Ressourcenverteilung
„Banane? Aber du hast doch schon zwei Portionen Müsli gegessen. Und außerdem ist das unsere letzte. Die brauchen wir fürs Frühstück morgen.“
„Ich hab noch Hunger“, sagt die Dreijährige unbeirrt.
„Na gut, aber teilen.“
Manchmal scheint es ihr wichtiger, Bananen zu schälen, als sie zu essen. Schälen hat sie gerade erst gelernt, und sie ist wirklich stolz darauf. Diesmal geht es aber offenbar wirklich ums Essen. Flugs ist die Banane von der Schale befreit und in zwei Hälften gebrochen, die eine in der linken, die andere in der rechten Hand. Rechts wird abgebissen. Gut gemacht, will ich schon sagen. Da stopft die Linke plötzlich nach.
„Hey, ich hab Teilen gesagt.“
„Hab ich doch.“
„Und abgeben natürlich auch.“
„Aber dann isst du die Banane.“
Sie ist ehrlich entrüstet. In solchen Momenten muss man sich als Vater entscheiden, ob man konsequent bleiben will – oder ein Mensch. Denn in einem hat das Kind ja recht: Sie hat den Hunger, nicht ich. Ich habe das Übergewicht, nicht sie. Warum sollte in einem solchen Fall eine halbe Banane gerechter sein als eine ganze? Warum eine numerisch korrekte Verteilung mehr zählen als Bedürfnisse? Ich entscheide mich, mit strenger Miene zu kapitulieren.
„Danach ist Schluss!“
„Okay ... Aber wir teilen uns noch einen Keks, ja?“
Merke: Gerecht kann es auch sein, wenn die Mengenlehre eine Hilfswissenschaft bleibt. Steffen Kraft
Geschlechterkampf
Wir spielten Vater, Mutter, Kind. Ich war die Älteste, knapp fünf, deshalb durfte ich bestimmen. Wir waren zu dritt: meine Schwester, mein Bruder und ich. Meine Schwester durfte die Puppe mit den abgeschnittenen Haaren haben. Sie sollte meine beste Freundin spielen, die Puppe ihre schwer erziehbare Tochter. Sie sollten zu uns zum Frühstück kommen. Der Tisch war schon gedeckt. Plötzlich merkte ich, dass mein Bruder meine Babypuppe im Arm hielt und ein Schlaflied summte. Schon wieder machte er alles kaputt!
„Ich habe dir doch gesagt, dass es erst früh am Morgen ist“, sagte ich und zerrte am Puppenarm. „Du tust ihr weh“, sagte mein Bruder. Er hielt die Puppe fest. Ich wurde lauter. „Du bist ein Junge“, sagte ich. „Du heißt Michael, bist Ingenieur und musst JETZT zur Arbeit.“ Mein Bruder zögerte, dann ergab er sich seinem Schicksal und legt die Puppe vorsichtig in meinen Arm. „Ich dachte, wir spielen es heute mal anders herum“, sagte er enttäuscht. Dann fragte er: „Und was mache ich, wenn ich auf der Arbeit bin?“ „Ist mir doch egal“, sagte ich, „Guck halt Fernsehen oder hör Benjamin Blümchen, Hauptsache du bist weg.“
Im Kindergartenalter fand ich die Hausfrauenrolle super. Irgendwie auch klar, weil wir ja immer mit meiner Mutter zu Hause waren. Wir hatten keine Vorstellung, was mein Vater eigentlich tat, sobald er aus der Haustür war. Sein ernstes Gesicht und der Anzug sahen jedenfalls nicht nach Spaß aus. Deshalb war das Verhalten meines Bruders auch nicht außergewöhnlich fortschrittlich. Er wollte das spielen, was er tagtäglich vor Augen hatte. Ich aber verhielt mich als Kind damals total matriarchal und schickte ihn weg. Auch Mädchen können diskriminieren. Anna Fastabend
Gemeingut
Ich war vier und konnte damals gerade über den Tisch schauen, auf dem eine große Schale mit Zitronenbonbons stand. „Jeder darf sich bedienen“, hatte uns die Kindergärtnerin ermutigt. Das tat ich. Mehrmals. Bis die Schale leer war.
