Kretischer Käse wird zum Krisengewinnler

Mehr Süden wagen In Griechenland hat die Wirtschaftskrise auch in der Esskultur Spuren hinterlassen
Ausgabe 47/2017
Nicht alles Käse: Die griechische Küche setzt wieder vermehrt auf traditionelle Rezepte
Nicht alles Käse: Die griechische Küche setzt wieder vermehrt auf traditionelle Rezepte

Foto: Michalis Karagiannis/AFP/Getty Images

Eva wollte dringend etwas sagen, doch weil sie gerade kaute, versuchte sie, sich mit ausladenden Handbewegungen auszudrücken. Zeigte mal auf die Speisekarte und beschrieb dann mit der rechten Hand große konzentrische Kreise in der Luft. In Griechenland ist diese Quirlbewegung gleichbedeutend mit „großartig“, „unbeschreiblich“ – oder in unserem Kontext: „köstlich“.

Auf dem Tisch türmten sich Teller: überbackene Muscheln, Schwarzaugenbohnen mit frischer Petersilie, Hackbällchen vom Grill, marinierte Sardinen, karamellisierter Schweinebauch. Sowie Eva runtergeschluckt hatte, hob sie an. „Was ihr unbedingt auch probieren müsst“, sagte sie, und zeigte kauend auf die Speisekarte. „Ausgebackener Käse mit Honig und Sesam“, stand da; ein salzig-süßes Dessert aus Kreta.

Vor ein paar Jahren hätte man in Athen vergeblich danach gesucht. Doch in den Jahren der Krise hat sich in griechischen Tavernen eine kleine Revolution vollzogen. Auf der Suche danach, was die griechische Küche vom globalisierten Einheitsfood unterscheidet, haben sich die Köche auf traditionelle Rezepte besonnen. In die Hände spielt ihnen dabei, dass junge Unternehmer beim Versuch, kleine, aber feine Exportwaren für spendierfreudige Gourmets weltweit zu schaffen, vergessene Spezialitäten wiederentdecken. Schließlich nehmen die Tavernen inzwischen Rücksicht auf Gäste wie Eva.

Vor der Krise ging die Architektin mindestens ein, zwei Mal pro Woche in die Taverne. Weniger wegen der Speisen als wegen der Geselligkeit. Mit Freunden zusammenzusitzen, ohne dabei zu essen, ist in Griechenland undenkbar. Und Alkohol jenseits der Mahlzeiten zu sich zu nehmen, gilt als barbarisch. Dementsprechend gab es bis zum Ausbruch der Krise Tavernen wie Sand am Meer. Sie servierten mäßiges bis schlechtes Essen und meist miserablen Wein, und sie waren immer voll.

Doch das Budget fürs Ausessen gehörte zu den ersten Dingen, die die Griechen strichen. Bereits im zweiten Jahr der Krise, 2011, beklagten Tavernenbesitzer einen Umsatzeinbruch von bis zu 80 Prozent. Seither haben Tausende von Tavernen dichtgemacht. Schon allein weil sich die Menschen mit ihren Sorgen zurückgezogen haben. Und wenn sie einmal ausgehen, dann müssen Preis und Qualität stimmen. Früher musste man sich ausgiebig informieren, wo sich das Essen lohnt, wollte man keinen Reinfall riskieren. Heute kann man sich fast überall niederlassen, ohne enttäuscht zu werden.

Der Kellner brachte den Käse. Eva schnitt ihn auf und verteilte ihn auf unseren Tellern. Dann goss sie allen Wein nach. Sie hatte gerade ein Projekt unterzeichnet, für die nächsten anderthalb Jahre war ihr Auskommen gesichert, das feierten wir gerade.

Später gingen wir zu Fuß nach Hause. An vielen Mülltonnen hingen Plastiktüten, auch das ein Phänomen der Krise. Übrig gebliebene Lebensmittel werden nicht mehr mit dem Abfall entsorgt, sondern gesondert weggeworfen. Um den Menschen, die sich gar nichts mehr leisten können, die Schmach zu ersparen, im Müll nach Essbarem zu suchen.

Alkyone Karamanolis hat deutsch-griechische Wurzeln. Die Journalistin berichtet seit 2002 aus Griechenland

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