Belastete Kleidung

A–Z Nazi-Uniformen Als Merkel Athen besuchte, trugen drei Demonstranten Nazi-Uniformen. Wir verraten, warum Spock auch mal eine anzog und wie sich Zeichen vom Bezeichneten ablösen können

A

Aussteiger

Walden in Uniform: Ein 45-Jähriger hat sich bei Cambridge in ein Leben im einfachen Zelt zurückgezogen. Doch manchmal haben ihn Ausbruchswünsche aus der selbst gewählten Isolation wohl übermannt. So gab es gehäufte Anrufe bei der Polizei, bei denen sich Menschen über einen Betrunkenen beschwerten, der in Nazi-Uniform herumlaufend Beleidigungen ausstieß. Der Alkoholkranke sagte selber, er wollte niemanden belästigen und habe mit seinen Gesten die Menschen lediglich zum Tanzen eingeladen.

Seine Verteidigerin meinte, er wollte wohl erreichen, für kurze Zeit ins Gefängnis zu kommen, um dort Mahlzeiten und Obdach zu erhalten. Das wurde ihm vom Gericht verwehrt, welches allerdings seine Bewährungszeit für die Anti-Social-Behaviour-Order bis Frühjahr verlängerte. Sollte er gegen dieses Verhaltensgebot etwa durchs Tragen einer Nazi-Uniform verstoßen, könnte er doch noch im Gefängnis landen. Tobias Prüwer

B

Boss

Ein brauner Fleck auf der weißen Weste kann ziemlich aufs Image und Geschäft drücken, zumal wenn es sich um eine Nobelmarke wie Hugo Boss handelt. Dass Firmengründer Hugo Ferdinand Boss ein bekennender Nazi war, ist seit Langem bekannt. Er trat bereits 1931 der NSDAP bei und musste nach dem Krieg 100.000 Reichsmark zahlen. Diese Strafe wurde später aufgehoben und Boss nur als „Mitläufer“ eingestuft. Ernste Zweifel daran sind angebracht. Eine von der Firma Boss selbst in Auftrag gegebene und im August 2011 veröffentlichte Studie stellte klar: Das Unternehmen hat Uniformen für die Wehrmacht, SS und Hitlerjugend geschneidert und „ökonomisch nachweislich“ vom Nationalsozialismus profitiert, wie der Autor der Studie, der Wirtschaftshistoriker Roman Köster, schreibt. Bei der Produktion wurden Zwangsarbeiter und französische Kriegsgefangene eingesetzt. Viele von ihnen seien eingeschüchtert worden. Die Hugo Boss AG hat nach Bekanntwerden dieses Umstands zumindest in den Fonds zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter eingezahlt. Mark Stöhr

F

Fetisch

„Real-Life Nazis raus“, postet blackcat. Im BDSM-Forum will sie sich austauschen, ohne mit jenen zu tun zu haben, die die Hassbotschaften ernst meinen. BDSM steht für Fesseln, Dominanzspiele und Sado-Maso. Jene, die mit Nazi-Ästhetik spielen, sind vor allem in den USA vertreten. Aber auch in Deutschland gibt es eine Szene. Und es wird immer wieder diskutiert: Darf der Nazi-Style antörnen? Einige fordern Distanz, andere setzen auf Subversion, indem man die Symbole der Gewalt umkodiert.

Dass es bei SM nur um Tabubruch gehe, ist ein Klischee der Popkultur. Der Stil wird kopiert, um zu provozieren, siehe Lady Gaga. So haben Praktizierende damit zu kämpfen, als krank oder abnorm zu gelten. In der Szene propagiert man jedoch Rücksichtnahme und Respekt persönlicher Grenzen. Auf Uniformität soll bewusst verzichtet werden, auf Uniformen nicht unbedingt. Franziska Schulteß

G

Griechen

Das war eine Spitzenidee von Angela Merkel, vergangene Woche für fünfeinhalb Stunden nach Athen zu reisen. 7.000 Polizisten mussten 40.000 wütende Demonstranten im Zaum halten. Die Bild zu Hause schäumte: „Undankbarer geht nicht!“ Und musste mitansehen, wie einige den Protestzug als Nazis verkleidet auf einem Militärjeep begleiteten. Wenn alle anderen Provokationen wirkungslos geworden sind, sticht bekanntlich nur noch das Hakenkreuz. In der Bild-Redaktion wurden hektisch die „Pleite-Griechen“ in die „irren Nazi-Griechen“ umgetauft. Diese entpuppten sich als Mitglieder der staatlichen Gewerkschaft „Poe Ota“. Drahtzieher war deren Chef Themis Balatsopoulos höchstselbst. „Ich habe mir die Aktion ausgedacht“, gab er Bild zu Protokoll, „weil wir Aufmerksamkeit erregen wollten“. Ach, echt? Das hätte dann doch keiner gedacht. MS

