Ungehorsam zu überziehen. Neben Berlin trifft es unter anderem Amsterdam, Paris, New York und Mumbai. Von ihrem Wagen schwört Carola Rackete die Versammelten auf eine ganze Woche des friedlichen Protests ein.

Das nun nochmals abgeschwächte Klimapaket ist für die Bewegung eine weitere Rechtfertigung für Blockaden. Immer wieder wird betont, dass die Klima-Demonstrationen der vergangenen 30 Jahre politisch nichts oder zu wenig bewegt haben. Tino Pfaff, einer der Vertreter der Bewegung, erachtet besonders die fehlenden Zahlen zur CO2-Einsparung als bedenklich. „Das ist unglaublich fahrlässig. Jetzt ist es erst recht berechtigt, zivilen Ungehorsam zu üben“, sagt er. Wie viele innerhalb von Extinction Rebellion sieht er die Demokratie in der Krise. „Es zeigt wieder einmal die Abhängigkeit der Politik von der Wirtschaft. Wenn Politiker wirklich frei handeln könnten, würden sie nicht so entscheiden.“

Deshalb sitzen die Aktivisten nun wieder auf der Straße. Neben einem Zirkuszelt inmitten von Blumentöpfen, zwischen denen Kinder mit ihren Eltern malen und basteln. Dafür, dass sie sonst gerne die Apokalypse beschwören, sehen die Aktivisten von Extinction Rebellion ziemlich glücklich aus. Ob diese Form des Protests die Regierung endlich doch noch zu einem effektiven Umdenken in ihrer Klimapolitik bewegen wird, muss sich noch zeigen. Die Polizei hat auf jeden Fall schon mal angekündigt, die Blockaden an der Siegessäule noch am Montag zu räumen.

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Geschrieben von

Alina Saha

Redakteurin „Online“

Alina Saha hat in Berlin und Tokio Vergleichende Literaturwissenschaften und Japanstudien studiert. 2019 kam sie als Hospitantin zum Freitag, blieb zunächst als freie Autorin und ist seit Ende 2021 Teil der Online-Redaktion. Ihre Themen sind die Klimakrise, mit Schwerpunkt auf Klimabewegungen, sowie Gesellschaft und Politik Ostasiens.

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