Ungarn leistet mehr – so ging der Slogan einer Kampagne, mit der die Fidesz-Regierung zwischen März und November 2013 der Bevölkerung bewusst machen wollte, wie gut es ihr geht. Welche Fortschritte die ungarische Wirtschaft gemacht hat: der Durchschnittslohn steigt, das Land hat beim IWF keine Schulden, Medikamente kosten weniger, Strom und Energie wurden billiger. Fidesz hängt immer noch an dem Slogan, obwohl er sich seitdem öfter als Pferdefuß erwiesen hat.
Was ich damit sagen will: Wir Ungarn betonen gern, dass wir besser, stärker, klüger, talentierter sind als alle anderen auf der Erdkugel. Die Erklärung dafür kenne ich nicht; sicherlich hat es mit unserer geografischen Größe und Lage zu tun.
Es gibt aber eine Branche, auf die der Slogan zutrifft: den ungarischen Film. In den letzten drei Jahren haben ungarische Filme weltweit 190 Preise eingesammelt, darunter zwei Oscars: 2016 den Award für den besten fremdsprachigen Film (Son of Saul – Freitag 10/2016), und 2017 für den besten Kurzfilm (Sing). Laut einer Studie von OrienTax entwickelt sich die Filmindustrie in Ungarn verglichen mit den Ländern Mittel- und Osteuropas am dynamischsten. Die Filmproduktion wird in Ungarn jährlich mit sechs Milliarden Forint (20 Millionen Euro) unterstützt, sieben abendfüllende Filme werden neben zahlreichen Kurz-Dokumentar-und Zeichentrickfilmen produziert.
Der neue Ungarische Filmförderfonds existiert seit 2011, mit der Leitung wurde der 1956 als Kind nach Amerika geflohene und in Hollywood berühmt gewordene Filmproduzent Andrew G. Vajna (Rambo, Total Recall, Basic Instinct) als „Filmminister“ beauftragt. In Ungarn pflegt er enge Wirtschaftsbeziehungen zu Fidesz-Politikern, verfügt über das Casino-Monopol und kaufte unlängst für Fidesz private Fernseh-und Rundfunkstationen landesweit auf.
Zwischen 2010 und Anfang 2014 lag die Filmindustrie lahm. So lange dauerte es, das neue System auf die Beine zu stellen. Viele Filmemacherinnen mussten lange schweigen. Ildikó Enyedi zum Beispiel, die 2017 auf der Berlinale den Goldenen Bären gewann für Körper und Seele, machte 18 Jahre lang keinen Film; ihre Drehbücher bekommen keine Finanzierung.
Schnippelnde Behörde
Für Regisseure wie Béla Tarr (Das Turiner Pferd) oder aus der jüngeren Generation Szabolcs Hajdu (Bibliothèque Pascal) sind Vajna und der Filmförderfonds von der Politik bestimmt worden, deshalb gilt er ihnen als illegitim. Tarr dreht seitdem keine Filme mehr, er unterrichtet in Sarajevo an der Filmhochschule. Hajdu hat seinen neuen Film Ernelláék Farkaséknál (It’s Not the Time of My Life), der im diesjährigen Huniwood-Festival in Berlin gezeigt wird, aus Eigenmitteln und mit Freunden gedreht. 2016 hat er beim Festival von Karlovy Vary dafür den Großen Preis und er selbst den für den besten Schauspieler bekommen. In dem Kammerdrama geht es um innere Dynamiken einer Ehe und den unerwarteten Besuch der Schwester samt Familie, der Konflikte in einer sowieso wackeligen Ehe verschärft.
Die Bedenken, dass die neue Filmförderungsanstalt zu viel Zensur oder Druck ausüben würde, zeigen sich vor allem am Recht auf den final cut. 2015 montierte der Fonds das Ende einer Komödie neu, ohne den Regisseur darüber zu informieren.
In Kút (Well) von Attila Gigor geht es um eine ungarische Prostituierte, die auf dem Weg in die Schweiz an einer Tankstelle wegen einer Panne hängen bleibt. Die Zeit des Wartens vertreibt sie sich mit Fernsehen, in einer Szene wird ein TV-Gespräch mit einem Fidesz-nahen Produzenten gezeigt, im Hintergrund, wohlgemerkt. Der Produzent aber machte so lange Druck, bis diese Stelle aus dem Film rausgeschnitten wurde. Dabei war der Film schon fertig und lief in den Kinos. Der Filmförderfonds bezog dazu keine Stellung.
Anders als Tarr und Hajdu hat Kornél Mundruczó keine Probleme, Geld anzunehmen. Für ihn ist es nicht das Geld der Regierung, sondern das der Steuerzahler (Freitag 43/2016). In seinem neuesten, in Cannes gezeigten Film thematisiert Mundruczó in seiner eigenwillig-abstrakten Filmsprache die Migrationsbewegungen von 2015. Aryan, ein syrischer Flüchtling, wird beim Grenzübertritt von einem Polizisten angeschossen. Durch die Verletzung erwirbt er die Fähigkeit des Levitierens. Wie unbeliebt das Thema in Ungarn ist, zeigen die Zuschauerzahlen. In der ersten Startwoche haben Jupiter holdja (Jupiter’s Moon) gerade 2.252 Leute gesehen, der Film Kincsem über ein magisches Rennpferd lockte parallel 80.000 Zuschauer in die Kinos.
Ein anderer Flüchtlingsfilm, Roland Vraniks The Citizen, befasst sich mit der Geschichte zweier Migranten in Ungarn, von denen der eine schon seit einem Jahrzehnt dort lebt, des Ungarischen zwar mächtig ist und arbeitet, aber dennoch Schwierigkeiten hat, die Staatsangehörigkeit zu erwerben. Trotz manch harter Szenen stiftet der Film die Hoffnung, dass nicht alle Ungarn den Hasskampagnen der Regierung folgen.
Info
Das Festival Huniwood läuft noch bis 23. Oktober in Berlin
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