My... what? My way!

Abschiedsritus Man möchte sich gar nicht vorstellen, wer das alles singen können tät.

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Auf dem Weg zum Tagwerk radle ich an einer Friedhofsmauer vorbei. Weil diese der Teil des Sophienfriedhofs ist, der an das Mauermuseum angrenzt, kommt es vor, dass Touristen mich mit Blick auf die Friedhofsmauer „Where is the wall?“ fragen, wobei ich immer a bisserl an mich halten muss, dann aber durchaus auf die richtige Mauer, Mauermuseumseingang usw. verweise.

Immer mal fahre ich denn auch an kranztragenden, blumenbewehrten, dunkel gekleideten Menschen vorbei, die teils zu zweit, teils allein, teils in sehr großer Gruppe dem Friedhofseingang zustreben.

Vergangene Woche tönte, es mag am Mittwoch gewesen sein, eine Trompete über die Mauer. Nicht allzu laut geblasen, schälte sich recht schnell die Melodie von „My way“ heraus. Ich stieg ab und schob an der Mauer entlang, lauschte dem sensiblen Trompeter, und weil ich just zu Beginn des Songs vorbeigekommen war, blies und blies es. Die Absteigmotivation hielt sich einige Minuten, dann passierte etwas und mein bis dato heraufbeschworenes Mitgefühl (Menschen stehen um ein Grab, da ist einer gegangen, da wird bestimmt geweint...) kippte plötzlich ins Höhnische.

Was war geschehen?

Nun: Erst einmal ist „My way“ natürlich DER Song für Abschiede, es IST ja ein Abschiedssong, und die sich allmählich steigernde Interpretation tut das Ihrige den Hörer zu ergreifen. Da setzen diese und jene Instrumente ein, es wird groß und laut und Himmel, hilf. Wer jetzt ein Auge hat, der träne.

Nicht zuletzt Ratpacker Sinatra hat dem Ganzen zudem eine Komponente geliefert, die vielleicht als „zweite Wahrheit“ bezeichnet werden kann. Ja sicher: dein Weg. ABER. Du hast uns nicht ALLES erzählt, gell?

Nun ist der Mensch, der mögen und sich hineinsteigern will, in fast jedem Falle bereit zu verzeihen und zwinkert also zurück, wenn Sinatra „My way“ zwinkert. Wir Spitzbuben, wir.

Es hat der Song aber, gesungen oder mittels Trompete einem anderen zugeeignet, etwas Trotziges, Hoffärtiges, Eitles. Im ersten, selbst singenden Fall geriert es schnell ins Bräsige, wenn da einer immer wieder „I did it my way“ barmt, ja höhnt. Man möchte sich gar nicht vorstellen, wer das alles singen können tät. Im zweiten, darbietenden Fall wird diese Haltung jemandem angedichtet, der vor einem steht (s.u.) oder liegt (s.o.), was dann doch reichlich starker Tobak ist. Eine Erklärung für die Beliebtheit des Songs in solcherart Situationen mag sein, dass die vermittelte Egozentrik einem den Abschied weiß Gott leichter macht. Siehe auch: „For what is a man, what has he got? / If not himself, then he has naught / To say the things he truly feels and not the words of one who kneels / The record shows I took the blows and did it my way!“

Q.e.d.

Abschließend ein anderer Trompeter, erinnern Sie sich? Ein über sich selbst gerührter Gerhard Schröder – d.V. kennt das Gefühl, leistet es sich jedoch gern unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Herzlichen Gruß an den youtube-Kommentatoren, der bei Minute 1:00 „Mr. Bean“ entdeckt hat.

Ein verwandter Gustlik-Blog.

My Way lyrics © Universal Music Publishing Group, Warner/Chappell Music, Inc., EMI Music Publishing, CHRYSALIS MUSIC GROUP

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Geschrieben von

Amanda

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Amanda

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