Adam Feat (Adam Kirsch) war der Gewinner des Publikum-Preises des Berliner Lichtfestivals 2019, am liebsten bleibt der Künstler anonym. Aber wir kommen beide aus Ungarn und wollen miteinander reden. Er ist gerade in den USA, als wir uns zum Interview am Telefon verabreden. In Brooklyn hat er eine 120 Quadratmeter große Brandmauer mit Motiven des Mauerfalls in Berlin gestaltet. Kirsch ist parallel mit Projekten auf der ganzen Welt beschäftigt
Adam, das ist deine zweite Reise nach Amerika. Wie stellt man sich als Europäer die amerikanische Graffiti-Szene vor?
New York ist ein Begriff bei Street Art Künstlern, denn die Stadt ist die Wiege des Graffiti. Und das wissen die in New York lebenden Künstler ganz genau und sind stolz darauf. Das Internet hat aber auch die Graffiti- Szene auf den Kopf gestellt. Früher musste man sehr viel reisen, wenn man lernen oder sich austauschen wollte. Man hat früher alles mit eigenen Augen gesehen, die Kontakte waren persönlich. Jetzt posten die meisten Künstler ihre Werke sofort, so sehen wir immer gleichzeitig, wenn etwas Sehenswertes in Amerika oder Australien entsteht. Street Art und Graffiti sind aber in New York streng voneinander getrennt, die Trennung ist markant. Es mischt sich nicht. Ich halte das Reisen aber weiterhin für sehr wichtig. Ich will Graffiti nicht nur auf dem Bildschirm erleben.
Wenn man dann in New York ist, wohin geht man als Street Art Künstler, was sieht man sich an?
Es gibt ein paar Gegenden, wo sich viele bemalte Brandmauern konzentrieren. So eine Gegend ist das Bushwick Kollektiv in Brooklyn. Eine Gruppe von Künstlern erwarben diese Brandmauer und sie entscheiden, wem sie eine Oberfläche und damit eine Möglichkeit geben. Wir haben aber nicht bei denen gemalt, sondern auf einem anderen Platz in Brooklyn, wo sich auch mehrere bemalten Brandmauern aneinanderreihen. Früher gab es einen legendären Ort, 5 Pointz, mit Mural-Oberflächen, aber der wurde vor 3 Jahren abgerissen. Es gibt auch kleinere Künstler-Kollektive, die versuchen eine größere Mauer zu erwerben und in der Gegend zu expandieren.
Was kann man von denen lernen?
Man kann von ihnen eine bestimmte Einstellung zur Kunst erlernen, aber nicht wirklich Techniken. In Europa nimmt man den Schaffensprozess viel ernster – hier gehen sie damit lockerer um. Der größte Unterschied zu Europa ist die Architektur. Es gibt sehr viele Oberflächen, wo man geniale Bilder unterbringen kann, das heißt, dass viel mehr Künstler eine Chance bekommen, sich zu zeigen. Bei einer so großen Oberfläche wie einer Brandmauer, da ist es sehr interessant zu beobachten, wie man das Bild aufbaut, in welcher Reihenfolge zum Beispiel man die Farben aufträgt.
Warum war die Berliner Mauer ein Motiv für Dich, und warum in Brooklyn?
Wir waren vor 3 Jahren in Amerika, aus Eigenmitteln, um die Szene kennenzulernen. Da haben wir uns an das Ungarische Kulturinstitut gewendet, mit der Frage, ob sie uns irgendwie unterstützen oder helfen können. Aber sie hatten ihr Jahresbudget schon geplant. Dieses Jahr haben sie sich bei uns gemeldet, sie hatten eine Ausschreibung gewonnen, wo wir mit dem Thema „Wende“ eine Brandmauer bemalen können. Wir haben uns lange überlegt, welches Bild wir realisieren sollten, es war schwierig, dieses Ereignis 1989 / 90 in einem ausdrucksstarken Bild zu realisieren. Wir haben nach einem Bild gesucht, welches sowohl die Wende als auch die Energie der Graffiti-Szene in sich trägt und zum Ausdruck bringt. Wir haben im Internet ein schwarz-weißes Foto gefunden, wo ein Punk auf der Berliner Mauer sitzt und mit einem Hammer versucht, die Mauer zu zerschlagen. Wir haben das Bild in unsere visuelle Sprache übersetzt.
