Kennen Sie Louise Otto-Peters? Oder May Ayim? Und wie sieht es mit Hedwig Dohm aus? Sie alle drei haben die Frauengeschichte bedeutsam geprägt und ihren Teil zur Emanzipation der Frauen beigetragen. Louise Otto-Peters gilt als eine der bekanntesten Mitbegründerinnen der deutschen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert. Die zweite, May Ayim, war in den 80igern eine Vertreterin der schwarzen Community und Hedwig Dohm die feministische Theoretikerin der Moderne. Im Gegensatz zu fast all ihren (männlichen) Zeitgenossen, sprach Dohm sich schon damals für die These aus, dass geschlechtsspezifische Charaktere sich nicht biologisch begründen lassen.
Das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) geht am 13. September online, unterstützt von Bundesfrauenministerin Franziska Giffey. Anschließend wird es am 15. September im Rahmen der feministischen Sommeruni vorgestellt und sorgt nun bald dafür, dass Frauengeschichte sichtbar gemacht wird.
Wie wichtig es auch heute noch ist, dass solch prägende Persönlichkeiten nicht in Vergessenheit geraten, zeigt die Anfang diesen Jahres organisierte Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) mit dem Titel „Gender, Instrument der Umerziehung? Ziele, Kosten, Wirkung“. Unverhohlen wurden dort Erkenntnisse angezweifelt, die schon Simone de Beauvoir, eine der symbolträchtigsten Figuren der Frauengeschichte, vertreten hat. Zahlreiche frauen-, homo- und transfeindliche Vertreter der Evolutionsbiologie, wie der umstrittenen Professor Ulrich Kutschera, zweifelten dort die Konstruktion des „sozialen Geschlechts“ an, der gesellschaftlichen Geschlechterrolle. Und dies ist nur ein Beispiel unter vielen. Erst jüngst eröffnete die ungarische Regierung des Ministerpräsidenten Viktor Orban, dass der Studiengang Gender Studies im nächsten Jahr abgeschafft würde. Sie sei davon überzeugt, dass Geschlechter biologischer Natur seien und keine gesellschaftlichen Konstrukte, erklärte Kanzleramtschef Gergely Gulyás. Nun, die Kenntnis der Arbeiten von Simone de Beauvoir oder Judith Butler könnte hier hilfreich sein.
Das DDF ist die digitale Fortsetzung des i.d.a.-Dachverbandes, deren Vorsitz Sabine Balke innehat, ursprünglich Leiterin des Berliner Lesbenarchivs „Spinnboden“. Der i.d.a. Dachverband, kurz für „informieren, dokumentieren, archivieren“, ist eine Verbundsdatenbank von 40 Lesben-/Frauenarchiven, -bibliotheken und -dokumentationsstellen deutschsprachiger Länder. Dazu zählen größere Einrichtungen wie die Dokumentationsstelle von Terre des Femmes oder das Archiv des Lette-Vereins, aber auch kleinere, wie die GrauZone, das die autonome DDR-Frauengeschichte dokumentiert oder die feministische Bibliothek MONAliesA in Leipzig. „Der Dachverband fungiert als Gedächtnis der Lesben- und Frauenbewegung sowie der Frauen- und Geschlechterforschung“, so Balke. Dass das dort angesammelte Material nun digital archiviert ist, sei in dieser Form ein weltweit einmaliges Projekt, fährt die studierte Soziologin mit sichtlichem Stolz fort.
Ein Blick in das Portal sorgt für viele Überraschungen. So kann man dort sogar private Bilder der schwarzen Aktivistin May Ayim entdecken – entspannt im Urlaub oder in familiärer Runde beim Weihnachtsessen. Das DDF hat also nicht ausschließlich wissenschaftlichen Anspruch, sondern bietet auch einen sehr persönlichen Einblick in das Leben vieler großartiger Frauen.
Außerdem finden sich verschiedene Publikationen und Digitalisate, zum Teil unveröffentlichte Dokumente wie Briefe oder auch Tonaufnahmen, die bestimmte Bereiche der Frauengeschichte aus Bildung, Politik, Kunst und Kultur etc. dokumentieren, erläutern und erklären. Man stößt auf „frau anders“, einem ehemaligen DDR-Frauenmagazin aus dem GrauZonenArchiv oder man begegnet den „liebenden Frauen“, einer Lesbenzeitschrift der 20iger Jahre. In Zeiten des Datenschutzes, das den Zugang zu solch historischen Schätzen, die gleichzeitig auch noch Aufklärungsarbeit leisten, immer schwerer machen, ist die Veröffentlichung solch eines digitalen Archivs eine enorme Bereicherung.