Als mich am Abend meine Eltern abholten, sahen sie sehr ernst aus. So wie Frau Volk, meine Erzieherin. „Und? Haben die anderen Kinder heute auch Bonbons abbekommen?“, fragte meine Mutter. Was sollte die Frage? Meine Eltern schleuderten Worte wie „Kollektiv“ durch die Luft oder redeten von Egoismus. Meinem. Ich hätte da wohl was missverstanden. Einfach etwas nehmen dürfen, wurde mir erklärt, bedeute nicht schrankenlose Freiheit, sondern Selbstbeschränkung. Zum Wohle der Gemeinschaft.
Am nächsten Tag sollte ich mich vor der gesamten Gruppe entschuldigen. Ein absurdes Ritual. Und alles nur, weil ich instinktiv nach Marx gehandelt hatte: „Jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Maxi Leinkauf
Integration
„Ich mag alle außer Amir.“
„Wieso magst du den nicht?“
„Ich weiß nicht … er darf auf jeden Fall nicht mitspielen.“
„Moment mal …“
„Jajaja, aber mit dem spielen wir jedenfalls nicht.“
„Wer ist ,wir‘?“
„,Wir‘ sind die, mit denen ich spiele.“
Ich gebe hier den Gesprächsverlauf zwischen meiner Tochter und mir wieder. Es ging um Mobbing im Kindergarten. Amir (Name geändert) werde ausgeschlossen, hieß es von Seiten der Leitung, unter anderem von meiner fünfjährigen Tochter. Wir Eltern waren angehalten, „ein ernstes Wörtchen ...“ und so weiter.
Das Ganze ist kein Einzelfall. Die Studie „Mobbing im Kindergarten – beschimpft, geplagt und ausgelacht“ kam zu dem Schluss, dass rund 15 Prozent der Kinder in deutschen Kindergärten gemobbt werden. Eine der interessantesten Präventionsmaßnahmen stammt aus den USA. Vivian Paley, eine Erzieherin, untersuchte in den 1970ern das Spiel-Verhalten von Vorschulkindern, um herauszufinden, warum wer gemobbt wird. Sie führte schließlich eine kleine, genial-einfache Regel ein: „You Can’t Say You Can’t Play“ („Du darfst nicht sagen: Du darfst nicht mitspielen“). Ihr Ansatz: Wenn Kinder so schwierige Etikett-Regeln wie „Vor dem Essen Händewaschen“ lernen können, warum dann nicht auch soziale? Für jeden, der glaubt, dass Unterdrückung und Distinktion etwas Naturgegebenes ist, wird Paleys Idee wohl naiv klingen. Ihre Erfahrungen hat sie in dem inzwischen neuaufgelegten Buch You Can’t Say You Can’t Play aufgeschrieben. Es ist eine kluge, witzige, bescheidene Erzählung darüber, dass „Natur“ etwas ist, das wir täglich neu herstellen. Mikael Krogerus
Gleichbehandlung
„Papa, warum hast du keine Klingel?“
„Es war keine am Fahrrad dran, als ich es gekauft habe. Und ich brauch auch keine.“
„Du musst dir eine holen!“
Mein dreijähriger Sohn hat das Wort „Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung“ noch nie gehört, aber seitdem er bemerkt hat, dass seine Mutter eine Klingel am Rad hat, genauso wie er am Laufrad, dass sein Vater aber klingellos herumfährt, führen wir fast jeden Morgen vor der Fahrt zur Kita denselben Dialog. Er akzeptiert nicht, dass ich von der Klingel-Regel abweiche. Dieses sture Festhalten an Prinzipien hat manchmal etwas Nervtötendes, manchmal auch etwas Erschreckendes – wird er etwa ein Doktrinär? Aber eigentlich klagt das Kind hier ja nur Gleichbehandlung ein. Und damit ist es doch verdammt nah an der Gerechtigkeitsvorstellung der Erwachsenen, die jede Form der Ungleichbehandlung eben oft auch als tiefes Unrecht empfinden. Der Unterschied ist nur: Erwachsene finden immer Gründe, warum eine Ungleichbehandlung dann doch gerechtfertigt ist. Kinder nicht. Jan Pfaff
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