Mehr Glück als Verstand

Notizen aus Seoul Deutschland ist nicht Südkorea. Und was Buddhas Geburtstag uns dazu sagt.

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Alle Welt singt das große Loblied auf Deutschlands Umgang mit der Corona-Epidemie, so fasst es zumindest die Deutsche Welle nochmal schön für uns und alle zusammen, die es noch nicht haben läuten hören. Wir haben es wieder an die Spitze geschafft, ganz ohne Fußballweltmeisterschaft. Zitiert werden die wichtigsten Tageszeitungen und Bürger der Länder Argentinien, USA, Israel, Neuseeland und des Vereinten Königsreichs, die angeblich neidisch nach Deutschland und auf Angela Merkels Krisenmanagement schielen.

Soweit das Eigenlob, das die Deutsche Welle in die Welt hinausposaunt. Dumm nur, dass zu "alle Welt" mal wieder kein asiatisches Land gezählt wird. Denn in vielen Ländern Asiens schüttelt man den Kopf über die Versäumnisse einer effektiven Epidemie-Bekämpfung und über die Krisen-Kommunikation in Europa, auch und besonders in Deutschland. Dabei imaginiert sich Deutschland doch gerne als das Südkorea Europas: Tolle Vorbereitung (genug Intensivbetten), tolle Maßnahmen (Drive-Inn-Testung und vielleicht bald eine App) und ganz tolle Kommunikation (Argument: Merkel ist Wissenschaftlerin). Und kein Verdacht auf Kommunismus.

Ich erlaube mir einen, zugegeben nicht vollständigen, kurzen Check des Corona-Bingos zwischen Südkorea und Deutschland.

Pandemie-Vorsorge: Während Seoul erst im Dezember 2019 eine der routinemäßigen Pandemieübungen durchspielte, und bei Auftreten der ersten Infektionsfälle ab dem 20. Januar den nationalen Pandemieplan in offener Kommunikation und Transparenz mit einer aufgeklärten Bevölkerung in die Praxis umsetzen kann, hat Deutschland natürlich auch einen Pandemieplan in der Schublade. Doch weder das Gesundheitsministerium, noch die für Infektionskrankheiten zuständige zentrale Bundesbehörde und oberstes Forschungszentrum denken daran, dass eine Epidemie die Asiaten trifft auch für Deutsche gefährlich werden könnte: Noch im April irritiert der Leiter des Robert-Koch-Instituts mit der Feststellung, die aktuelle Krise habe ein Ausmaß, das er sich nie hätte vorstellen können. Ähnlich fantasielos war wohl auch Jens Spahn: als noch im Januar ein Hersteller sein Ministerium warnte, dass die Epidemie in China auch zu einem Mangel an chirurgischen Masken in Deutschland führen könnte, ignorierte das Gesundheitsministerium diese Mahnung schlicht.

Pandemie-Maßnahmen: Südkorea führte bei allen Infektions-Clustern eine 100% Testung aller möglicher Betroffener auf den Erreger SARS-CoV-2 durch: Innerhalb weniger Tage wurde jedes Mitglied der Kirchengemeinschaft Shincheonji Church of Jesus, auf welche 60 % aller Infektionen zurückzuführen sind, insgesamt also 200.000 Personen, auf das Virus getestet, alle Infizierten ins Krankenhaus eingewiesen, für alle Kontaktpersonen strikte häusliche Quarantäne angeordnet und diese kontrolliert. Wäre Deutschland mit Südkorea vergleichbar, hätte man alle Teilnehmer der Karnevalssitzung in Gangelt lückenlos auf das Coronavirus getestet und alle Kontaktpersonen der Infizierten vorsorglich bis zum Vorliegen des Testergebnisses unter Quarantäne gestellt. Das gleiche gilt für alle Ischgl Heimkehrer. Stattdessen findet am 7. März, 20 Tage nach der verhängnisvollen Karnevalssitzung und 4 Tage nachdem die Infektionszahlen im Kreis Heinsberg explodierten, im keine 10 km entfernten Stadium das Bundesliga-Spitzenspiel Gladbach gegen Dortmund mit über 50000 Zuschauern statt. In Bayern führen die Brauereien die Starkbieranstiche ungestört unter dem Motto „Corona-Schluckimpfung“ durch, während in Norditalien schon die Intensivbetten fehlen um alle Schwersterkrankten zu behandeln. Die Deutsche Regierung, die Gesundheitspolitiker, Gesundheitsexperten und die deutsche Bevölkerung nahmen das Virus nicht ernst und da wären wir beim Thema.

