Artenschutz Vögel müssen geschützt werden vor Windkraftanlagen! Ein staatlich gefördertes Unternehmen hat dafür eine technische Lösung entwickelt. Doch die echte Gefahr für die Tiere ist dadurch nicht gebannt
Katzen bringen pro Jahr 20 bis 100 Millionen Vögel um – weit mehr als Windräder
Foto: Yelizaveta Tomashevska/dpa
Die größte Sorge von Windparkbetreibern ist wohl diese: In der Nähe einer geplanten Windkraftanlage werden geschützte Vogelarten wie der Rotmilan entdeckt – und plötzlich steht die ganze Planung auf dem Spiel. Aus Sorge, die Windanlagen könnten die Tiere im Flug erfassen und sprichwörtlich „schreddern“, schränkt der Tierschutz den Ausbau der Windenergie in der Nähe zu Habitaten bestimmter Vogelarten ein. Doch wie groß ist das Problem des Vogelschlags wirklich?
Wie viele Tiere genau in die Windräder hineingeraten und sterben, ist nicht bekannt. Meist werden Tiere, die von den Anlagen erfasst wurden, nur durch Zufälle gefunden. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) kann daher nur schätzen: Mindestens 100.000 V
100.000 Vögel würden jährlich durch Windkraftanlagen getötet. Mit dem Ausbau der Windenergie wird diese Zahl aber notgedrungen steigen. Es gibt moderne Technik, die die Sache mit dem Vogelschlag zu lösen verspricht. Dabei ist dieses Problem sowieso viel zu aufgebauscht.100.000 getötete Tiere klingt zunächst viel. Allerdings schätzt der NABU, dass tausendmal so viele Vögel an Fensterscheiben zu Tode kommen, 70 Millionen durch Straßen- und Bahnverkehr sterben und auch Katzen jährlich 20 bis 100 Millionen Vögel töten. „Für die meisten Vogelarten fällt die Windkraft als Todesursache nicht stark ins Gewicht“, bestätigt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. In mehreren Studien unter Beteiligung des Instituts wurde das Flugverhalten von Zugvögeln per GPS in der Umgebung von Windparks untersucht. Dabei zeigte sich: Die meisten Vögel erkennen die Gefahr und umfliegen die Anlagen mit großen Abständen.„Es gibt ungefähr zwei Dutzend Arten, darunter der Rotmilan, für die die Windkraft tatsächlich eine Gefährdung darstellt“, ergänzt Fiedler. Warum manche Arten häufiger mit den Anlagen kollidieren als andere, können die Forscher:innen nicht genau sagen. Balzsaison, die Konzentration auf den Boden bei der Jagd und schlechte Witterungsbedingungen: All diese Faktoren könnten einen Einfluss darauf haben, dass Vögel von den Windkraftanlagen erfasst werden.Für gefährdete Arten ist es besonders problematisch, wenn sie – neben langen Brutzeiten – auch noch durch Windanlagen dezimiert werden. Fiedler zufolge wäre es ein Leichtes, Vögel zu schützen, indem bei der Standortwahl neuer Windkraftanlagen auf das Flugverhalten der Vögel in der Umgebung geachtet wird. Genau das geschieht bereits und bereitet den Betreibern von Windparks immer mehr Kopfzerbrechen.Die Bürgerwindpark Hohenlohe GmbH hat 2016 Erfahrungen mit dem Rotmilan machen müssen. Wegen einer Gesetzesänderung zum Artenschutz mussten fünf neu gebaute Turbinen im Windpark Weißbach über den Winter abgeschaltet werden. Ohnehin stehen Windanlagen immer wieder wegen bestimmter Witterungsbedingungen still, um Vögel oder Fledermäuse zu schützen. Für die Betreiber bedeutet das jedes Mal einen Ertragsverlust – egal ob tatsächlich Tiere in der Nähe der Anlagen fliegen oder nicht.„Es ist nicht so, als ob uns diese Tiere nicht wichtig sind. Es ist nur so, dass unserer Meinung nach ein Problem herausgestellt wird, das es so in der Realität nicht gibt“, sagt Katharina Pohl von Birdvision. Dort ist die Antwort der Bürgerwindpark Hohenlohe GmbH auf das Vogelschlag-Problem entstanden. Deren Tochterunternehmen Birdvision entwickelt seit 2018 für die Windparks ein sogenanntes Antikollisionssystem, das dabei helfen soll, Vogelschläge zu verhindern. Hierfür werden die Türme von Windkraftanlagen mit sechs Kamerasystemen ausgestattet, die einen 360-Grad-Blick der Umgebung ermöglichen. Erkennt die künstliche Intelligenz des Systems einen Vogel, zeichnet es dessen Flugbahn auf. Nähert sich das Tier dem Windrad auf 200 Meter, wird ein Signal an die