Rolling Stones von A–Z: Es ist nie genug

Lexikon Vor genau 50 Jahren spielten die Rolling Stones ihr erstes Konzert. "Freitag"-Autoren und -Blogger erinnern sich an ihr Leben mit den Stones, im Lexikon der Woche
1964, als die Stones gerade zwei Jahre alt waren: Brian Jones, Bill Wyman, Keith Richards, Mick Jagger und Charlie Watts (von links)
1964, als die Stones gerade zwei Jahre alt waren: Brian Jones, Bill Wyman, Keith Richards, Mick Jagger und Charlie Watts (von links)

Foto: Michael Ward / Getty Images

A

Amiga Bei mir zu Hause steht eine LP von den Stones – sie war irgendwann da, einfach so. Die einzig offizielle DDR-Veröffentlichung, erschienen 1982 bei Amiga. Es ist die zweite Ausgabe, die mit dem blauen Label. Die erste war noch mit einem roten erschienen, angeblich wurde die Farbe aus Geldmangel gewechselt, ich habe im Internet nachgeschaut.

Warum die Band „in der DDR verboten“ war, fragt einer im Internet. Sie war es nicht, auch wenn die Politbürokratie vor jeder Abweichung, jeder radikalen Pose und den langen Haaren diese verstockte lächerliche Angst hatte.

Klaus Gysi, einst DDR-Kulturminister, hat, 15 Jahre bevor die Platte dann doch aufgelegt wurde, gesagt, er „halte es für notwendig, auftretenden Tendenzen westlicher Unkultur und Versuchen, Beat-Musik etwa nach dem ,Vorbild‘ der Rolling Stones in die Jugend hineinzutragen, keinerlei Raum zu geben“. Aber 1982 kam dann eben doch die Platte der Gangster im VEB Deutsche Schallplatten heraus: „I Can’t Get No Satisfaction“. Ich damals auch nicht. Tom Strohschneider

B

Besessen Er war blass im Gesicht, und ich nahm ihn auch sonst kaum wahr. Bis zu diesem Tag im November. Da stand er vor der Klasse, um einen Vortrag über seine Lieblingsband zu halten. Er redete von Mick und Keith wie von alten Freunden. Wie sie mal in ein Hotelzimmer gesperrt wurden, um einen Nummer-1-Song zu komponieren. Es wurde „Play With Fire“. Alex hat routiniert aus „Time is on my Side“ zitiert und beschrieb wortreich, wie Mick sich auf der Bühne bewegte. Er tänzelte selbst ein bisschen, sein Blick entrückt, aber er merkte das gar nicht. Er war 16. Und wie besessen. Ich verliebte mich sofort. Als ich seine Freundin war, durfte ich dann seine Plattensammlung sehen. Fast 300 Alben, Raubpressungen und Bootlegs. Für mich klang alles gleich, er konnte jeden Riff unterscheiden. Er ging, die Stones sind geblieben. Maxi Leinkauf

C

Charlie Er braucht das alles nicht. Frauen, Drogen, den Wahnsinn. Er hat ja diese Hände, die beiden Stöcke, das Schlagzeug, den Takt. Er schenkt uns das Intro von „Honky Tonk Woman“. Natürlich hat auch er in den Sechzigern lange Haare und Schlaghosen getragen. Aber schon damals wirkte er so in sich ruhend, hinter all diesen Selbstdarstellern, den Spielern, die es in die Hölle trieb. Charlie Watts hat heute noch die Frau, die er damals fand, und diesen Blick: „Strampelt euch mal ab, Jungs. Ich mach mein Ding.“ Watts ist vielleicht kein Gott, aber er ist die Basis dieser Band. Er hat eine Ausbildung als Grafiker, und er machte nebenbei noch Jazzmusik. Sein Leben waren nie nur die Stones. Charlie Watts ist in Würde gealtert, einer Würde, mit der er die ständigen Affären seiner Jungs ausstand. Und trotzdem wirkt nichts an ihm bieder. Sondern er kommt daher wie ein Sir, sogar wenn man ihn im Rollstuhl auf die Bühne des Berliner Olympia-Stadions schieben muss – cool und erhaben.