Wie hast Du diese Zeit des Mauerfalls und danach persönlich erlebt?
Ich war 5 Jahre alt, als das passierte. Ich habe also keine Erinnerungen, aber ich bin sehr dankbar dafür: Der Mauerfall hat vieles in Europa aber auch weltweit ins Positive geändert.
Wie entstand die Berliner Mauer in New York? Lief alles nach Plan?
Wir haben vor 2 Jahren schon einmal diese Mauer bemalt, aber nur bis zur Höhe, die man von einer kleineren Leiter erreichen konnte. Das war die Hälfte davon, was wir diesmal bekommen haben – 6 x 22 Meter. Wir brauchten dazu ein Gerüst, eine Leiter reichte nicht mehr aus. Der Plan war sehr sorgfältig vorbereitet und durchdacht, wir haben aber die Farben drei Tage später geliefert bekommen. Statt sechs Tagen hatten wir also nur drei Tage zur Realisierung. Wir konnten visuell das verwirklichen, was wir vorhatten, wir mussten am ursprünglichen Plan kaum etwas ändern. Es war windig und kalt und die Tage waren kürzer als im Sommer, keine idealen Bedingungen. Für Feinschliff hatten wir keine Zeit mehr.
Bist Du trotzdem mit der Arbeit zufrieden?
Wir bekamen sehr viele positive Rückmeldungen von den Passanten, die vorbeiliefen und sie verstanden das Bild auch sofort, wir mussten nichts groß erklären. Dabei spielt auch eine Rolle, dass auf dem Bild eine Figur, ein Mann mit dem Hammer in der Hand zu sehen ist. Das hilft bei der Kontaktherstellung. Und unser Bild ist einfach anders, denn unsere visuelle Sprache unterscheidet sich von der, was die Menschen hier gewöhnlich sehen, es ist ein Einzelgänger sozusagen. Deshalb ragt es heraus. Nur die Street Art – Szene hat das Bild noch nicht richtig mitbekommen, weil wir noch keine Bilder posteten.
Du warst auch in Miami auf der Kunstmesse Art Basel. Wie war es?
In Miami anzukommen war vor allem wegen der sommerlichen Temperatur ein Erlebnis. Die Veranstaltung kann man mit keiner anderen vergleichen. Murale entstehen in einem kleinen Bezirk. Wynwood war noch vor 10 Jahren ein Ghetto, jetzt arbeiten da mehrere 100 Künstler an ihren Werken, die Atmosphäre ist eigenartig und selten. Es ist faszinierend, in jeder Minute Künstler zu sehen und anzusprechen, deren Werke man von früher kennt. Die erste Mauer ist schon fertig, wir möchten noch weitere kleinere bemalen. Man ist hier nicht auf sich allein gestellt, wir helfen einander mit Farben und Pinseln.
Inwiefern unterscheidet sich die Szene in Miami von der in New York?
In New York war und ist die Graffiti-Szene noch immer sehr auf die U-Bahn konzentriert, dabei gibt es viele Mauern, die danach schreien, bemalt zu werden. Miami schlägt eine neue Richtung ein, es will die Stadt von Design und Künsten werden, neben dem Tourismus.
Welches Prestige hat Deine Kunstart – das Brandmauern bemalen – in der zeitgenössischen Kunst oder innerhalb der Street Art- Kunst?
