„Wie erkennt man einen schwulen Schneemann? Die Karotte steckt nicht im Gesicht, sondern im Hintern.“ Das ist noch einer der harmloseren unter den Homosexuellenwitzen, die täglich in der ungarischen Öffentlichkeit kursieren, ohne dass sich jemand groß daran stört.
Homophobe Einstellungen sind in Ungarn weitverbreitet. Es herrscht ein Klima, in dem sich viele Homosexuelle nicht trauen, zu ihrer Identität zu stehen – aus Angst davor, verprügelt und ausgegrenzt zu werden. Außer bei der alljährlichen Gay-Parade gab es bisher zwar keine Fälle, wo Rechtsextreme handgreiflich geworden sind, und es gibt auch keine Massendemos gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften wie aktuell in Frankreich, dennoch herrscht ein Klima des Hasses und der Intoleranz, weswegen viele Schwule und Lesben sehr vorsichtig damit sind, sich als solche zu erkennen zu geben. Die Wirtschaftskrise verschärft die Situation noch. Viele Menschen leben unter dem Existenzminimum. Sie haben keine Gegenwart und sehen für sich auch keine Zukunft. Ihren Frust lassen sie oft an Andersdenkenden, Romas, Juden und Homosexuellen aus.
Die Konservativen nehmen diese Stimmung bereitwillig auf. Bence Rétvári, Staatssekretär für Justiz und Vizepräsident der Christdemokraten, hat erst im Dezember im Parlament das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Personen als „unchristlich“ bezeichnet. Seine Partei will den Paragrafen streichen, der das Zusammenleben von Lesben und Schwulen mit jenem von Heterosexuellen gleichsetzt. Durch diese Anerkennung, betonte Rétvári, erhielten homosexuelle Beziehungen überzogene Rechte, was den Wert der Ehe untergrabe.
Küsse auf der Straße sind tabu
Das Gesetz zur Gleichstellung ist im Juli 2009 in Kraft getreten, seitdem versuchen die rechtsextreme Jobbik-Partei und die Christdemokraten es rückgängig zu machen. Und immer wieder werden von Jobbik weitere Gesetzentwürfe eingereicht, die die Rechte Homosexueller einzuschränken versuchen. Die Folge: Nicht einmal in Budapest sieht man gleichgeschlechtliche Paare Hand in Hand. Und sogar viele Homosexuelle sind der Meinung, dass ein Kuss oder ein anderer Ausdruck ihrer Liebe nicht in die Öffentlichkeit gehört.
„Viele Schwule versuchen ihre Identität zu verheimlichen, weil sie keine Objekte dieser Auseinandersetzungen werden wollen”, sagt Balázs. Er ist 28 Jahre alt und PR-Manager bei einer internationalen Firma. Seinen Nachnamen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen. Für das Gespräch hat er eines der heimlichen Szenecafés in Budapest vorgeschlagen. Er trägt Jeans und ein enges T-Shirt, ein intensiver Parfümduft umgibt ihn. Ein Zeichen für seine Homosexualität würden die Machos sagen, in deren Welt ein richtiger Mann nach Schweiß oder zumindest neutral zu riechen hat. „Ich hatte im Büro nie ein Problem, darüber zu sprechen und damit offen umzugehen“, erzählt Balázs. Und fügt hinzu: „Das hat aber auch damit zu tun, dass ich dort von Akademikern umgeben bin und die Firma amerikanisch ist, weshalb es strikte interne Regeln gegen Diskriminierung gibt. Bei einer rein ungarischen Firma wäre es viel schwieriger, damit offen umzugehen.“ Bei Schulungen auf dem Lande hätten viele Kollegen aber eine Abneigung dagegen, mit ihm ein gemeinsames Zimmer zu teilen, sagt Balázs.
Auch wenn das Leben der Homosexuellen eher im Versteckten stattfindet, gibt es in Budapest aber natürlich auch mehr oder weniger bekannte Treffpunkte. Der Gay Guide Budapest führt schwule Touristen in die Bar Alterego im Herzen der Stadt, auf den Pester Broadway. Die Bar wird vor allem von Jungen besucht. Schwule Saunen gibt es in Budapest zwei, ihren Standort kennen aber tatsächlich nur Eingeweihte. Der Großteil der Szene trifft sich aber bei Partys, die immer wieder an anderen Orten organisiert werden. Jedes Jahr im Sommer gibt es auch eine Gay-Pride-Parade. Der Veranstaltungsmonat ändert sich jedoch ständig, weil der Marsch immer in der letzten Minute mit vorgeschobenen Gründen von den Behörden verboten wird und regelmäßig erst nach Protesten von Bürgerrechtsorganisationen stattfinden kann.
