Das winzige Dorf Lützerath besteht aus wenigen roten Backsteinhäusern. Die meisten Fenster sind zubetoniert, die Türen durch Stahl ersetzt und alle mit demselben Schild beklebt: „Zutritt verboten!“
Lützerath liegt im Braunkohleabbaugebiet Garzweiler, weshalb die Häuser hier Stück für Stück dem Erdboden gleich gemacht werden. Bis auf die versammelten Klimaaktivist*innen und das Security-Personal, das RWE vor ihnen schützen soll, lebt in dem Dorf nur noch ein letzter Landwirt, der sich standhaft weigert, seinen jahrhundertealten Hof aufzugeben. Ihm droht nun die Enteignung.
Unter den Aktivist*innen befindet sich auch eine neu gegründete Initiative, die diesen Spieß umdrehen will, „RWE & Co enteignen“. Die Initia
Lützerath besteht aus wenigen roten Backsteinhäusern. Die meisten Fenster sind zubetoniert, die Türen durch Stahl ersetzt und alle mit demselben Schild beklebt: „Zutritt verboten!“Lützerath liegt im Braunkohleabbaugebiet Garzweiler, weshalb die Häuser hier Stück für Stück dem Erdboden gleich gemacht werden. Bis auf die versammelten Klimaaktivist*innen und das Security-Personal, das RWE vor ihnen schützen soll, lebt in dem Dorf nur noch ein letzter Landwirt, der sich standhaft weigert, seinen jahrhundertealten Hof aufzugeben. Ihm droht nun die Enteignung.Unter den Aktivist*innen befindet sich auch eine neu gegründete Initiative, die diesen Spieß umdrehen will, „RWE & Co enteignenXX-replace-me-XXX8220;. Die Initiative hat sich aus verschiedenen Klimagruppen im Rheinland und in NRW gebildet; viele waren schon bei den Protesten im Hambacher Forst dabei.Ihr Ziel: RWE vergesellschaften. Damit soll unter anderem der Kohleausstieg vorangetrieben werden, der die Dörfer im Rheinland vor dem Tagebau retten würde. Die Kampagne spielt mit ihrem Namen bewusst auf das erfolgreiche Berliner Vorbild „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ an, auch wenn es im rechtlichen Sinne nicht um eine Enteignung, sondern um eine Vergesellschaftung gehen soll, die auch das Grundgesetz als Möglichkeit kennt.Jona, eine*r der Aktivist*innen der Initiative, sagt: „Wir wollen die Produktion eines Grundbedürfnisses weg von den auf Profit ausgerichteten Konzernen hin zu einer am Bedarf orientierten Vergesellschaftung überführen.“Von einer Vergesellschaftung würde nicht nur, so argumentieren die Initiator*innen, die Energiewende profitieren, sondern auch die soziale Gerechtigkeit. Denn auch in einem reichen Land wie Deutschland wird jedes Jahr Hunderttausenden Menschen, meist Geringverdienern und Empfängern von Sozialhilfe, der Strom abgestellt, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Das bedeutet nicht nur, im Dunkeln zu sitzen: Der Kühlschrank fällt aus, genauso alle Haushaltsgeräte. Wer ohne Gas kocht, hat auch keinen Herd mehr; wessen Wasser elektrisch erhitzt wird, wird gezwungenermaßen Kaltduscher. Ein Ziel einer Vergesellschaftung wäre auch, allen Strom als Grundlage eines würdigen Lebens zur Verfügung zu stellen.16 Jahre lang gedrücktDas Ergebnis der Bundestagswahl lässt allerdings nicht darauf schließen, dass die Mehrheit für den Klimaschutz gleich RWE enteignen möchte. Trotz jahrelanger Proteste von Fridays for Future, trotz einer sehr präsenten Debatte um die Klimakrise und sogar ersten am eigenen Leib spürbaren Folgen von Extremwettern wie im Ahrtal kurz vor der Bundestagswahl, waren vor allem jene Parteien am erfolgreichsten, die sich 16 Jahre vor wirklich durchgreifender Klimapolitik gedrückt haben.Dabei war Deutschland lange ein Vorreiter in der Nutzung erneuerbarer Energien. Die Pioniere waren damals keine Konzerne, sondern Genossenschaften und Bürger*innen, die sich regional für erneuerbare Energien einsetzten. Die Forderung einer Vergesellschaftung der Energieproduktion, wie sie „RWE & Co enteignen“ anstrebt, ist also gar nicht neu. Ohne diese hätte die Energiewende Anfang der 2000er ihren ersten Anschub gar nicht bekommen. Das wohl bekannteste Beispiel sind die Elektrizitätswerke Schönau (EWS), deren Anfänge auf die Stromrebell*innen in Schönau im Schwarzwald zurückgehen. Nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl verlangten die Aktivist*innen nach grünem Strom, den der örtliche Energieversorger aber weder lieferte noch produzieren wollte. In langwierigen Kämpfen gelang es den Stromrebell*innen, ihre eigene Produktion aufzubauen und diese 1997 in der Gemeinde als offiziellen Stromversorger anerkennen zu lassen.Während also Bürger*innen lange Zeit den Ausbau der erneuerbaren Energien förderten, verschliefen die Konzerne dessen Anfänge. Die Einführung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) unter Rot-Grün garantierte dann die Wirtschaftlichkeit sauberer Energien, der