Es lässt sich erahnen, wie viel Arbeit hinter dem sich über zwei Jahre erstreckenden Digitalisierungsprozess steckt, angefangen bei Urheberrechtserklärungen bis hin zu Quellenangabe jedes einzelnen Dokuments. Die Rubrik „Akteurinnen“ beinhaltet sowohl Biographien von Personen als auch die Vorstellung von Institutionen, die einen Beitrag zur Frauengeschichte geleistet haben. Der dafür digitalisierte Bestand erstreckt sich über einen Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis hinein die Gegenwart und zeigt: es gibt nicht die eine Frauengeschichte oder die eine Frauenbewegung. „Sie besteht aus vielen verschiedenen Einzelgeschichten. Sie ist ein endloses Mosaik“, so Balke. Wie endlos sie ist, verdeutlicht eine riesige Map, die bis ins kleinste Detail aufzeigt, ob die einzelnen Frauen untereinander vernetzt gewesen sind. Wussten Sie, dass die junge Studentin May Ayim der sich selbst als „Schwarze, Lesbe, Feministin, Mutter, Dichterin, Kriegerin“ bezeichnenden Aktivistin Audre Lorde in einem Hörsaal der Freien Universität Berlin begegnet ist?
Ausschlaggebend für die Idee des DDF war übrigens ein Satz aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom November 2013. Dort hieß es wortgetreu: „Wir wollen die wissenschaftliche Aufarbeitung der Deutschen Frauenbewegung, unter besonderer Beachtung der Frauenbewegung in der DDR und der Umbruchzeit 1989/90 vorantreiben, indem wir die existierenden Materialien unter Einbeziehung der Frauenarchive in einem 'Digitalen Deutschen Frauenarchiv' sichern und der Öffentlichkeit zugänglich machen.“ „Da haben wir vom Dachverband natürlich sofort zugegriffen und gesagt, wir wollen das gerne übernehmen“, erzählt Balke.
Denn es scheint nicht ganz selbstverständlich, dass eine Regierung unter CDU/CSU-Beteiligung ein derartiges Projekt befürwortet, welches nicht nur die Geschichte des klassischen, deutschen Familienbildes dokumentiert, sondern auch kleinere Institutionen wie das Trierer Archiv für Geschlechterforschung unterstützt. Dort wird sich nämlich nicht nur mit Frauengeschichte auseinandergesetzt, sondern auch die Geschichten von Lesben, Schwulen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen aufgearbeitet. Und es ist noch nicht allzu lange her, dass sich rund Dreiviertel der Unionsabgeordneten bei der Abstimmung im letzten Jahr gegen die Ehe für alle aussprachen. Außerdem gehören antifeministische Narrative wie „Genderideologie“ und „Genderwahn“ zum Vokabular einiger Politiker*innen nicht nur der AfD, sondern auch der CDU. Erst vergangenen Oktober erregte Hamburgs Junge Union-Chefin Antonia Niecke mit ihrer Kritik an geschlechtergerechter Sprache die Gemüter. Trotzdem wird das DDF nun bis Ende 2019 mit einer halben Millionen Euro pro Jahr durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt. Altkanzler Schröder, im Übrigen kein CDU Politiker, bezeichnete dies einst als das Ministerium „Familie und Gedöns“.
Bei so viel (politischem) Gegenwind erscheint es umso wichtiger, die Ziele und Ansprüche des Archivs zu unterstützen. „Frauengeschichten sollen endlich in ihrer Vollständigkeit sichtbar werden“, führt Balke an. „Alle sprechen immer nur von Bach, Beethoven, Mozart oder Liszt. Ich will zum Beispiel endlich mal etwas über die Frauen im Bereich der klassischen Musik erfahren. Denn die gibt es auch, nur über die wird nicht gesprochen.“ Balkes Aussage erinnert stark an den erst kürzlich von Sibylle Berg und zehn weiteren Frauen veröffentlichten #diekanon. Die Aktion war eine Antwort auf den Artikel „Wir brauchen einen neuen Kanon“ des Zeitredakteurs Thomas Kerstan. Dieser hatte im Nachhinein eine hitzige Diskussion im Netz ausgelöst, nicht nur, weil Kerstans Kanon hauptsächlich männliche Persönlichkeiten aufführt. Auch, weil mal wieder er allein darüber entschieden hat.
Genau 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland setzt ein so vielfältiges und einmaliges Projekt wie das DDF, das nicht nur Informations-, sondern vor allem gleichstellungspolitische Arbeit leistet, immer noch ein wichtiges Zeichen. Aktuelle Aufschreie wie #MeToo oder #MenAreTrash, oder eben jener umstrittene Zeit-Artikel beweisen das nur zu Genüge. Es gibt sie, die berühmten und weniger berühmten Frauen. Es gibt und es gab sie schon immer. Zahlreich. Und es ist höchste Zeit, das alle es wissen. Gleich hier, unter www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de, kann damit angefangen werden.
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