Allerdings wird die Parade auch von Schwulen zwiespältig gesehen. Balázs ist der Meinung, dass der Umzug nicht der richtige Weg sei, für Akzeptanz zu werben. „Ich habe noch nie an dem Marsch teilgenommen, ich finde ihn zu extremistisch“, sagt er. „Die Gesellschaft hat sowieso eine Menge Vorurteile gegenüber Schwulen: ‚Sie sind billige Transvestiten, sie sind geschminkt und schütteln ihren Arsch öffentlich in Tanga-Slips.‘ Diesen Blödsinn nehmen sie von der Parade mit, wo sie diese Szenen auf Lkws sehen. Auch weil es der einzige Anlass ist, wo sie Homosexuelle überhaupt sehen. Deshalb füttert die Parade Vorurteile.“
Kristóf Steiner war TV-Moderator bei einem Musiksender. Der 30-Jährige arbeitet heute als Journalist und Buchautor. Er war der erste Prominente, der in Ungarn mit seiner schwulen Identität an die Öffentlichkeit gegangen ist. Zu Beginn der Gay-Pride-Umzüge teilte er auch die Einschätzung, dass diese den Homosexuellen eher schaden als nützen. „Heute sehe ich das anders. Es gibt in Ungarn, aber auch weltweit so viele Menschen, die benachteiligt werden, dass man dagegen mit allen möglichen Mitteln protestieren sollte. Wenn der Marsch nicht stattfinden dürfte, wäre das so ähnlich, wie wenn die Roma oder die Frauen kein Stimmrecht hätten“, sagt er. „Wir müssen zum Ausdruck bringen, dass wir existieren. Wenn wir so tun, als ob wir nicht existieren, werden wir nie akzeptiert. In dem Umfeld, in dem ich groß geworden bin, mussten Toleranz und Akzeptanz immer zurückstehen gegenüber der Vorstellung, dass die Menschen bestimmten Erwartungen entsprechen müssen.“
Aber es habe sich in den vergangenen 20 Jahren auch etwas verändert, bemerkt er. „Zum Glück leben wir heute in einer anderen Welt. Es findet ein Paradigmenwechsel statt. Die Menschen sind sich bereits ihrer eigenen Stimme und Kraft bewusst. Und sie sind fähig, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.“
Akzeptanz fängt in der nächsten Umgebung an, in der eigenen Familie. Wie weit ist man da gekommen? Balázs erzählt, er sei sich seit seinem 13. Lebensjahr bewusst, dass er homosexuell ist. „Ich habe es meinen Eltern auch gesagt, ich wollte kein Geheimnis daraus machen. Meine Eltern wohnen auf dem Lande, sie haben sich über mein Coming-out nicht gefreut, aber sie haben sich damit abgefunden. Das größte Problem war dann, dass sie Angst hatten, dass ich wegen meiner sexuellen Orientierung keinen Erfolg habe, weil sie befürchteten, dass mein Anderssein meine Karriere beeinträchtigt. Ich habe das Eis gebrochen, als ich ihnen meinen damaligen Freund vorstellte, der Direktor einer internationalen Firma war. So haben sie verstanden, dass Erfolg und Homosexualität einander nicht ausschließen.“
Kein Das-ist-auch-gut-so
Er unterhalte sich nicht offen über seine Partnerschaften mit seinen Eltern, aber mittlerweile bezögen sie ein gemeinsames Bett, wenn er mit seinem Partner zu Besuch komme, erzählt Balázs. „Das war ein großer Schritt. Ich weiß, dass sie wegen meiner Karriere stolz auf mich sind, aber sie versuchen, Fragen von Bekannten nach meiner Freundin zu vermeiden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Satz – ‚Unser Balázs ist schwul und das ist gut so‘ – je ihren Mund verlassen wird.”
Für Kristóf Steiner war es keine Frage, ob er offen mit seinem Schwulsein umgeht. „Meine Eltern haben mich so erzogen, dass ich nur glücklich bin, wenn ich ehrlich zu mir und anderen bin. Wer über sein Liebesleben lügt, steht seinem eigenen Glück im Weg. Die Lüge ist ein Gefängnis.“
Und Steiner fügt hinzu, er habe eine Vision: „Ich wünsche mir, dass mit Homosexualität als natürliches Phänomen umgegangen wird, dass ein für alle Mal verstanden wird, dass wir uns von den anderen nicht unterscheiden, sondern dass wir ebenso empfinden und lieben wie sie.“ Dahin ist es in Ungarn allerdings noch ein langer Weg.
Agnes Szabó stammt aus Ungarn. Sie ist freie Autorin und pendelt regelmäßig zwischen Berlin und Budapest
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