Me, myself und die Mikrowelle

Mysterium Mikrowelle Was passiert wenn man 7-jährige unbeaufsichtigt zuhause lässt- eine Retrospektive einer Überlebenden.

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Als der Sozialismus ging, ich war gerade fünf geworden, kam nicht nur Hanuta in den Konsum, sondern auch eine Mikrowelle in unser Haus. Meine Mutter war verwirrt. Im realexistenten Sozialismus hatte sie gelernt, dass eine gute Mutter ist, wer vollzeit berufstätig ist und die Kindererziehung spätestens ein halbes Jahr nach der Niederkunft in die Obhut der staatlichen Anstalten gibt. Nun kam ich in die Schule und diese endete 13 Uhr. Zudem hatte sich meine Mutter selbstständig machen müssen, erstens wegen der Treuhand und zweitens weil es modern war. So unendlich modern wie das Selbstständig machen war 1990 in Ostdeutschland nur eines: die Mikrowelle. Und beides ergänzte sich ganz wundervoll an dem Punkt, an dem ich, gerade Erstklässlerin geworden, mittags allein nach Hause kam und Hunger hatte. Alles, was ich also lernen musste um mit meinen 7 Jahren in der neuen Moderne des Westens anzukommen, war die Bedienung einer Mikrowelle. Nun war es keineswegs so, dass meine moderne, selbstständige Mutter nach ihrem nicht mehr ganz so pünktlichen Feierabend noch selbst kochte. Nein, auch da hatte der Westen eine Lösung parat, die sich geschmeidig ins Gesamtbild fügte: die 5-Minuten-Terrine. Nur noch Wasser hinzufügen, 2 Minuten am Rädchen einstellen und ‚Start‘. Heraus kamen so gruselige Gerichte wie Kartoffelbrei mit (sägespäneartigen) Fleischklößchen und Ratsherrentopf, eine Suppe mit Nudeln und ‚Gemüse‘.

Spätfolgen

Welche Konsequenzen das auf meinen sich noch in der Entwicklung befindlichen Verdauungsapparat hatte, frage ich mich bis heute. Zumal dieser Übergang aus der sozialistischen Kindergartenküche, die hauptsächlich aus Kartoffeln und Kraut bestand, hin zur modernen westlichen Art der Ernährung ein recht schneller war. Ich habe es überlebt. Wie bleibt noch zu klären. Vielleicht deshalb, weil ich jede Menge Spaß hatte. Besonders mit der Erwärmung nicht-mikrowellengeeigneter Produkte jeder Art: schmelzende Plastik, explodierende Schaumküsse (die man damals noch politisch unkorrekt Negerküsse nannte) und am allerliebsten: Metall. Denn nur das machte diese wunderbaren blauen Blitze, die mich an das Neujahrsfeuerwerk erinnerten und bis heute faszinieren. Als Jahre später unsere Mikrowelle den Dienst quittierte, war ich die Einzige, die wusste warum. Denn natürlich hatte mein Vater, seines Zeichens Elektroingenieur, alle nötigen Bedienungsanweisungen in schier endlosen Vorträgen mehrfach zum Ausdruck gebracht. Wie hätte ich sonst wissen sollen, dass es blaue Blitze gibt, wenn man das Geschirr mit Goldrand verwendet? Noch besser war die Kombination aus Goldrand und Löffel in der Tasse. Der Kakao, der dabei erwärmt wurde, war dann lediglich noch Statist in meinem Lieblingsspiel zur Wendezeit. Zu den Spätfolgen kann ich sagen, dass meine Physiknote nie schlechter als zwei war und dass ich bis heute keine Geschmacksverstärker verdauen kann. Mikrowellen benutze ich immer noch. Nachdem ich mal eine in Brand gesetzt habe bei dem Versuch Aufbackbrötchen zuzubereiten, allerdings mit etwas mehr Vorsicht.

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