Die Risiken sind minimal

Atomkraft Wir müssen raus aus der Kohle, daran zweifelt kaum noch jemand. Doch der Energiehunger der Welt wird weiter wachsen – ist Kernenergie die Lösung? Ja, meint Amardeo Sarma
Ausgabe 45/2021
Der Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke würde eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid-Emissionen einsparen
Der Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke würde eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid-Emissionen einsparen

Foto: Jannis Große/Imago

Bei der Spaltung der Kerne von Uranatomen wird kein Kohlendioxid frei, dafür viel Energie in hoher räumlicher Dichte. Wie von der US-Regierung erläutert, benötigt Kernenergie relativ wenig Materialien und Fläche. Sie erzeugt wenig und gut beherrschbaren Abfall. Ob solcher Vorteile stuft auch der Wissenschaftsdienst der EU-Kommission die Kernenergie als ebenso nachhaltig ein wie andere kohlenstoffarme Energien. Für die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten ist es wichtig, dass sie die Kernenergie einschließt.

Im Oktober 2021 wurde ein Bericht im Auftrag von Ökomoderne e. V. fertig. Danach würde der Weiterbetrieb der letzten sechs deutschen Kernkraftwerke eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid-Emissionen einsparen, pro Jahr wären es 60 Millionen. Bereits 2021, vor dem Abschalten der letzten sechs Meiler, hat Deutschland innerhalb der EU im Vergleich hohe Emissionen pro Kilowattstunde Strom. In Frankreich, Schweden und in der kanadischen Provinz Ontario sieht man, dass ein hoher Kernenergieanteil ein Elektrizitätssystem mit fast null Emissionen bereits heute ermöglicht.

Die Menge an hoch radioaktivem Abfall, die durch Kernenergie entsteht, ist äußerst gering. Sollte jemand in Europa für den gesamten Energiebedarf allein Kernenergie nutzen, würde der entstehende jährliche Abfall von 7,5 ml ein Schnapsglas halb füllen. Dieser „Müll“ enthält noch unverbrauchtes Uran, das in Schnellreaktoren weiterverwendet werden kann. Wird er in einem Endlager untergebracht, wie dies in Finnland mit Zustimmung von Anwohnern geschieht, würde selbst ein überraschendes Leck unter sehr pessimistischen Annahmen kaum Auswirkungen auf die darüber lebende Bevölkerung haben. Nach dem größten Reaktorunfall des Jahrhunderts – in Fukushima – haben Evakuierungen mehr Schaden angerichtet als verhindert. Der deutsche Atomausstieg hat durch den verlängerten Einsatz fossiler Energien bereits über 4.600 vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung verursacht. Modelle zeigen, dass ein emissionsfreies Energiesystem zu vertretbaren Kosten eher zu erreichen ist, wenn auch Kernkraft eingesetzt wird. Der Bedarf an Energiespeichern, Netzausbau und Sicherungs-Kraftwerken mit hohen ausgelagerten Kosten und zusätzlichen CO₂-Emissionen durch Gaskraftwerke ist dann geringer.

Der Pionier der Klimaforschung, James Hansen, hält Kernenergie für einen wichtigen Bestandteil einer künftigen Energieversorgung. Die Hälfte der Deutschen ist laut Umfragen für den Weiterbetrieb der sechs verbliebenen Kernkraftwerke.

Für bald zehn Milliarden Menschen brauchen wir erschwingliche, kohlenstoffarme Energie – eine Mammutaufgabe. Die Kernenergie ist eine unserer wenigen Optionen, und es ist leichtsinnig, sie nicht zu nutzen. Sollten sich Energieversorger, in Deutschland etwa RWE, dem nicht anschließen, gibt es für Ökomodernisten einen Weg: Der Staat sollte selbst AKW betreiben – als Teil einer klimafreundlichen Infrastruktur.

Amardeo Sarma ist Elektroingenieur und im Vorstand von Ökomoderne e. V.

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Mitarbeit: Simon Friederich

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