A
Aktivismus
Die Yes Men sind nicht einfach Profis im Bluffer-Business, sie sind die Superstars in der Hall of Fame der Fälscher. Bekannt wurden sie durch Aktionen, bei denen sie sich als Repräsentanten von Industriekonzernen oder der Welthandelsorganisation ausgaben und Medien karikierte Versionen von deren Forderungen zuspielten. Seit ihrem Film The Yes Men Fix The World kennt sie jeder halbwegs politisch interessierte Mensch.
Der Erfolg ist aber auch ein Problem: Zu viel Berühmtheit ist in diesem Job nicht gerade förderlich. Bei den letzten Aktionen der Yes Men wurden sie schon nach kürzester Zeit enttarnt. Und als der Spekulant Alessio Rastani 2011 gegenüber der BBC zugab, mit der Rezession richtig Geld zu machen, wurden die Yes Men sofort zu ihrem neuen Coup beglückwünscht. Nur steckten sie gar nicht hinter Rastanis Auftritt. Es sieht nicht rosig aus für globalisierungskritische Hochstapler, wenn die Realität jede satirische Übertreibung noch toppt. Stina Hoffmann
Auftritt
Ein Film über einen Schwindel, der selbst im Kern einem Schwindel aufsaß? Der Tag, als die Beatles (beinahe) nach Marburg kamen ist ein Dokumentarfilm von 2006. Er erzählt die Geschichte von Ferdinand Kilian, einem Friseur, der eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt hat als der Mann, der 1966 „beinahe“ die Beatles nach Marburg gebracht hätte. In der Filmversion kam eines Tages ein Mann in Kilians Laden, der sich als Freund von John Lennon ausgab und einen Auftritt der Beatles in Aussicht stellte. Kilian nahm die Sache in die Hand, eine riesige Euphorie erfasste Marburg – bis sich das Ganze als Bluff herausstellte. Ein Freund Kilians behauptete nach Erscheinen des Films, den Unbekannten habe es nie gegeben, Kilian und er hätten sich die Geschichte ausgedacht. Der Friseurmeister kann dazu leider nichts mehr sagen. Er starb 1985. Mark Stöhr
C
Clou
Hollywood hat immer wieder gern große Bluffs verfilmt, aber selten mit einer solchen Detailverliebtheit und zugleich Leichtigkeit wie in Der Clou. Robert Redford und Paul Newman (Foto) spielten 1973 zwei Trickbetrüger im Chicago der Dreißiger, die sich an einem Mafiaboss rächen wollen, weil dieser einen Freund umbringen ließ. Um den Mobster um 500.000 Dollar zu erleichtern, errichten sie ein falsches Wettbüro und spielen ihm vor, es gebe eine Möglichkeit, die Ergebnisse der Pferderennen im Telegrafenamt abzufangen, um todsichere Wetten abzugeben. Der Film führt die wichtigste Grundregel in der Welt der Bluffs vor Augen. Sie lautet: Nichts ist, wie es scheint. Und das kann sehr unterhaltsam sein. Jan Pfaff
F
Fiktive Ethnologie
Seltsame Sitten haben die Völkerkundler da im Film Das Fest des Huhnes zusammengetragen. Während die Kirchen in der Untersuchungsregion leer bleiben, kommen die Ureinwohner zu kultischen Handlungen zusammen, besingen und trinken literweise Gerstensaft: „Rätätä, Rätätä, morg‘n hamma Schädelweh“. Dazu huldigen sie ihrem Totem, dem Huhn, das sie verspeisen und tänzerisch nachahmen, um ihm spirituell nahe zu sein. Oberösterreich muss eine der letzten von der Zivilisation unberührten Flecken auf Erden sein, denkt man, wenn man diesen Film anschaut.
In seinem Mockumentary aus dem Jahr 1992 drehte Walter Wippersberg die gewohnte ethnologische Perspektive um und ließ afrikanische Forscher in Österreich über Exotisches und Fremdes staunen. Der Film ist ein gutes Beispiel dafür, dass erfundene Dokumentationen auch erhellendes Potenzial haben. Der sich am Huhn abarbeitende „völkerkundlich geschulte Blick“ erhielt dann auch den Fernsehpreis der österreichischen Volksbildung. Tobias Prüwer
H
Hitler-Tagebücher
Es war der größte Skandal der bundesdeutschen Presse: Konrad Kujau schaffte es 1981, dem damals renommierten Nachrichtenmagazin Stern die angeblichen privaten Tagebücher von Adolf Hitler anzudrehen. Für umgerechnet rund 8,3 Millionen Euro erstand man die von Kujau liebevoll gefälschten Bände, in denen unter anderem von der Tablettensucht und den Liebschaften Hitlers erzählt wird.
