Falsche Versprechen

Sachbuch Colin Crouch wollte ein Buch über die Gig Economy schreiben. Der Versuch misslang
Ausgabe 43/2019
Colin Crouch bei der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2015
Colin Crouch bei der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2015

Foto: Imago Images/Photohek

Akzeptiert man die Behauptung von Colin Crouch in seinem 2004 erschienenen Buch Postdemokratie, dass die Demokratie der Figur einer Parabel folgt, entspricht „Gig Economy“ einer Geraden. Einer streng fallenden Geraden.

Die Erwartungen sind hoch, wenn sich ein Autor, der auf kluge und gewagte Weise analysiert hat, wie im 21. Jahrhundert die Demokratie ausgehöhlt wird, sich mit dem derzeit viel diskutierten Bereich prekärer Beschäftigung befasst. Das Problem mit hohen Erwartungen: Man fällt umso tiefer, wenn sie enttäuscht werden.

Gleich im ersten Kapitel beantwortet Colin Crouch die Frage, die er sich für das Buch gestellt hat: Nein, die Gig Economy wird sich nicht durchsetzen. Eigentlich könnte man das Buch hier schließen, denn mehr Erkenntnisse zum Thema finden sich auf den nächsten hundert Seiten nicht.

Zugegeben ist das auch nicht der thematische Schwerpunkt seines Textes. Es steht nur vorne drauf. Zutreffender spräche man von einer Abhandlung der Geschichte des Arbeitnehmerrechts. Dabei stellen Gig-Jobber einfach nur das Ende der Geraden, weil man ihnen sämtliche dieser Rechte entzieht, indem man ihnen den Arbeitnehmerstatus abspricht.

Die Beispiele, die Crouch für die Gig Economy anbringt, sind die üblichen Verdächtigen: Uber und Deliveroo. Diese Plattformen versprechen ihren Arbeitern maximale Freiheit, wann sie wie arbeiten wollen, und minimale Sicherheit. Trotzdem sind die Arbeiter von diesen Plattformen abhängig, also lediglich scheinselbstständig.

Obwohl bereits viele Auseinandersetzungen mit dem Problem existieren, geht Crouch nicht über eine erneute Zusammenfassung der Situation dieser prekären Arbeiter hinaus.

So oberflächlich wie die Behandlung der Plattformen ausfällt, so tiefgreifend ist hingegen die Nacherzählung der Geschichte der Arbeitnehmerrechte. Ganze 15 Grafiken legt Crouch hierfür vor. Aus jeder einzelnen schließt er separat, inklusive länderspezifischer Beispiele und jeder Menge Zahlen, dass Arbeitnehmerrechte global immer weiter auf dem Rückzug sind. Dass ausgerechnet sie eine so große Rolle in einem Text über Gig Economy einnehmen, überrascht, da die Plattform-Arbeiter ohnehin keinen Anspruch auf diese Rechte haben.

Auch die vorgeschlagenen Lösungen sind bekannt. Anpassungen der Gewerkschaften an den digitalisierten Arbeitsmarkt in Bezug auf die fallende Zahl unbefristet Festangestellter und eine Erneuerung der Sozialversicherung, die sich an der Zunahme beruflicher Selbstständigkeit orientiert, werden ohnehin seit Längerem gefordert.

Spannende Aspekte sind zwar vorhanden, tauchen aber nur am Rande auf. Crouch erwähnt kurz, dass ein ähnliches Beschäftigungsverhältnis bereits zu Beginn der Industrialisierung bestanden hatte, als Unternehmer Arbeitern die Materialien nach Hause lieferten und die fertigen Produkte abholten, für die die Arbeiter anschließend entlohnt wurden. Angeblich setzte sich dieses Prinzip nicht durch, weil den Unternehmern die Möglichkeiten zur Überwachung der Arbeiter fehlten. Überlegungen dazu, was das in einer digitalisierten und globalisierten Wirtschaft bedeutet, in der es möglich ist, den Arbeiter vom anderen Ende der Welt konstant am Arbeitsplatz zu überwachen, fehlen.

Die Gig Economy wird sich also nicht durchsetzen. Damit beginnt und endet Crouch. Was er hingegen offenlässt: Warum sie es nicht tun wird.

Info

Gig Economy. Prekäre Arbeit im Zeitalter von Uber, Minijobs & Co. Colin Crouch Frank Jakubzik (Übers.), Suhrkamp 2019, 136 S., 14 €

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