Jagger neben ihm? Wie ein trotziges, zappelndes Kind. Eines, das nie erwachsen werden kann. ML

E

Eifersucht An der Wand hingen noch die Michael-Jackson-Poster, aber in dem Sony-Tapedeck, das ich mir von meinem ersten Westgeld gekauft hatte, lief nicht „Billy Jean“ – sondern „Tell Me“. „I want you back again. I want your love again.“ Sehr laut. Meine Mutter klopfte nicht an, sie stürmte ins Zimmer. „Was hörst du?“ Ich schwärmte von dem Song, der zu meiner Situation passte. „Sag mir, dass du zu mir zurückkehren wirst.“ Ist doch mein Lied!, rief sie und sah mich empört an. Wie ich tun könne, als hätte ich es entdeckt? Ich wollte nicht etwa IHR was über die Stones erzählen? Oder die Liebe? ML

H

Hochzeit Mit meinem Mann trat ein überzeugter Stones-Fan in mein Leben. Nach unserer Billigheirat in Las Vegas, vor dem Drive up window, waren wir in einem Edelhotel in Arizona, in dem eine prunkvolle Hochzeit stattfand. Wir saßen am Abend auf der Terrasse, als eine Band zu spielen begann und alle steif zu tanzen anfingen. Mein Mann flüsterte mir zu, an die Stones traue sich diese Band nicht. Schon fingen sie an, „Under the Boardwalk“ zu spielen, im Original von den Drifters, unvergesslich aber in der Stones-Version. Aus der seriösen Hochzeitsgesellschaft wurde ein ausgelassener Haufen, wir tanzten mit und hatten, weit weg, mit dem anderen Paar, das wir nie kennenlernten, eine wunderschöne Hochzeitsfeier. Hoffentlich sind die beiden auch noch zusammen. Christel

I

Iran Ich erinnere mich an alte Schwarz-Weiß-Bilder meines Vaters: Er steht mit Freunden auf einer Bühne und macht Musik. Das war im Iran der sechziger Jahre. „Jumping Jack Flash“ von den Rolling Stones war einer der Songs, die er begeistert hörte und die er mir später in Deutschland auf seiner Akustikgitarre vorgespielt hat.

Mick Jagger und seine Band lernte er als 17-Jähriger in iranischen Jugendmagazinen kennen. Die druckten nicht nur Bilder der Stones ab, sondern auch Übersetzungen ihrer Songs ins Persische. Mein Vater sprach kein Englisch, die Musik der Stones war für ihn aufregend genug. Rebellisch war ihr Aussehen, sie trugen enge, zylinderförmige Hosen, schwarze Halbstiefel und ins Gesicht fallende Haare. Sie hatten moderne elektronische Instrumente, die ihn anzogen. Und so dauerte es nicht lange, bis er und seine Freunde in die Jugendclubs gingen, wo sie sich Gitarren ausleihen und ihren Helden nacheifern konnten. Behrang Samsami

O

One-Night-Stand „My sweet Lady Jane“ war meist der letzte Titel, den die Studentenband im Club in der Berliner Linienstraße gab. Wenn der gespielt wurde, war alles entschieden. Wer auf der Suche gewesen war, hatte entweder „gefunden“ oder aufgegeben. Wer schon zu zweit dort war, fand dies eine schöne Begleitmusik zu der Frage, wer sturmfreie Bude hat. Aber, ach. Ich tanzte zu diesem Titel auch mit einem jungen schwitzenden Kommilitonen, der heftig nach Bockwurst mit Salat roch, tanzte mit meinem Freund, der mir gerade eröffnet hatte, dass Schluss ist. Oder mit einem, den ich noch nicht kannte, von dem ich aber wusste, dass die Mädchen vor ihm heftig warnten. Bei ihm kam schnell der Moment, in dem es hieß: „Baby Baby Baby you’re out of time.”

Ich tanzte auch manchmal gar nicht, sondern beobachtete einfach nur, wie der, den ich so sehr geliebt hatte, mit einer anderen tanzte und sie heftig küsste. Diese Musik war wie ein Echo auf die Melancholie, die mich in dieser Zeit immer mal wieder befiel, nicht nur, aber auch im Studentenclub. Woher diese Melancholie kam, weiß ich nicht, aber ich fand es tröstlich, dass es dafür eine musikalische Sprache gab.

