Der Wunsch, anders zu riechen

Düfte Die Parfüme des Massenmarkts unterscheiden sich kaum. Berliner Manufakturen wollen dem etwas entgegensetzen. Aber wie stellt man einen persönlichen Duft her?
Ausgabe 24/2013

Es ist ein großes Geschäft: Allein in Deutschland werden im Jahr zwischen 1,5 und 1,8 Milliarden Euro für Parfüms ausgegeben. Der durchschnittliche Deutsche konsumiert zwei bis drei verschiedene Düfte pro Jahr, Enthusiasten haben bis zu zehn Flaschen gleichzeitig im Einsatz. Der Massenmarkt hat aber ein großes Problem: Über einen gekauften Duft individuell zu riechen, wird immer schwieriger.

90 Prozent der Düfte, die von großen industriellen Firmen wie Procter & Gamble, L’Oréal, LVMH und Estee Lauder hergestellt werden, enthalten keine natürlichen Komponenten. Die Zutaten sind synthetisch – und oft nach dem immer gleichen Prinzip zusammengesetzt. Die Multis sind nicht experimentierfreudig. Das ließ sich auch Mitte Mai in Berlin beobachten, als bei einer Duftmesse die Branche sich selbst und die "Düfte des Jahres" feierte.

Wenn ein Duft ankommt, wird er von der Konkurrenz sofort kopiert, was dazu führt, dass die Düfte austauschbar wirken. Was überhaupt angeboten wird, entscheidet zuvor bereits der Markttest. „Ein Duft, der bei dem Test nicht gut abschneidet, wird selten auf den Markt gebracht, weil keiner ein Risiko eingehen möchte. Allein für die Werbung eines neuen Duftes werden 20 bis 30 Millionen Euro ausgegeben, deshalb darf er nicht floppen“, sagt Thorsten Biehl, der in Berlin eine Parfümmanufaktur betreibt und dem Massenmarkt etwas Individuelles entgegensetzen will. Parfümeure stellen für ihn Düfte her, die ausgesuchte Läden in kleinen Stückzahlen anbieten.

Kaum natürliche Rohstoffe

„In jüngeren Jahren macht man den Kauf eines Parfüms noch von der Marke abhängig. Es ist wie bei Turnschuhen, alle wollen dem gleichen Trend nachgehen. Erst mit 30 kommt der Wunsch, nicht so zu sein, so auszusehen, so zu riechen wie alle anderen”, sagt Biehl. Er präsentiert seine Parfüms vor der Berliner Duftmesse in einem kleinen Lokal in Kreuzberg.

Früher wurden die Düfte noch aus 50 bis 100 natürlichen Rohstoffen hergestellt, aus Pflanzen, Harzen, Moosen und tierischen Produkten. Heute werden jährlich etwa tausend neue Düfte weltweit produziert, davon besteht nur etwa ein Fünftel noch aus natürlichen Ölen und Rohstoffen.

Wer sich also kein Chemielabor auf die Haut sprühen möchte, sollte sich an Parfümmanufakturen orientieren – Nischenhersteller, die sich noch den Mut und die Zeit nehmen, zu experimentieren. Biehl und andere Berliner Manufakturen wie J.F. Schwarzlose arbeiten ganz ohne Marktforschung, ohne die Suche nach dem Massengeschmack, ohne Einschränkung bei der Wahl der Rohstoffe. Für sie ist ein Parfüm noch immer ein Kunstwerk.

J.F. Schwarzlose ist schon seit 1856 eine Berliner Marke, einst hat sie sogar den königlich-kaiserlichen Hof mit ihren Parfüms beliefert. Die modernisierten Versionen des Duftes – wie das 1A-33, ursprünglich ein Berliner Kennzeichen – sind ein Gemeinschaftsprodukt der Parfümeurin Veronique Nyberg, des Designers Lutz Hermann und des Kommunikationswirts Tamas Tagscherer. „Es gibt Menschen, die unser Parfüm noch von früher kennen. Die Neuproduktion ist eine Hommage an die Tradition und Firmengeschichte“, sagt Tagscherer. „Bei allen Parfümen arbeiten wir mit natürlichen Ölen in hoher Konzentration, bei 1A-33 beispielsweise aus Lindenblüte, Jasmin, Magnolia, Rotem Pfeffer, Mandarine und Zedernholz. Diese Düfte sind für uns ein Spiegel des modernen Berlins.“ Wie das? „1A-33 führt die Lindenblüten der Stadt mit aquatischen Noten der Spree und des Wannsees zusammen.“

Geza Schön ist einer der berühmtesten deutschen Parfümeure. Wenn man ihn fragt, warum wir uns überhaupt fremde Düfte auf die Haut sprühen, wartet er mit einer zugespitzten These auf. Alles, betont er, wirklich alles sei an einem Menschen riechbar: „Sogar das Alter ist an der Haut riechbar. Es ist desillusionierend, ich weiß ...“, sagt er. Wenn wir den neutralen Duft eines Babys konservieren könnten, wäre er womöglich arbeitslos. Da das aber nicht geht, hat der 44-Jährige gut zu tun.

Er sitzt in einem Kreuzberger Café und schaufelt Spätzle in sich hinein, während er über die Faszination der richtigen Mischung spricht. Sein Beruf sei nichts Magisches, sagt er, den könne eigentlich jeder lernen. Aber Bergamotte und Patschuli zu mischen, bedeute noch lange nicht, dass man Parfümeur sei. Schön ging mit seinem „Molecule 01“ in die Parfümgeschichte ein. Molecule 01 ist ein sogenannter Mono-Riechstoff, er besteht nur aus Zedernholzriechstoff und Alkohol als dufttragender Substanz. „Ich habe nach Einfachheit gesucht. Ich hatte den Eindruck, dass alle Parfüms zu stark sind. Zedernholzriechstoff ist allein gut genug“, sagt Schön. „Alle anderen Düfte sind viel komplexer. Im Leben bedarf es aber nichts anderes als Einfachheit – und so ist es auch mit dem Riechen.“

Ein persönlicher Duft?

Forschen Parfümeure ständig nach unbekannten Rohstoffen für die Duftzubereitung? Nein, sagt Schön. „98 Prozent der Parfümeure arbeiten für große Firmen, und ihre Arbeit ist nicht so kreativ, wie man sich das vorstellt.“ Den meisten werde die Zeit vorgeschrieben und das Geld, das zur Verfügung steht. Es gebe keinen großen Spielraum zum Experimentieren, dabei müsste man viel ausprobieren. Was ist mit der Nase aus Patrick Süskinds Das Parfüm, dieser Fähigkeit Jean-Baptiste Grenouilles jede kleinste Feinheit eines Duftes zu unterscheiden? Nur ein Mythos, sagt Schön.

Und kann man einen persönlichen Duft kreieren? „Ja, aber ich muss die Person näher kennenlernen und länger herumschnuppern, wie die Haut und die Haare riechen, welche Präferenzen es gibt. Das ist nicht einfach.“ Hinzu komme noch etwas Wichtiges: „Ich müsste mit der Person auch ein Riechtraining machen. Es kann nämlich durchaus sein, dass es Düfte gibt, die bei der Person gar nicht gut ankommen oder gar negative Konnotationen hervorrufen.“ Das Schlimmste wäre dann wohl, wenn einen eine bestimmte Zutat an den abgegriffenen Massenduft des vergangenen Jahres erinnern würde.

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