Bereits kurz nach dem Erscheinen der Abdrucke im Stern wurden erste Fälschungsgerüchte laut. Weder Sprachduktus noch Papierbeschaffenheit überzeugten Historiker, vom Monogram FH (Führer Hitler) ganz zu schweigen. Kujau und der Stern-Reporter Gerd Heidemann wurden verurteilt, wobei Kujau nach seiner Freilassung von der gewonnenen Popularität profitierte und sich als vorsätzlicher „Meisterfälscher“ auf Plagiate alter Meister spezialisierte. Sophia Hoffmann
K
Kriegsanlässe
Da Aggressor-Sein langsam aus der Mode kommt, braucht es oft einen guten oder wenigstens irgendeinen Grund, um einen Krieg zu beginnen. Diese Gründe liegen nicht auf der Straße, weshalb manchmal nachgeholfen wird. Der angebliche polnische Überfall auf den Sender Gleiwitz, mit dem Nazi-Deutschland den Beginn des Zweiten Weltkriegs begründete, ist sicherlich der berühmteste erfundene Anlass einer Kriegserklärung. Auch die Massenvernichtungswaffen, die den Irak-Krieg legitimierten, haben sich nach kurzer Zeit als Erfindung herausgestellt. Der Tonkin-Zwischenfall, der die USA zum Eintritt in den Vietnam-Krieg bewegte, hatte eine längere Halbwertzeit. So hatte die National Security Agency Funksprüche manipuliert, welche die Entscheidungsträger glauben ließen, man befinde sich mit Nord-Vietnam in einer Seeschlacht. Bereits 1971 wurde das von einem Whistleblower entlarvt, aber erst 2005 offiziell bestätigt. TP
M
Milli Vanilli
„Girl, you know it’s true“ – allein diese Zeile des Pop-Duos Milli Vanilli verriet einigen Sinn für Ironie. Die Grammy-Gewinner von 1990 narrten die ganze Branche. Das Duo war nur ein Fake von Frank Farian. Er produzierte die Musik mit anderen Künstlern, Fab Morvan und Rob Pilatus tanzten dazu und bewegten ihre Lippen synchron. Auf der Höhe ihres Ruhms bezeichneten sich die beiden Sänger-Darsteller sogar als Erben von Mick Jagger und Bob Dylan. Klassisch wie im antiken Theater folgte auf diese Hybris der tiefe Fall. Bei einem Auftritt in den USA streikte das Playback-Band: Der Milli-Vanilli-Bluff flog auf. Der Grammy war futsch. Pilatus starb 1998 an einer Überdosis, Morvan wurde 2004 als erster aus dem Jungle-Camp gewählt. TP
Münchhausen
Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen (1720–1797) war ein deutscher Adeliger, dem die weltberühmten Lügengeschichten zugeschrieben werden. Er führte ein unstetes Leben, das ihn schon in jungen Jahren an abenteuerliche Orte und Kriegsschauplätze verschlug. Mit zunehmendem Alter entdeckte er seine Fähigkeit zum Anekdotenerzählen und wurde in gehobenen Gesellschaftskreisen ein gern gesehener Gast. Stets schmückte er das Erlebte fantasievoll aus und schuf so fabelhafte, aufsehenerregende Abenteuer. Das sprach sich herum, und so erschienen bereits 1761 die ersten von einem befreundeten Grafen niedergeschriebenen Münchhausiaden. Bis heute gibt es unzählige literarische Bearbeitungen. Münchhausen, ein Bluffer aus Leidenschaft. Weil die Wahrheit manchmal einfach zu langweilig ist. SH
O
Original
