Das lassen wir uns nicht mehr gefallen!

SÜDAFRIKA Die SEWU, eine Gewerkschaft für Kartonsammlerinnen und Straßenhändlerinnen, trainiert selbständige Frauen, sich gegen Polizisten, Beamte und die Willkür der Behörden durchzusetzen

Thenjiwe Zuma lebt als Straßenhändlerin in Durban, der drittgrößten Stadt Südafrikas. Täglich sitzt sie am Straßenrand und verkauft ihre Waren an Touristen: Halsketten und Armbänder aus Perlen, Körbe und Sonnenhüte, kleine geschnitzte Holzfiguren. Thenjiwe ist 47 Jahre alt, verheiratet und Mutter von fünf Kindern. Ihr Mann arbeitet zwar auch, aber ein Gehalt reicht nicht aus, um eine siebenköpfige Familie zu ernähren. Weil das Überleben schwierig ist, hat sich Thenjiwe der SEWU angeschlossen, der Self Employed Women's Union, einer Frauenorganisation, die Straßenhändlerinnen, Heimarbeiterinnen, Kartonsammlerinnen und Bierverkäuferinnen unterstützt. Die SEWU wurde vor fünf Jahren gegründet. Mittlerweile zählen zu dem Frauennetzwerk rund 2.500 Mitglieder im ganzen Land.

Einmal im Monat treffen sich die Händlerinnen von der Strandpromenade, um über ihre Konflikte mit den Behörden zu diskutieren. Immer wieder drangsaliert die Stadtverwaltung die Frauen: Sie wirft ihnen vor, ohne gültigen Berechtigungsschein zu verkaufen oder den Straßenverkehr zu behindern. Oder sie nimmt gar einer Händlerin den Grill weg, auf dem sie ihre Würstchen anbietet. Alltag der Frauen in Durban.

Das Büro der SEWU liegt mitten in Durban an einer befahrenen Hauptstraße. Ständig dringt der Lärm der Straße durch die Fenster. Mehrere Händlerinnen warten geduldig auf ein Beratungsgespräch. Meistens geht es um die Arbeitssituation, um Schikanen, die die Frauen gerade mal wieder erlebt haben, manchmal auch um Alltagsprobleme.

Einiges haben die Gewerkschafterinnen schon erreicht: Manche Stände sind mittlerweile überdacht, es gibt mehr öffentliche Toiletten und zum Teil auch Lagerräume, in denen die Händlerinnen ihre Ware über Nacht verstauen können. Die SEWU verhandelt dabei vor allem mit Parteien und Organisationen, mit Polizei und Stadträten. Die Gewerkschaft bietet auch Seminare an, in denen die Frauen lernen zu verhandeln. Sie sollen sich zutrauen, mit den entsprechenden Behörden selbst zu diskutieren und sich für ihre Situation stark zu machen. Für die Generalsekretärin Busi Xaba-Shezi ist Selbstvertrauen ein wichtiges Ziel. Wenn sie früher Mitglieder fragte, was sie machten, hätten sie geantwortet, sie seien arbeitslos. Jetzt würden sie stolz erzählen, daß sie nicht mehr unter die Kategorie arbeitslos fallen, sondern selbständig seien.

Als Mitglied der SEWU kann man sich Bildung erwerben, zum Beispiel in Englischkursen oder kaufmännischen Seminaren. Man kann außerdem einfache handwerkliche Fertigkeiten lernen wie Nähen und Schneidern, aber auch elektrische und sanitäre Installation. Und man kann einen Selbstverteidigungskurs besuchen. Thenjiwe hat das Bildungsangebot wahrgenommen und war schon zweimal bei solchen Workshops: Sie hat gelernt, wie man Steine bearbeitet. Und sie hat ihr Englisch verbessert.

Unter einem Gewirr von Autobahnbrücken dehnt sich der Kräutermarkt aus. Hier sitzen Männer und Frauen, vor sich ausgebreitet getrocknete Blüten, Blätter, Wurzeln, Tierhäute, Fetische. Zodwa Khumalo, 55 Jahre, verwitwet, verkauft hier seit acht Jahren. Mit dem Erlös ernährt sie ihre vier Kinder und drei Enkelkinder. Sie ist ganz auf sich allein gestellt. Von ihren Kindern erhält sie keine finanzielle Unterstützung. Weder bei Krankheit, noch bei Schwangerschaft sind die Händlerinnen abgesichert. Die SEWU fordert deshalb Sozialleistungen für ihre Mitglieder, setzt sich für Urlaubsgeld und eine angemessene Altersversorgung ein.

Eine Stunde entfernt vom Durbaner Stadtzentrum liegt Umlazi, ein ehemaliges Township, in dem auch heute noch ausschließlich Schwarze leben. Auch hier hat die SEWU Mitglieder geworben. In Umlazi sind vor allem Heimarbeiterinnen in die Gewerkschaft eingetreten. Sie stricken zu Hause Pullover, häkeln Decken, nähen Schuluniformen oder fertigen Matten aus alten Plastiktüten an. Es ist schwierig, für diese Produkte einen Absatzmarkt zu finden. Manchmals geben die Frauen ihre Waren Freundinnen mit, die sie an der Strandpromenade in Durban verkaufen. Die 67jährige Dulcy Zwane wohnt schon sehr lange in Umlazi. Viele Jahre hat sie als Hausangestellte gearbeitet, hat Hotels geputzt und den Haushalt von weißen Südafrikanern geführt. Dann hat sie angefangen, für ihre Nachbarn zu nähen. Ihr Mann lebt nicht mehr, ihre Kinder sind fort. Von Beginn an engagierte sie sich in der Frauengewerkschaft. Ihr Leben habe sich dadurch sehr verändert, erzählt sie. Heute habe sie zu sehr vielen Leuten Kontakt, und sie habe gesehen, daß die meisten Frauen in der Lage seien, die unterschiedlichsten Dinge herzustellen.

Neben Heimarbeiterinnen und Straßenhändlerinnen sind auch Kartonsammlerinnen in der Frauengewerkschaft organisiert. Sie gehen täglich durch die Straßen und sammeln Pappkartons, die andere achtlos weggeworfen haben. Die Kartons bringen sie zu einer Recycling-Firma. Es wird nach Gewicht bezahlt. Auch die Kartonsammlerinnen hat die SEWU bereits unterstützt. Die Frauen verhandelten nie direkt mit den Firmen, sondern mit einem Mittelsmann, der ihnen weniger Geld auszahlte. In Workshops haben die Frauen gelernt, wie man die Kartons richtig wiegt, und wie man besser verhandelt.

Manchmal ist der Vorwurf laut geworden, die SEWU sei keine wirkliche Gewerkschaft, es gebe keinen direkten Arbeitgeber, und die Frauen seien selbständige Unternehmerinnen. Doch dagegen wehrt sich Busi Xaba-Shezi entschieden. Schließlich könne man den informellen Sektor nicht sich selbst überlassen, hält sie dagegen. Es gebe Gesetze, die man auch auf ihre Situation ausdehnen könne. Die Frauen im informellen Sektor müßten sichtbar gemacht werden. Und für sie lohne es sich zu kämpfen. Der Kampf um die Rechte der Straßenhändlerinnen und Heimarbeiterinnen sei eigentlich auch nicht anders als das Ringen der Frauen im formellen Sektor.

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