Demonstranten! Lasst Euch testen!

Demos in der Pandemie. Es war gut, es war wichtig. Aber gemeinsam das Richtige zu tun macht nicht immun. Eine Empfehlung für danach.

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15.000 Protestierende auf dem Alexanderplatz in Berlin, 25.000 auf dem Königsplatz in München und 14.000 in Hamburg, in Hunderten von Metropolen und Städten auf der ganzen Welt versammelten sich am Samstag die Menschen um gegen Rassismus zusammenzustehen, manchmal mit Corona-Sicherheitsabstand, oft im Schulterschluss oder Arm in Arm. Das massenhafte, gemeinsame, öffentliche und unübersehbare antirassistische Bekenntnis hat große Kraft entfaltet, es war wichtig.

Doch jetzt ist Katzenjammer. Das mit dem Abstandhalten hat besonders in den Metropolen nicht funktioniert, da sind sich fast alle einig. Schon während die Demonstrationen noch in vollem Gange sind, zeigen sich der Gesundheitsminister Jens Spahn und der Bundestagsabgeordnete und Gesundheitswissenschaftler Karl Lauterbach per Twitter besorgt, betonen aber natürlich ihre Unterstützung des Anliegens.

Seit gestern ziehen viele Medien nach. Der Rausch, gemeinsam das Richtige getan zu haben, weicht der Ernüchterung. Verdammt, die Pandemie ist ja noch da. Und los gehts: Waren die Abstände wirklich zu gering? Ach, in meiner Umgebung war das doch ganz in Ordnung… . Wie schnell gehen Nanopartikel des Virus auf Aerosolen bei welcher Temperatur kaputt? Wieviel Prozent der Teilnehmer trugen wirklich Mundschutz? Hätte die Polizei die Plätze früher sperren müssen? Das nächste Mal doch besser andere Formen des Protests? Was ist mit unserer Solidarität gegenüber Alten und möglichen Risikopatienten, ist die zweitrangig? Das Kind ist in den Brunnen gefallen, die Zeilen werden gefüllt.

Aus der Politik hört man hauptsächlich Beschwichtigungen, oder nichts. Kein Politiker will der Spielverderber sein, oder schlimmstenfalls als Gegner der Proteste gelten. Es wird schon gut gehen! Aber insgeheim werden wir alle in den nächsten 14 Tage auf die Infektionszahlen starren, wie das Kaninchen auf die Schlange. Das ist unverantwortlich und unnötig. Nötig ist transparente Krisenkommunikation. Jens Spahn hat schon im Februar beim Thema Masken bewiesen, dass er nicht fähig ist, für den Infektionsschutz grundlegende Maßnahmen transparent, deutlich und rechtzeitig zu kommunizieren. Deshalb hier ein Vorschlag aus eigener Feder, angelehnt an infektiologische Empfehlungen nach einer Reise in ein Risikogebiet:

Jedem, der am Samstag an einer der großen Demonstrationen teilgenommen hat, oder der in Zukunft an einer Demonstration teilnimmt, wird empfohlen, sich umgehend auf das Virus COVID-19 testen zu lassen. Bis zum Eintreffen des Testergebnisses, oder bei Nichttestung für 14 Tage, wird dringend geraten: 1. Die unbedingte Vermeidung aller Massenveranstaltungen (Gottesdienste, Clubbesuche, Partys, weitere Demonstrationen). 2. Die besonders gewissenhafte Beschränkung der eigenen Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts auf das notwendige Minimum (z.B. Arbeit, Einkaufen). 3. Keine Restaurantbesuche und kein Indoor-Sport. 4. Vermeidung öffentlicher Verkehrsmittel. 5. Das Tragen einer Nasen-Mund-Bedeckung in der Öffentlichkeit drinnen und draußen, und bei jedem Kontakt außerhalb des eigenen Haushalts, auch bei der Arbeit.

Demonstrieren in Zeiten der Pandemie ist ein Lernprozess: Das großartige Gefühl gemeinsam das Richtige zu tun, macht nicht automatisch immun. Aber Solidarität kann verdoppelt werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Antonie Maybaum

Asienwissenschaftlerin, Schwerpunkt Pol. /Gesellschaft China, Korea, Philippinen, wo sie die letzten 20 Monate arbeitete.

Antonie Maybaum

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