L

Lubitsch

„Sein oder Nichtsein“ – das ist nicht nur die Frage für Shakespeares Hamlet, sondern auch für die Schauspieler des Teatr Polski im gleichnamigen Film von Ernst Lubitsch. Während Nazi-Uniformen 1942 in Europa grausame Realität waren, inszenierte Lubitsch in den USA ein Verwirrspiel, mit diesen Uniformen als zentralem Element.

Im Film stecken die polnischen Schauspieler gerade in der Dienstkleidung der Nazis, um Hitler, den „Mann mit einem kleinen Schnurrbart“ aus dem Nachbarland in einer Komödie zu karikieren. Doch dann überfällt der Polen. Das Stück wird abgesetzt, stattdessen steht Hamlet auf dem Plan. Die alten Kostüme brauchen sie trotzdem. Denn der Naziagent Professor Siletsky ist in Warschau, mit brisanten Informationen über polnische Untergrundkämpfer. Um deren Namen nicht in die Hände von SS-Offizieren gelangen zu lassen, inszeniert das Ensemble ein Stück um Sein oder Nichtsein. In den Uniformen der Besatzer spielen sie die Rollen ihres Lebens. Benjamin Knödler

M

Militaria

Auf der Suche nach einem Wehrmachtsmantel? Nach Schnittmustern aus strapazierbarem, feldgrauem Wolltuch? Der Winter soll ja wieder sehr frostig werden, mit eisigen Winden aus dem Osten. Für 49,90 Euro gibt es noch einen Stahlhelm dazu, ebenfalls eine Originalreproduktion und ein garantierter Hingucker auf der nächsten Kostümparty. Das Netz ist voll mit altem und dem Alten nachempfundenen Militaria-Mist. Eindeutige Nazi-Embleme auf den Reproduktionen sind, zumindest bei in Deutschland ansässigen Onlineshops, tabu, doch sie bedienen eine verquaste, offenbar immer noch vitale Landser-Romantik. Wer kauft so was und wofür? Ein Anbieter bekennt sich im Impressum mit salbungsvollen Worten zu Demokratie und Freiheit mit dem dezenten Hinweis: „Meine politische Grundüberzeugung ist konservativer Natur“. Ganz undezent hat er daneben ein Youtube-Video platziert: ein Zweite-Weltkriegs-Best-of der Wehrmacht, unterlegt mit dem Lied „Oh du schöner Westerwald“. MS

N

Nazi-Chic

Dass Uniformen bei vielen Menschen als schick gelten, ist bekannt. Da in Mitteleuropa schon länger keine größeren Kriege mehr geführt wurden, tun es hier meist Piloten-, Polizisten- oder Museumswärter-Uniformen.

In Ländern, die geografisch und kulturell etwas weiter entfernt sind von der Nazi-Vergangenheit, ist man da weit weniger vorsichtig. Vor allem in Japan und Amerika ist „Nazi Chic“ nicht totzukriegen. Bodenlange schwarze Mäntel mit Armbinde und SS-Kappe begegnen einem im Tokioer Trendviertel Harajuku mit derselben Wahrscheinlichkeit wie Goth-Lolitas oder menschliche Mangas. Auch in der Popkultur gehört es zum guten Ton, einmal einen anständigen Nazi-Skandal zu provozieren. Neben den Sex Pistols, Siouxsie and the Banshees und den Manic Street Preachers ließen auch die Rocker von Mötley Crüe es sich nicht nehmen, 1994 ihr Album-Booklet mit einem Bild ihres Bassisten Nikki Sixx in Nazi-Klamotten zu schmücken. Natürlich wurde es eingestampft, der Skandal war perfekt. Sophia Hoffmann

