Schwerkraft, Schwerkraft! Anfangs schüttelt und rüttelt mich der Cast durch allerlei komische Assoziationen: Börne ist plötzlich verheiratet UND hat noch ne Geliebte, obwohl der doch maximal sich online als Tristan und dann mit Alberich peinsam beim Blind-Date... Seine Frau im Turm spielt Claudia Michelsen, die doch damals was mit ihrem Stasi-Offizier Devid Striesow, diesmal aber nirgendwo ne 12 hinschmiert – schlimme Geschichte. Nadja Uhl hat Kachelofen statt Sommer vorm Balkon und ist schon wieder alleinerziehend sowie an den Falschen geraten, Götz Schubert verkauft diesmal Bücher statt Zimmerspringbrunnen, und die halbe Halbe Treppe – Steffi „Mal doch mal ein Bild. Mal doch mal... die Katrin!“ Kühnert plus Treppe-Lover Thorsten „Dauerpower vom Powertower“ Merten – ramentert ebenfalls durchs Bild. Ossi-Alarm!
Lustig beginnt es, Weihnachtsbaumdiebe und Chef-Verballhornerei, und der eine ist eben Jan Josef Liefers (Richard Hoffmann) und mit Frau, Sohn, noch einer Frau und Tochter und deren Halbbruder Zentrum der Geschichte, die eine Erzählung ist, keine Geschichte macht oder erklären möchte. Der Autor ist tot (na ja), denn das Schöne an Literaturverfilmungen ist ja, dass man immer sagen kann: „Hm? Nun: So habe ICH das verstanden.“, und dann kann der andere nie nicht sagen: „Nein, mein Kind, das musst du so und so sehen.“ Also insofern ist der Autor tot*, die DDR ist tot und alles, was bleibt, sind Geschichten von Menschen, nicht wahr.
Wer bei den ersten, teils sehr schönen Einstellungen (Kamera: Frank Lamm) nicht „Dunkeldeutschland“ gedacht hat, bekommt ein Bienchen ins Mitteilungsbuch. Düster ist die Weihnachtsbaumszenerie, mit Taschenlampen unweidlich ausgeleuchtet. Dunkel, ja „dunköll“ (Wiglaf D.) liegen die Dresdner Straßen, grau sind die Häuser, die Aschetonne im Hof qualmt. Und doch, und doch: Bei den Menschen bleib ich, bei deren Geschichten, die mir erzählt werden nach und nach, deren Markanzen manchmal in nur einem Satz gesetzt werden: „Glauben Sie denn, der VEB Forstwirtschaft stellt für die Kirche einen Drei-Meter-Baum in den Plan ein?“
Mauer & Gefängnis
Der einen Kinderwagen schiebende NVA-Soldat läuft ebenso schnell durchs Bild wie die Fassaden und deren Einschusslöcher. Mobiliar und, sehr viel wichtiger, die Anziehsachen der Menschen sind derart gestaltet, dass es nicht mal die 80er sind, an die man denkt – doch, einmal, aber wo, sag ich nicht. Es wird ziemlich egal, was die anhaben, wenn die soviel zu bereden haben.**
Oder zu schweigen, wie Christian Hoffmann (Sebastian Urzendowsky), pubertanter Sohn vom Ehepaar Hoffmann. Wie es dem ein ums andere Mal die Lippe verreißt, soll er lachen, soll er schreien – er schweigt. Das ist, Sie mögen es mir verdenken, die ganz hervorragende Darstellung eines jungen Menschen im Aufbruch, der sich entscheiden muss zwischen Anpassung und Aufstand. Dass er in einem Land lebt, das diese Entscheidung mit so schlagenden Argumenten wie Mauer & Gefängnis würzt, möchte hier nicht , aber auch überhaupt gar nicht mit Karriere & Karriere verglichen werden – macht seinen Kampf gleichsam universell UND Unikat.
„Mein Dresden“ (Markus W.) hat nur aufm Lande, draußen vor der Stadt, Westfernsehen, in dem Manfred Krug erklärt, warum er nicht nach Hamburg oder München gegangen, sondern in West-Berlin geblieben ist (wegen der Kinder: Bruch nicht so groß). Die Menschen haben nicht SO große Probleme, haben SEHR große Probleme. Ein paar kenne ich (FDJ-Rats-Sitzungen inkl. Stellungnahme / Orangen-Dachpappe-Universe / Krüppelkiefer an Weihnachten), ein paar nicht (Verlagsgeschäfte mit den Freunden / Ärger wg. „Nazi-Literatur“ / Rückbanksitzen mit Stasi). Die Erinnerungen sind meine (Sozialismus-Gebet, Hardliner-Misstrauen, kein Telefon) und fremde (Hausmusik, Stromausfall, Amethyst-Geschenk).
Daumen drücken
Die neben der des Jungen dominierende Geschichte*** ist die von Josta Fischer (Nadja Uhl), seit fünf Jahren Geliebte Hoffmans und inzwischen an der Grenze ihrer Leidensfähigkeit als zweite Geige. Dieser Konflikt ist sehr schön unabhängig von Gesellschaftssystemen, da gibt’s Gestreite und Gebarme und Verletzungen, bis einer kotzt. Und die andere sich zu entleiben sucht. Aus Gründen, siehe oben, hatte ich Nadja Uhl als Ehefrau gewünscht, und diese Erwartungshaltung tut Anne Hofmann (Claudia Michelsen) leider bis jetzt insofern unrecht, als ich die umgekehrte Besetzung hier sinnvoller gefunden hätte.
Mit feiner Feder und sensiblem Blick haben Thomas Kirchner (Buch) und Christian Schwochow (Regie) viele Klischeeklippen umschifft. Nur manchmal scheint eine Klippenspitze auf, wie beim Auto-Rücksitz-Stasi-Gespräch, ja wie bei der ganzen Stasi-Geschichte, Hoffmanns Erzählungen, das Entsetzen seiner Frau, die Reaktion der Freunde usw. - dadurch, dass die Menschen miteinander REDEN, wird diese Anfechtung differenziert und einzelfallig dargestellt. Dabei verliert sie nichts von dem Schrecken, den Hoffmanns allmählich „verreckendes Gesicht“ (Arnold St.) nach Wiederkontakt sehr klar spiegelt.
Die Geister aus dem ersten Absatz sind am Ende des 1. Teils fast verschwunden – ich möchte wissen, wie es weitergeht, und das ist doch mal ein schönes Kompliment für einen Film. Hoffe auf Meno Rohde (Los!), bange mit Christian Hoffmann (Halte durch!), geb kaum nen Pfifferling auf Richard, drücke Anne die Daumen und schenke Josta einen Balkon.
„Nun, so haben DIE das erlebt“, möchte man sagen.
Ergänzungen:
* Genau: Sie hat das Buch nicht gelesen. Und auch keine Rezensionen oder TV-Kritiken.
** Haben Sie alles verstanden, i.S. von „gehört“, was gesagt wurde? Ich auch nicht. Zum einen manchmal zu schnell, zu beiseite gesprochen. Zum anderen zu leise, so sehr normal und alltäglich eben, Erinnerung an Ost-Filme. Fast freute man sich, wenn Dichterin Judith Schevola (Valery Tscheplanowa) auftrat: 1 A Diktion.
*** Und ich ahne, dass sich das im zweiten Teil mal gründlich ändern wird...
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Community-Mitglied Magda hat für uns den zweiten Teil geschaut.
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