Corona statt Klima. Schulstreik im Home-Schooling. Demos im Lockdown: Hat das Virus die größte Klimabewegung der Geschichte beendet? Oder wird Fridays for Future die Pandemie überleben?
Als vor einem Jahr die Infektionszahlen zu steigen begannen, verdrängte das Virus die Klimakrise aus der Wahrnehmung. Abstandsregeln und Schulschließungen beendeten die Klimastreiks von Fridays for Future (FFF), eine globale soziale Bewegung, die das Thema mit Wucht auf die Agenda gesetzt hatte.
„Mit der Pandemie wurden die Massenproteste, auf die wir lange gesetzt haben, unverantwortlich“, sagt Helena Marschall, eine der Aktivistinnen von Fridays for Future. „Wir mussten komplett umdenken, wie wir die Masse vermitteln können, ohne auf die Straße zu gehen.“
Masse vermitteln, wenn Massenaufläufe unmöglich sind, wie soll das gehen? FFF versucht es. Unter dem Slogan #AlleFür1Komma5 hat die Bewegung für den 19. März 2021 einen globalen Klimastreik angesetzt. Die Infektionszahlen steigen erneut, weswegen es auch keine großen Demos geben wird. Der Plan von FFF ist es, den Streik mit Bannern, kleineren Aktionen und Interventionen in die Nachbarschaft zu holen, ihn lokal sichtbar zu machen und dann global auf digitalem Wege zusammenzufügen.
Einen rein digitalen Klimastreik hat man zu Beginn der Pandemie versucht. Das Ergebnis war eher mau. Im April 2020, beim ersten digitalen Streik, konnten sich Demonstrierende auf einer Online-Karte eintragen. Doch die Masse blieb aus, 87.000 Einträge waren es. Ein halbes Jahr zuvor, im September 2019, waren beim internationalen Klimastreik noch 1,4 Millionen Menschen in Deutschland auf die Straße gegangen.
Niemand in der Bewegung bestreitet, dass die Pandemie Klima-Aktivismus schwieriger gemacht hat. Marschall spricht offen von der Angst, dass die Bewegung durch die Pandemie an Momentum verlieren könnte. Neue Aktivist*innen finden den Einstieg meist über die öffentlichen Plena der lokalen Ortsgruppen, ein Raum, der mit Beginn der Pandemie wegfiel. „Bundesweit haben wir aber schon immer in Zoom gelebt“, sagt Marschall und lacht. Doch die Energie, die von gemeinsamen Treffen und den Demonstrationen ausgeht, lässt sich online nicht kompensieren.
Wegen Corona in den Danni?
Seit sich Fridays For Future Deutschland vor über zwei Jahren gegründet hat, wurde die Bewegung immer wieder mit den gleichen Fragen konfrontiert: Löst sie sich bald auf? Radikalisiert sie sich und kommt es zur Spaltung? Eine soziale Bewegung hat ja auch schon ohne die Belastungsprobe der Pandemie ihre Eigendynamik, sie beginnt, wächst und wird größer, bis sie irgendwann zerfällt, sich spaltet oder in bleibende Strukturen übersetzt.
Aufgelöst hat sich FFF noch nicht. Auch wenn die Protestaktionen nun kleiner sind und weniger öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, blieb die Bewegung im vergangenen Jahr aktiv, suchte direkten Kontakt zu Politiker*innen, kritisierte politische Entscheidungen und brachte besonders die Grünen in Bedrängnis. Im September versuchte man einen „Klimasitzstreik“. In Berlin hieß das, mehrere Stunden mit Maske nach weißen Punkten geordnet auf feuchtem Asphalt zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule in der Kälte zu sitzen.
Vielleicht hätte auch die Auseinandersetzung um den „Danni“ ohne Corona weniger Wucht entfaltet. Im Oktober besetzten Mitglieder von FFF in einem Bündnis mit NGOs wie dem BUND und Campact den Dannenröder Forst, um dessen Rodung für die Verlängerung der A49 zu verhindern. Für manche ging es auch darum, zu zeigen, dass auch während einer Pandemie öffentlichwirksamer Klimaaktivismus möglich ist. Für Kira Geadah, die von FFF an der Koordination des Bündnisses beteiligt war, war von vornherein klar, dass sie die Rodung nicht in Gänze würden aufhalten können. Trotzdem ließ sie sich nicht entmutigen: „Erst wenn der Bau beginnt und die Teile des Waldes wirklich voneinander getrennt sind, ist es vorbei“, sagt sie.
