Ilya, ich und die gute Stube

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion


Letztens war ich bei Ilya Kabakov -naja oder zumindest in seiner Ausstellung ‚A Return to Painting‘ im Sprengel –Museum, Hannover. Aber ein bisschen war ich auch bei Ilya und warum? Zynisch bemerken könnte ich: „Weil ich die einzige war, die da war.“ Diese wundervollen, hohen, weißen Räume des Sprengel -Museums und nur ich und Ilyas Bilder. Aber eigentlich meine ich etwas anderes, nämlich das, was ich gesehen habe. Die Ausstellung ist gewissermaßen chronologisch gehängt. Der erste Zyklus den man, vorausgesetzt man folgt den Anweisungen, sieht, sind die so genannten ‚Shek‘-Tafeln Kabakovs, die zwischen 1978-1982 entstanden. Darin karikiert Kabakov die vielen überflüssigen Hinweisschilder, die es in sowjetischen Wohnblöcken gab, die irgendetwas erklären, was keiner Erklärung bedarf: etwa wie man korrekt den Müll herunterbringt. Besonders heimelig wurde mir aufgrund der Farbpalette Kabakovs zu Mute, die ich aus meiner Kindheit im (real existenten) sozialistischen Plattenbau kenne: Nicht nur das typische ‚Russengrün‘, sondern auch ein Blau und ein Gelb, das es so, heute und hier im („Wir-haben-gewonnen!“- ) Spätkapitalismus nicht mehr gibt. Kabakov verortet sich aber nicht nur farblich eindeutig in der Sowjetunion, sondern auch stilistisch bewegen sich seine ‚Shek‘-Tafeln im sozialistischen Realismus- ein bewusst gewählter Stil, der den Kontrast zum völlig überzogenen Inhalt nur umso stärker hervorbringt. Dabei entwirft er Anleitungen für völlig absurde Dinge wie etwa die Gestaltung eines Sonntag Nachmittags, die als scharfe Kritik an der Politisierung des Privatesten verstanden werden dürfen, wählt dabei aber eine formelle Darstellung wie es das SHEK, das Büro für Wohnungsbau, nicht hätte besser machen können. So wirken seine Hinweisschilder erschreckend echt, beinahe wie ‚abgemalt‘ und erst durch den Inhalt erschließt sich eine kritische Distanz zum Original.
Was mich jedoch am meisten bewegte bei meinem Besuch in Ilyas guter Stube waren seine ‚White Paintings‘, die auf den ersten Blick wenn man noch in einiger Entfernung zu ihnen steht wie einfache, übergroße, weiß bemalte Holztafeln wirken, an deren Rand etwas konfus rumgekritzelt wurde. Man denkt, dass man das schon kennt (oder: erstaunlich, dass IHR DAS zu DER Zeit DA DRÜBEN auch schon hattet) und will schon weiter, ehe man doch noch erkennt, dass es keine Kritzeleien sind, sondern eine kleine, liebevoll ausgestaltete, typisch russisch ländliche Handlung ist, die sich einmal um den ganzen Rahmen bewegt mit allem, was man aus Norman Jewisons ‚Anatevka‘ so kennt: Pferdewaagen, diese kleinen Häuschen und vor allem, dass alle irgendwie unterwegs sind. Bei Kabakov folgt jeder seinem Vordermann und keiner ahnt, dass sich das ganze immer im Kreis um ein leeres Zentrum bewegt. Einerseits fühlt man sich wie vor einem Spiegel, als müsse man sich das Sujet dazu denken und Herr Kabakov gibt lediglich eine ‚Rahmenhandlung‘, andererseits fängt man an Fragen zu stellen: Wo laufen die denn hin? Wissen die warum sie unterwegs sind? Warum tanzt nicht mal jemand aus der Reihe? Ist doch genug Platz. Dann setzte ich mich hin. Auf den Boden, denn es gibt keine Bank vor ‚People, Houses and Horses‘. Ich fühle mich ein wenig überwältigt von so wenig Essenz bei der Abbildung der eigenen Gesellschaft. Und wie ich darüber nachdenke, dass der Sozialismus eine gewisse Vorliebe für große leere Plätze hat, weil es sich auf diesen so wunderbar paradieren und appellieren lässt, da wird mir klar, dass es sich auch um die aufgeblähte, aber im Kern essenzlose Macht im Inneren handeln muss, die das Volk an den Rand verfrachtet, wo es immer schön im Kreis marschieren darf. Nie zu nah zur Mitte. Mitte ist gefährlich. Ohne eine Ahnung, wie man sich die Mitte vorstellen muss. Das Zentrum der Macht als großer weißer Fleck, der droht das gesamte Werk zerbrechen zu lassen. Spätestens an diesem Punkt fühle ich mich ein wenig einsam und sehne mich nach ‚guter Gesellschaft‘ mit Essenz, aber die läuft an diesem Samstag lieber knapp an Ilya vorüber über den zugefrorenen Maschsee vor dem Sprengel -Museum. Und da hat sie was verpasst!

Ilya Kabakov 'A Return to Painting- Eine Rückkehr zur Malerei. 1961-2011' noch bis zum 6. Mai 2011 im Sprengel-Museum Hannover.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden