Seien wir einmal ehrlich: Es nervt. Auch wer die Aktionen der Letzten Generation für gerechtfertigt hält, muss zugeben, dass die Aussicht, für eine Woche in einer von Aktivist:innen gezielt lahmgelegten Stadt wie Berlin unterwegs zu sein, lästig ist. Gerade ist es mit kleineren Aktionen und Blockaden losgegangen, von Montag an will die Letzte Generation den Verkehr in der Hauptstadt ganz zum Erliegen bringen.
Kein Wunder also, dass die Debatte über die Methoden des radikaleren Teils der Klimabewegung hochkocht. In Talkshows, unter Politiker:innen, bei Schauspielern wie Til Schweiger sind die „Klimakleber“ Aufregerthema Nummer eins. Nichts eint die Deutschen aktuell so sehr wie ihre Wut auf die Letzte Generation.
Selbst die Grünen und Fridays for Futu
Fridays for Future gehen auf Distanz zu der Gruppe. Annika Rittmann, Sprecherin von Fridays for Future, zweifelt offen an, dass die Methoden des zivilen Ungehorsams der Letzten Generation einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Anstatt Werbung für gute Klimapolitik zu machen, drehe sich die Debatte um die Gruppe selbst und diskreditiere die Bewegung als ganze, so die Befürchtung.Auch Fridays for Future wurden für ihren Protest angegriffenDabei vergessen die Aktivist:innen von Fridays for Future, dass auch ihre Methode des zivilen Ungehorsams – einmal die Woche die Schule zu schwänzen, um für Klimaschutz zu protestieren – zu Beginn vehement angegriffen wurde. Mit ihrem Fokus auf Kommunikation und Überzeugung durch wissenschaftliche Argumente haben sie es mit der Zeit geschafft, die Klimakrise als zentrales Thema unserer Zeit bis tief in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Vor der Pandemie sind mehr als eine Million Menschen in Deutschland für den Klimaschutz auf die Straße gegangen. Seitdem kommt kein politisches Programm ohne Klimaziele aus, kein gesellschaftliches Thema an der Frage vorbei, wie es durch die Klimakrise beeinflusst wird. Anfang April ergab eine Umfrage, dass für die Deutschen Umweltschutz und Klimawandel die wichtigsten politischen Probleme unserer Zeit sind, und das, obwohl Russlands Krieg in der Ukraine unvermindert weitergeht.Eine Gruppe wie die Letzte Generation gefährdet, aus Sicht der Fridays, diesen Erfolg, den Letztere über Jahre aufgebaut haben, indem sie die bürgerliche Mitte gegen sich und die Klimabewegung aufbringt.Für diese bürgerliche Mitte ist es scheinbar besonders wichtig, dass ein Protest an ihr vorbeigeht. Die Fridays kann sie akzeptieren, denn die schaden maximal sich selbst, mit unentschuldigten Fehlstunden. Die Letzte Generation hingegen konfrontiert sie regelmäßig und unausweichlich mit dem drohenden Klimakollaps.Denn obwohl die Klimakrise aus den Debatten nicht mehr wegzudenken ist, bleibt die Politik weit hinter dem Notwendigen zurück. Dank der Klimaproteste sitzen die Grünen nun in der Regierung und knicken beim Klimaschutz mit vorhersagbarer Regelmäßigkeit vor den Liberalen ein. Nicht zuletzt durch den Deal mit RWE zu einem vorgezogenen Kohleausstieg, der einzig dem Konzern nutzt, hat die Partei den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit als Klimapartei verspielt.Sie müssen stören und zwar so richtigDie Strategie, zu demonstrieren und mit Politiker:innen zu kommunizieren, geht leider nicht auf, wenn diese sich einem echten Dialog verweigern. Der Vorwurf an die Letzte Generation, dass ihre Methoden niemanden von der Dringlichkeit der Krise überzeugen, geht am Thema vorbei: Überzeugt werden müssen wir nicht mehr, dank der Fridays ist die Botschaft in der Gesellschaft ja längst angekommen. Es geht jetzt darum, genug Druck auszuüben, damit die notwendigen Maßnahmen endlich ergriffen werden. Dafür muss diese Bewegung stören, und zwar massiv. Sie muss die Gesellschaft treffen, und das geht scheinbar am besten, indem sie den Berufsverkehr lahmlegt, auch wenn das rechtswidrig ist.Just nun an dem Tag, an dem mehrere Aktivist:innen der Letzten Generation zu Haftstrafen verurteilt wurden, verkündete der Expertenrat für Klima, dass Deutschland seine Klimaziele im vergangenen Jahr nur einhalten konnte, weil die Wirtschaft wegen des Kriegs in der Ukraine stagniert. Ohne diese Auswirkung hätten wir unsere Ziele wieder gerissen.Ganz vorne dabei: der Verkehrssektor. Eigentlich sieht das Klimaschutzgesetz vor, dass in einem solchen Fall umgehend Sofortmaßnahmen durch das zugehörige Ressort angekündigt werden müssen. Doch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) weigert sich. Statt den Minister zur Rechenschaft zu ziehen, hebt die regierende Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Einsparziele für die einzelnen Sektoren auf und entbindet Wissing von der Verpflichtung, Maßnahmen anzukündigen. Die juristischen Konsequenzen für Wissings Rechtsbruch sind Gesetzesänderungen, damit er seinen Job nicht machen muss.Zumindest eines hat die Letzte Generation geschafft: Sie sitzt jetzt, gerade weil sie so polarisiert, in den Talkshows und kann genau das anprangern. Endlich sprechen wir nun, nach dem Ende der Pandemie, wieder vermehrt über das Klima. Denn egal, wer sich über die Letzte Generation in welchem Kontext äußert – wir können nicht über sie reden, ohne den Grund für ihren Protest zu benennen, und der sollte uns viel mehr nerven als ein paar Stunden Verspätung auf der Arbeit.