Wenn der Abend im Studentenclub vorbei war, lag der lange Weg – meist ins Studentenwohnheim, manchmal aber auch in ganz unbekannte Ecken der Stadt – vor einem. Abenteuerliche Zeiten mit abenteuerlichen One-Night-Stands. Und mir fiel danach Rilke ein: „Die Nächte sind nicht für die Menge gemacht“. Und da lag ich vielleicht gar nicht so falsch. Denn nicht gefundene „Satisfaction“ spielt in diesem Gedicht eine große Rolle, natürlich voller Poesie, Schöngeist und Ästhetik. Und am Ende des Wochenendes, vor dem Beginn einer Woche mit drögen Vorlesungen und manchmal langweiligen Seminaren konnte man sich den predigerhaften Trost abholen: „You can’t always get what you want.“ Du kannst nicht immer kriegen, was du willst. Magda

P

Punk „No Beatles, No Elvis, No Rolling Stones“, lautete die Parole meiner Jugend, formuliert von den Clash im Song „1977“. Also interessierte ich mich nicht für die Rolling Stones. Was kann man machen, der Mensch hängt nun einmal wie eine traurige kleine Marionette an den Fäden seiner Zeit.

Wäre ich noch ein paar Jahre älter, hätte man in großer Aufregung gerufen: „Hier kommt Stone!“, wenn ich um die Ecke gebogen wäre. Auf meiner Jeansjacke hätte gestanden: „Jagger is God!“ Ich hätte gekifft wie ein Weltmeister und den Bräuten die Welt erklärt. Dann wäre ich nach Indien aufgebrochen, wo ich hängen geblieben wäre, um viel später als Swami Ron Angelis einen kleinen Auftritt in Marcus Robbins’ Dokumentarfilm Last hippie standing zu haben. So aber hat es nur gereicht zu einem lieblosen, längst wieder verkauften Best-of-Album und dem fragwürdigen Umstand, dass ich den Song „In the year 2525“ im Schlaf vermutlich den Stones zuordnen würde. Michael Angele

S

Selbstverständlich Wenn man mit den Rolling Stones irgendwie aufgewachsen ist, gibt es nichts „Besonderes“. Sie gehörten dazu wie Pop-Shop und Frank Laufenberg, die kreisende Zweiliter-Chianti-Flasche, das Hasch, das manchmal sogar von Lehrern ausgeteilt wurde, und später die ideologischen Zerwürfnisse – aber mir fällt nichts ein, was „special“ gewesen wäre; außer, dass ich viel, viel später mit einem Freund, der aus der DDR kam, die Stones noch auf andere Weise entdeckte. Aber das sind so kompliziert-komische Geschichten, die kann man nicht einfach so aufschreiben. Ich kann mich an legendäre Konzerte mit Led Zeppelin erinnern, Pink Floyd war wichtig und die Doors und viele andere, aber die Stones waren schon da, die konnten wir nicht mehr entdecken. Man fühlt sich ja immer „dazwischen“, aber meine Generation, glaube ich, ganz besonders. Ulrike Baureithel

T

Trennung Im September 1965 verlor ich in Hamburg meine Freundin an die Stones. Gudrun, Zahnarzttochter, die ihre Eltern gern provozierte, hatte zwei Karten organisiert. Leider provozierten die Stones auch mich. Was ich in den etwa 20 Minuten des Konzerts erlebte, befremdete mich: die Musik laut und schnell, ein Frontmann, der seinen Frust ins Mikrofon schrie: Mich überforderte das. Ich kam aus der Provinz, aus einer Familie, die Willy Schneider schätzte, und von einem Gymnasium, das uns im Kampf gegen „amerikanische Unkultur“ mit Mozart und Beethoven munitioniert hatte. Gudrun fand meine Kritik an den Stones „spießig“. In den nächsten Monaten kühlte die Beziehung ab. Als ich für uns Beatles-Karten besorgen wollte, lehnte sie ab: „Das sind doch Weicheier.“ Als sie spielten, hatten Gudrun und ich uns schon aus den Augen verloren. koslowski

Z

Zauber Unser ständiges Thema: Beatles oder Stones? Meine Freundin war da unerbittlich, die Stones natürlich, und Keith Richards vor allen anderen. Ich stand ja mehr auf die Beatles, aber gegen Keith kam niemand an. Jedenfalls so lange, bis sie ihr erstes Stones-Konzert erlebte. Ganz vorn am Bühnenrand war sie ihrem Idol so nahe. Und dann das: In den Siebzigern war Keith Richards noch schwer auf Drogen, und man sah es ihm auch an. Da war nicht mehr viel übrig von der Coolness, er wirkte auch nicht mehr sexy, sondern sah einfach nur krank aus. Es fiel ihr schwer, das zuzugeben, aber der Zauber war gebrochen. Idealisierung braucht wohl Distanz. Ihre „Stones-Konfetti“ hat sie aber wie Reliquien gehütet. Jutta Zeise

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