private Ausbau wurde gefördert, die Innovationen kamen mit aus den Genossenschaften. Lange stellte diese sogenannte Bürgerenergie mit rund 40 Prozent den größten Anteil des Ökostroms in Deutschland. Anders als fossile Energie lässt sich diese dezentral und lokal produzieren, was den Bürger*innen auch mehr Unabhängigkeit von großen Stromkonzernen verschafft.Seit 2017 stagniert der Zubau allerdings, der Marktanteil der Bürgerenergie nimmt ab. Inzwischen liegt er nur noch bei 25 Prozent, was vor allem damit zu tun hat, dass die bürokratischen Hürden gewachsen sind. In Großstädten verhindert beispielsweise das Personenidentitätsprinzip, nach dem Produzent und Konsument dieselbe Person sein müssen, den Ausbau von Photovoltaik auf Dächern von Mietshäusern. Der dort gemeinschaftlich produzierte Strom darf nur von der Gemeinschaft genutzt werden, also im Treppenhaus, aber nicht in einzelnen Wohnungen. Die Einspeisung des privat produzierten Stroms ist durch politische Regulierungen allerdings unrentabel geworden, für Mieter*innen also keine Alternative. Deshalb hat das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) inzwischen vor der EU-Kommission geklagt. Laut EU-Vorschrift muss es Gemeinschaften möglich sein, Strom gemeinsam zu produzieren und untereinander zu teilen.Gleichzeitig weist das Ausschreibungssystem Konzernen mit großer Kapitalmacht einen Wettbewerbsvorteil zu. Kleine Genossenschaften können dabei nicht mithalten, da sie ihr Risiko nicht so gut streuen und sich dagegen absichern können, falls sie eine Ausschreibung verlieren. Die Vermutung liegt nahe, die Politik habe bewusst Vorteile für Konzerne geschaffen und Genossenschaften benachteiligt.„Das Resultat dieser Regelungen ist ganz klar, dass es einfacher für große Konzerne ist, erneuerbare Energien auszubauen, und es eine strukturelle Ungleichbehandlung gibt“, bestätigt Viola Theesfeld, Referentin für Energiepolitik und -wirtschaft im BBEn. Hinzu käme die Frage der Akzeptanz. Die nimmt aber schnell zu, wenn Bürger*innen spürbar an den Projekten beteiligt werden. Auch das werde politisch aktuell oft verhindert.Die großen Stromkonzerne zu enteignen, um wieder mehr Vergesellschaftung im Energiemarkt zu erreichen, sei keine Lösung und auch kein sinnvoller Schritt Richtung Klimaneutralität, findet Theesfeld. „Wir brauchen Konzerne wie RWE, um die großen Industrieanlagen mit grünem Strom zu versorgen. Das dafür nötige Netzwerk können Genossenschaften nicht stemmen.“ Was sich ändern müsse, sei das Design des Strommarktes, damit tatsächlich fairer Wettbewerb zwischen den Genossenschaften und Bürger*innen auf der einen Seite und großen Konzernen wie RWE oder Vattenfall auf der anderen möglich ist.Ein anderes Problem, das die Vergesellschaftung von RWE mit sich brächte: Die Kohleverstromung lässt sich damit auch nicht sofort beenden, wenn nicht vorher die Erneuerbaren ausreichend ausgebaut worden sind. Schlimmer noch: Die Gesellschaft würde sich die Verantwortung für die von den Konzernen verursachten Umweltschäden aufhalsen. Im Fall RWE hieße das konkret: die riesigen Tagebauen renaturieren und verhindern, dass mögliche Giftstoffe, die dort freigesetzt wurden, ins Grundwasser gelangen. Möchte man wirklich Zeit, Geld und Energie darauf verwenden, die Probleme von RWE zu lösen?„Viele Fragen sind da noch offen, die sehr komplex sind und die wir für uns selbst noch klären müssen“, gibt Jona offen zu. „Uns geht es um die Verschiebung des Diskurses. Dass wir erkennen, dass die Enteignung großer Konzerne etwas ist, das wir gesellschaftlich fordern können.“Dass sich der gesellschaftliche Diskurs dahin verschieben lässt, hat im September die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ in Berlin gezeigt. Von einem Druck wie dem im Berliner Wohnungsmarkt ist der deutsche Strommarkt aber noch weit entfernt, und das, obwohl es angesichts des Klimawandels allen Grund dafür gäbe.Den Nachteil haben die Bürger*innen. Die Idee, sich gemeinsam selbst mit Strom zu versorgen, scheint allerdings ohnehin erst einmal wiederbelebt werden zu müssen, denn die bereits existierenden Genossenschaften haben noch ein ganz anderes Problem: „Der Nachwuchs fehlt“, sagt Theesfeld. Immer mehr von den älteren Genoss*innen würden ausscheiden, die Digitalisierung sei für viele der älteren eine echte Herausforderung. Doch die Genossenschaften sind darauf angewiesen, dass sich auch Jüngere engagieren. Zu Beginn der Fridays-for-Future-Streiks haben sie gehofft, dass einige aus der Bewegung sich im Bereich der erneuerbaren Energien genossenschaftlich einsetzen wollen, also das, was sie politisch auf der Straße fordern, an anderer Stelle umsetzen. Gemeldet hat sich bis jetzt aber fast niemand.