Neofolk

Der Neofolk, diese in den Achtzigern in England entstandene Musikrichtung des Post-Industrials, wird immer wieder in die Naziecke geschoben. Was bei einigen Bands völlig zu Recht als reines Bedienen neurechter Ideen und faschistischer Ästhetik kritisiert wird, ist als Pauschalzuschreibung aber falsch. Trugen Punks und Skins früher schon deshalb Arbeiterschuhe mit Schutzkappe, weil sie billig zu haben waren, griffen Neofolk-Fans aus dem gleichen Grund etwa auf Uniformen zurück. Auf diese Weise hatte man ein preiswertes Outfit, um sich in der Kleinst-Szene zu erkennen und gegenüber anderen abzugrenzen, was ja der Sinn jeder Subkultur ist. Dass man damit das martialische Auftreten verschiedener Neofolk-Gruppen unterstützt, ist sicherlich auch gewollt. Eine Uniform passt aber auch zur von minimalen Klampfen und Synthesizerteppichen erzeugten post-apokalyptischen Lagerfeuerromantik einfach zu gut als Kontrast. Bei Bands mit Trommelmärschen und Fanfaren fällt der Uniformgebrauch dann allerdings eindeutig aus. TP

S

Stalag

Sie hießen Stalag, wie die Abkürzung für Kriegsgefangenenlager während der NS-Zeit. Die Stalags waren pornografische Groschenromane, die zur Zeit des Eichmann-Prozesses in Israel erschienen. Als angeblich authentische Erlebnisberichte von alliierten Kriegsgefangenen erfreuten sich die Heftchen bei israelischen Teenagern großer Beliebtheit. Tatsächlich wurden sie aber von Kindern der Holocaust-Überlebenden verfasst. Sie brachen damit zwei Tabus: das elterliche Schweigen zum Holocaust und die damalige Prüderie in Israel. Meist handelten sie davon, dass ein Gefangener von weiblichen SS-Offizieren gequält und sexuell missbraucht wird. Zum Schluss rächt er sich. Dann erschien ein Stalag, in dem eine jüdische Frau Opfer sexueller Gewalt wurde. Ein israelisches Gericht verbot es – das war das Ende. Nach nur drei Jahren verschwand eines der umstrittensten popkulturellen Phänomene wieder von der Bildfläche. Anna Fastabend

Star Trek

Es gibt eine Raumschiff-Enterprise-Folge aus dem Jahre 1969, die in Deutschland erstmalig 2011 auf ZDFneo ausgestrahlt wurde. Nicht ganz ungewöhnlich, da das ZDF in den Siebzigern nur 39 von 79 Folgen der Staffel synchronisierte. Aber warum „Schablonen der Gewalt“ erst so spät gezeigt wurde, hat wohl einen anderen Grund. Kirk, Spock und Co. landen da auf dem Planeten Ekos und finden ein Regime vor, das nach nationalsozialistischem Vorbild organisiert ist. In manchen Szenen trägt die Enterprise-Besatzung selbst Nazi-Uniformen, und Spock macht Captain Kirk das fragwürdige Kompliment: „Sie geben einen sehr überzeugenden Nazi ab“.

Bild.de war sich nicht zu schade, die Ausstrahlung zum Skandälchen aufzubauschen, sprach gar von einer „verbotenen Folge“. Völliger Quatsch, da die NS-Ideologie keineswegs verharmlost wurde. Bemerkenswerter ist eher der postmoderne Zeichencrash (Zeichen), wenn Spocks Ohren unter der Totenkopf-Mütze der SS herausschauen. SH

Z

Zeichen

Ein Zeichen steht für etwas, das ist seine einfachste Definition. Damit fängt der ganze semiotische Ärger, also das Dilemma von Zeichengebrauch und Zeichenverständnis, aber erst an. Denn so einfach, wie man sich das einst vorstellte – das Wort Stuhl bezeichnet eben die Vorstellung eines realen Sitzmöbels –, ist es nicht. Man kam dann darauf, dass der jeweilige Kontext mitbestimmend ist, soll die Idee von Stuhl in „Heiliger Stuhl“, „heißer Stuhl“ oder „dünner Stuhl“ verstanden werden. Und auch mit diesem Ansatz gab sich nicht jeder zufrieden.

Die philosophische Postmoderne attackierte die klare Trennung von Vorstellung und Zeichen. Das Zeichen selbst wurde mehrdeutig, das gab ihm ein gewisses Eigenleben. Vom Ding an sich, dem konkreten Stuhl, sah man ganz ab. Die vermeintliche Eindeutigkeit der Welt zerfiel in ein Meer pluraler Bedeutungen. Noch radikalisierter bedeutet dies, dass keine Welt mehr hinter den Zeichen ist; sie die Wirklichkeit sind. Ob man so weit geht oder nicht: Im Dschungel der Zeichen ist Orientierung schwierig und der Satz „Der hat ‚Stuhl’ gesagt“ kann unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. TP

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