Anlage gesendet. Innerhalb von 15 bis 30 Sekunden stehen die Rotorblätter still.Die Entwicklung eines solchen Antikollisionssystems ist aufwendig: Die KI muss trainiert werden und die Kameralinsen müssen eine hohe Auflösung haben, um auf mehrere Hundert Meter klar erkennen zu können, ob etwas ein Vogel oder doch ein Hubschrauber ist. Es braucht leistungsstarke Server mit mehreren Grafikkarten, die zwölf Bilder gleichzeitig verarbeiten und daraus eine zusammenhängende Flugbahn berechnen können. So ein System kann schnell Hunderttausende Euro kosten. „Aber hochgerechnet auf den Preis, den wir pro Anlage bezahlen, und der Zeit, die sie ohne Antikollisionssystem still stehen müssen, ist es die Investition wert,“ sagt Projektleiterin Pohl. Mit anderen Worten: Es ist eine betriebswirtschaftliche Rechnung und der Bürgerwindpark Hohenlohe spart immer noch Geld mit der teuren Technik, die seine Tochter Birdvision entwickelt hat. Alles besser als stillstehende Rotorblätter.Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut sieht in den Antikollisionssystemen viel Potenzial. „Diese Systeme funktionieren tatsächlich besser, als ich gedacht hätte“, meint er. Wenn sich der Vogelschlag dadurch nur um die Hälfte reduzieren ließe, wäre die Technologie ein sinnvolles Modell zum Schutz der Vogelpopulationen.Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima sieht das so und fördert Birdvision mit einer Million Euro. Davon hat das Unternehmen eine Datenbank finanziert, in der die aufgenommenen Flüge der Vögel in der Nähe der Anlagen gespeichert werden. Die Datenbank lässt Rückschlüsse auf das Verhalten der Tiere zu und könnte auch zeigen, dass die Gefahr, die den Anlagen immer zugeschrieben wird, nicht der Realität entspricht. Tausende Stunden Bildmaterial, die bisher entstanden sind, zeigen Pohl zufolge ein klares Ausweichverhalten der Vögel. „Wir stellen da echt teilweise die Tiere dümmer hin, als sie sind“, findet sie.Vergiftete Ratte, toter MilanDas von der EU geförderte „Life-Eurokite-Programm“ stützt diese These: Hunderte Rotmilane wurden dabei mit einem GPS-Sender ausgestattet, um die Todesursachen der Vögel zu erforschen. Den Ergebnissen zufolge ist die Windkraft gerade einmal auf Platz sieben. Die häufigste Todesursache ist immer noch eine ganz natürliche: Fressfeinde. Gefolgt von indirekten Vergiftungen, weil gefressene Mäuse oder Ratten zuvor vergiftet wurden. Auch dem Straßen- und Schienenverkehr sowie Stromleitungen fallen europaweit mehr Rotmilane zum Opfer als der Windenergie. „Aber wer sitzt im ICE und macht sich Sorgen, wie viele Rotmilane der Zug auf der Strecke getroffen hat?“, fragt Pohl. „Niemand!“ Nur bei der Windkraft scheint dieser Konflikt derart aufgebauscht zu werden.Antikollisionssysteme könnten da Druck rausnehmen. Doch die Technologie ist noch sehr jung und gesetzliche Grundlagen für eine Zulassung fehlen. Anstatt also die Technik einmal bei den Behörden anzumelden, muss an jeder Anlage eine Einzelfallprüfung stattfinden und das System per Sondergenehmigung zugelassen werden.Die Windenergie hat in Deutschland außerdem noch ganz andere Probleme als den Artenschutz. „Derzeit müssen wir mit sieben bis acht Jahren rechnen, wenn wir eine Windanlage planen“, erzählt Pohl. Als sich der Bürgerwindpark Hohenlohe 1999 gründete, sah das noch anders aus. Aber die strengen Abstandsregeln, die Windkraftwerke zu Siedlungen einhalten müssen, verknappten die Ausbauflächen extrem. In vielen Bundesländern ist ein Abstand von 1.000 Metern zu Häusern vorgeschrieben: einer der Gründe, weshalb Anlagen überhaupt in Konflikt mit nahe gelegenen Habitaten kommen. Klima- und Artenschutz werden dabei gegeneinander ausgespielt. Außerdem wird Zeit und Geld in die Entwicklung einer Technologie gesteckt, die den Großteil der vom Mensch verursachten Todesfälle bedrohter Vogelarten gar nicht betrifft. Einen Unterschied wird die Technik von Birdvision erst dann machen, wenn der Ausbau der Windenergie drastisch zulegt – und diese den Vögeln gefährlicher wird als die Autobahn.
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