Krisenkommunikation: Die koreanische Regierung und auch die Bevölkerung konnte aus den katastrophalen Erfahrungen lernen, die Südkorea während der MERS-Epidemie 2015 machte, und setzte bei SARS-CoV-2 von Beginn an auf Transparenz in der Erörterung der Pandemiegefahr und der Erklärung der anstehenden Maßnahmen. Aber was hielt eigentlich deutsche Politiker davon ab, von der Krisenkommunikation asiatischer Staaten zu lernen und die 6 Wochen Vorsprung zu nutzen, bevor der Virus auch in Deutschland Fuß fassen konnte? Machtgier, Ignoranz und Rassismus. Das Gesundheitsministerium Südkoreas erklärt schon zur Prime-Zeit den Vorteil der zusätzlichen Quarantäne von allen Kontaktpersonen eines Infizierten gegenüber der alleinigen Quarantäne von Infizierten hinsichtlich der Basisreproduktionszahl R, da lässt man in Deutschland noch das örtliche Gesundheitsamt und die Gemütslage der Fußballfans entscheiden ob ein Länderspiel mit 50000 Zuschauern Nahe des größten Infektionsclusters stattfinden kann. Und während Südkorea dem anfänglichen Mangel an Masken sofort mit der Ankurbelung der inländischen Produktion, und dem einsetzenden Hamsterkauf mit einem so klugen wie simplen Verteilungsplan entgegenwirkte (siehe Bild), muss Jens Spahn, aufs Kanzleramt schielend, leugnen, dass Masken überhaupt einen Nutzen für die Bevölkerung haben. Er müsste sonst ja den Fehler eingestehen, dass sein Ministerium nicht vorgesorgt hatte, weder für das medizinische Personal, noch für die Bevölkerung. Spahn konnte mit seinem Märchen von der Nutzlosigkeit der Atemschutzmasken auf den latenten antiasiatischen Rassismus in Deutschland und die deutschen Medien zählen: Klar die Asiaten haben einen Maskenfetisch, sie tragen diese Dinger obwohl sie vermutlich sogar schädlich sind, die sind eben ein bisschen doof. Die Einführung der deutschlandweiten Maskenpflicht an diesem Montag wurde folglich auch nicht von transparenten Erklärungen flankiert, wie auch? Der wissenschaftliche Kenntnisstand der den Nutzen von Mund-Nasen-Bedeckungen im Community-Setting gegen die Übertragung des Coronavirus Sars-CoV-2 belegt hat sich ja seither nicht geändert. Bei solch transparenter Kommunikation wundert es kaum, dass Teile der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr mitziehen, Verschwörungstheorien wuchern und ein Fernsehmoderator vier Monate nach Ausbruch der Pandemie in den sozialen Netzwerken dafür gefeiert wird, dass er die vorgegebene Distanzregel von 1,5 Metern witzelnd unterläuft.

Im Westen nimmt man oft pauschal an, Asiaten würden sich gerne von Ihren Regierungen bevormunden lassen und Krisenkommunikation sei dort kein Thema. Das Gegenteil ist in Südkorea der Fall, die Bürger verfolgten und verfolgen weiterhin jeden Schritt ihrer Regierung akribisch, und sind dennoch oder gerade deshalb mit den ergriffenen Maßnahmen, samt anfänglicher Einschränkung der Versammlungsfreiheit und der Aufgabe mancher Persönlichkeitsrechte zu Gunsten der Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten, nach durchgehend transparenter Erklärung und öffentlicher Diskussion, in der großen Mehrheit sehr zufrieden.

Aber immerhin ist Deutschland doch nach ersten Problemen und mit Hilfe von ein wenig Glück jetzt auf dem besten Weg! Es gab einen Lockdown, die Schulen sind (waren) zu, es gab Kontaktverbote und Test-Drive-Throughs, und es wird bald eine App geben. Werden wir nicht doch noch zum Südkorea Europas? Zum Vorzeigestaat in der Coronabekämpfung? Wir haben doch wie Südkorea das schlimmste hinter uns.

Heute, am 30.4.2020, hat Südkorea null neue Infektionen mit dem Coronavirus innerhalb des Landes getestet, bei durchgeführten 5684 Tests (allein am 30.4.2020), vier Infektionen wurden bei Einreisenden am Flughafen getestet, es gab immer noch 2 Tote. Heute wird in Südkorea auch Buddhas Geburtstag gefeiert, wie jährlich am achten Tag des vierten Mondmonates. Alle Feierlichkeiten sind trotz diesen Zahlen abgesagt und um einen Monat verschoben worden. Mehr muss man zu den Lockerungen in Deutschland und der Aussicht auf eine erfolgreiche Bekämpfung des Virus nicht sagen.

Und wenn Deutschland es am 24. Dezember 2020 geschafft hat mit null inländischen Infektionen aufzuwarten und dennoch alle Weihnachtsgottesdienste abgesagt werden, dann nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Antonie Maybaum

Asienwissenschaftlerin, Schwerpunkt Pol. /Gesellschaft China, Korea, Philippinen, wo sie die letzten 20 Monate arbeitete.

Antonie Maybaum

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