Ich mag diese Etikettierungen gar nicht. Es ist schwer, diese Kunst einzuordnen. Sie ist komplex, und besteht aus mehreren Komponenten. Das Phänomen Brandmauer bildet allein keine selbstständige Kategorie. Alle Künstler, die Brandmauern bemalen haben ihre eigene Handschrift. Es ist eine Erscheinungsform von Graffiti, sie sind die Quelle. Aber Graffiti sind eine illegale Kunst ist und die Illegalität ist eine wichtige Säule. Die Brandmauern können nur legal bemalt werden, Oft ist es ein Gesamtkunstwerk. Da es von der breiten Öffentlichkeit gesehen wird, gibt es Regeln, woran man sich halten soll. Es sind keine Piratenaktionen mehr.
Wie bist Du als Künstler dahin gekommen?
Ich bin Autodidakt. Ich habe nie Kunst studiert. Ich habe 1998 mit dem Sprayenangefangen, in einer kleinen Provinzstadt, im Nordosten von Ungarn. Das Gute daran war, dass wir einen anderen Stil realisieren konnten als die meisten Graffiti-Macher in der Hauptstadt, in Budapest. Seit 2000 lebe auch ich in Budapest und seit 2003 reise ich viel um die Welt. Und das ist sehr wichtig für mich, weil ich sehr viele, enorm talentierte Künstler kennenlernte. Oft gestalten wir nicht mit ihnen zusammen, aber ihnen einfach bei der Arbeit zuzuschauen ist ein Erlebnis. Fast alle Graffiti- oder Street Art-Künstler fangen mit Buchstaben an. Dann werden aus den Buchstaben dreidimensionale Buchstaben, aus denen dann figurative Motive. Mittlerweile mache ich hauptsächlich figurative Bilder. Und die neueste Orientierung ist, diese figurativen Bilder mit Animation zum Leben zu erwecken, sogenannte Augmented Reality.
Brandmauern sind der politisch korrekte Teil der Street Art?
Sie sind sichtbarer als vor 10, 15 Jahren. Das heißt, sie sind akzeptierter geworden. Städte, Firmen wollen, dass wir ihre Brandmauern bemalen. Es wird als Marketingelement verwendet. Es ist Teil des allgemeinen Bewusstseins geworden. Das ist einerseits gut, weil mehr Künstler eine Möglichkeit zum Schaffen bekommen, und die Möglichkeit davon leben zu können, andererseits geht der Kern der Kunst, nämlich die Illegalität verloren. Der Zauber der Illegalität verschwindet mit jedem Stück sichtbarer Brandmauer.
Wo steht Ungarn in der internationalen Street Art - Liga?
Ende der 1990er Jahre war die ungarische Szene sehr stark, wir sind und waren aber nie in den Top 10. Wir müssen noch viel entwickeln. Das Land ist klein, wenige Künstler gehören zur Szene, deshalb gibt es auch weniger Möglichkeiten, sowohl für die Illegalität als auch für die Brandmauer.
Wo können sich internationale Street Art-Künstler austauschen?
In Wiesbaden gibt es seit Anfang der 2000er Jahre das Festival „Meeting of Styles“. Das ist mittlerweile eine Franchise geworden, fast jedes Wochenende gibt es in irgendeiner Großstadt ein Festival für Graffiti- und Street Art-Künstler. Jeder bekommt eine bestimmte Größe einer Mauer, die er dann bemalen kann. Das ist ein echter Höhepunkt für alle Künstler. Meistens jeder kann malen, was er will, es wird kein Thema vorgeschrieben. Aber meine Erfahrung ist, mehr als 4 oder 5 Künstler können nicht an einer gemeinsamen Oberfläche zusammenarbeiten, weil es ihr Ego nicht zulässt.
Welche Brandmauer möchtest Du unbedingt noch bemalen?
Mir ist wichtig, dass ich mich ständig weiterentwickeln kann, sowohl technisch als auch was die Aussagekraft meiner Bilder betrifft. Das ist alles, was ich mir wünsche. Ich habe schon zwei 800 Quadratmeter große Oberflächen bemalt, eine in Budapest, eine in Moskau, ich bin damit zufrieden. Hauptsache, die Menschen, die in der Gegend leben, sehen sie und es trägt zu ihrem Leben bei.
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