Die Aktion im Dannenröder Forst fiel auf. Auch weil sie ein Gegensatz zu den friedlichen Streiks war, für die FFF bis dahin stand. Marschall sieht das anders. „Verschiedene Ortsgruppen von FFF haben bereits 2019 kleinere Blockaden durchgeführt“, sagt sie. Die Aktion offenbart aber einen Zwiespalt: Marschall sagt, sie schätze den körperlichen Einsatz der Aktivist*innen. Aber sie ist sich auch bewusst, dass diese Art von radikalerem Protest nicht unbedingt mehrheitsstiftend ist. Weshalb sie sagt: Der Fokus von FFF bleibe weiterhin auf friedlichen Aktionen, die vor allem die wissenschaftlichen Erkenntnisse verbreiten sollen.
Genau hier stellt sich aber die Frage, wie die Bewegung weitermachen will. Nach zwei Jahren könnte man erwarten, dass sie sich von der Vermittlung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu mehr praktischer Umsetzung gewendet haben sollte. Trotzdem propagiert FFF immer noch: „Listen to the Science.“ Sollte man nicht längst beim nächsten Schritt sein und gesellschaftliche Lösungen diskutieren? „I wish!“, antwortet Marschall. „Ich würde viel lieber nicht mehr darüber reden, was Kipppunkte sind und was 1,5 Grad bedeuten. Aber viele Politiker sind sich über die Folgen immer noch nicht bewusst.“
Ausgerechnet bei den Grünen
Zumindest ein Politiker, der FFF-Forderungen vertritt, wird wohl ab dem Herbst im Bundestag sitzen. Mit Jakob Blasel tritt im September einer der bekanntesten Vertreter der Bewegung zur Wahl an. Ausgerechnet bei den Grünen, der Partei, mit der die Klimabewegung im Dannenröder Forst aneinandergeriet und der sie immer häufiger Planlosigkeit in der Klimakrise vorwirft. Ein Vorwurf, den Blasel unberechtigt findet. „Bei den Grünen hat das weniger mit mangelndem Wissen als Prioritätensetzung zu tun. Wer den Plan hat, die Gesellschaft zu vertreten, muss mehrere Interessen beachten.“ Und: „Veränderung passiert in Regierungsentscheidungen.“ Regierungspotenzial hätten von allen Umweltparteien in naher Zukunft eben nur die Grünen.
Nicht alle bei FFF stimmen Blasel zu, dass der Weg in die Politik der nächste logische Schritt für die Bewegung ist. Dass sich Teile der Bewegung in unterschiedliche Richtungen entwickeln, kann eine Herausforderung sein, andererseits aber auch eine Chance. Durch ihr Wachstum hat sich die Bewegung diversifiziert, was sie als Vorteil ausspielen könnte: Etwa wenn sie die Politik aus verschiedenen Richtungen unter Druck setzt.
Für viele Aktivist*innen ist die Bundestagswahl im September klimapolitisch entscheidend, da sie die letzte Legislaturperiode einläutet, in der sich das Ruder in der Klimakrise noch effektiv herumreißen lasse. Entsprechend fokussiert ist FFF darauf, die 1,5 Grad in den Wahlprogrammen zu verankern. Damit, wie Marschall es ausdrückt, „man überhaupt Klima wählen kann“. Deshalb auch der gesteigerte Druck auf die Grünen. Keine andere Partei ist an dem Punkt Klima durch Kritik aus der Bewegung so angreifbar.
Wie genau das aber gehen soll, die Parteien in nur einem halben Jahr bis zur Wahl von dem zu überzeugen, was FFF seit zwei Jahren bereits unermüdlich versucht hat, welche Pläne und Strategien es dafür gibt, will bei FFF allerdings noch niemand verraten.
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