Unter Bluff (manchmal auch Blöff oder Blaff ausgesprochen) versteht man ursprünglich das Vortäuschen eines besseren als des tatsächlichen Blatts beim Pokerspiel. Dadurch soll der Gegner verunsichert werden – mit dem Ziel, ihn in die Defensive zu drängen und das Spiel für sich zu entscheiden. Auch bei Bridge, Doppelkopf, Canasta oder Watten wird diese Taktik oft und gerne verwendet. Wobei es hier zu unterscheiden gilt: Neben der allgemein akzeptierten Vorgehensweise durch die Art des Setzens und Spielens einzelner Karten einen positiveren Eindruck zu erwecken, gibt es noch den verpönten, oft auch untersagten Mundbluff, bei dem man durch Bemerkungen ein wertvolles Blatt vortäuscht. So was macht man nicht. Wenn also Bluffen, dann nur subtil und indirekt. Im alltäglichen Sprachgebrauch hat sich der Bluff aus dem Kartenspiel längst als Begriff für eine Täuschung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen etabliert. SH
S
Spitzedersche Privatbank
Adele Spitzeder war Schauspielerin und lebte Mitte des 19. Jahrhunderts in München, wo sie 1869 die Spitzedersche Privatbank gründete. Eine feine Idee, lockte sie doch ihre potenziellen Kunden mit einem enormen Zinssatz von zehn Prozent im Monat, den sie ihnen bar auszahlte. Das sprach sich herum wie ein Lauffeuer, und bereitwillig trug halb Bayern sein Geld zur selbsternannten Bankdirektorin. Einziger Zweck der Bank war allerdings die eigene Bereicherung zur Finanzierung des aufwendigen Lebensstils, doch dank schauspielerischer Fähigkeiten und einiger Publicity-Aktionen (Bestechungsgelder an die Presse, öffentlichkeitswirksame Wohltätigkeit) flog der 40-Mitarbeiter-Betrieb erst 1872 endgültig auf. In der Haft schrieb Spitzeder ihre Memoiren, die 2012 mit Birgit Minichmayr verfilmt wurden. SH
V
Vermeer-Fälscher
Hatte Jesus Glubschaugen? Auf den Vermeer-Bildern von Han van Meegeren schon. Und die Proportionen? Verdreht und verschoben. Van Meegeren arbeitete ohne Modell, damit ihm niemand auf die Schliche kam. Denn er war Meisterfälscher und lieferte dem Kunstmarkt in den dreißiger und vierziger Jahren die sensationellen Jan-Vermeer-Neuentdeckungen, nach dem dieser gierte. Der Hype war groß, der Knick in der Optik der Gutachter auch. Van Meegeren malte ein Bild nach dem anderen und legte jedes bei 200 Grad in den Ofen – für die authentische Rissbildung. Auch Nazibonze Hermann Göring gehörte zu den Gelinkten. 1,65 Millionen Gulden zahlte er für ein Gemälde. Doch ausgerechnet durch diesen Deal flog van Meegeren auf. Sein Bluff machte ihn nach dem Krieg zum Nationalhelden, bescherte ihm aber auch eine einjährige Haftstrafe. Der Fälscher entzog sich auf seine Weise: Er starb kurz nach der Urteilsverkündung. MS
Z
Zabels Tränen
Was hat er geweint, der Erik Zabel, als er 2007 gestand, dass er ein Radrennfahrer wie jeder andere ist und bei der Tour de France mit Epo im Blut den Berg hochgefahren war. Richtig verrotzt war er, man wollte fast mitschluchzen. Die Ich-bin-auch-nur-ein-Mensch-Pressekonferenz ist wichtiger Bestandteil der Inszenierung gestrauchelter Prominenter. Auch als Michel Friedmann 2003 vor die Presse trat, war das ganz ergreifend. Er hielt eine Rede über die Fehlbarkeit. Sie begann mit der Erkenntnis geradezu Kierkegaardscher Tiefe „Menschen machen Fehler“, schraubte sich hoch zur Selbstanalyse „Auch ich habe Fehler gemacht“ und mündete in der Conclusio: „Ich sage das nur, weil ich erklären möchte, dass auch ich nur ein Mensch bin.“ Worum es eigentlich ging, erwähnte Friedmann nicht: Er hatte mehrmals Verkehr mit ukrainischen Zwangsprostituierten und gab ihnen was von seinem Koks ab. Friedmann lieferte damit ein Paradebeispiel für den Reue-Bluff, bei dem eine Verfehlung in einen Charakterbeweis umgespritzt wird. MS
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