Am Ende war doch alles anders

DAS FADJR-FILM-FESTIVAL IN TEHERAN Mehr brisante Themen, weniger formale Ausbrüche oder die Gratwanderung der iranischen Filmemacher zwischen Öffnung und Isolationismus

Die Preisverleihung war ein Abend der großen Gefühle: Das Fadjr-Film-Festival findet jedes Jahr zeitgleich zum Jahrestag der iranischen Revolution statt - und ist so immer auch ein Gradmesser für die aktuellen Strömungen in Kunst und Politik.

In diesem Jahr, kurz vor dem Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes, war das Festival besser und internationaler besucht als jemals zuvor, erstmals gab es ein Kolloquium über Cinema dialogue among civilizations, erstmals einen Publikumswettbewerb. Und doch zeigte sich anfänglich quer durch alle Ebenen - von der Organisation, über die allgemeine Stimmungslage während des Kolloquiums bis zu den Filminhalten selbst - die alte, unscharfe Divergenz zwischen Affirmation und Subversion, zwischen Öffnung und Isolationismus.

Einer war der strahlende Sieger: Wenig überraschenderweise hat Madjid Madjidi im nationalen wie im internationalen Wettbewerb sowie auch beim Publikum den Hauptpreis gewonnen. Sein Baran (Regen) war schon im Vorfeld als Favorit gehandelt worden - und bot Wahres, Schönes und Gutes: Ein junger Bauarbeiter intrigiert gegen seinen neuen afghanischen Kollegen, erkennt, dass es sich um ein junges Mädchen handelt und entbrennt vor Liebe. Fortan versucht er alles, um ihr hartes Los als illegales Flüchtlingskind zu erleichtern.

Diese romantische Wandlung vom Grobian zum aufopferungsvollen Ritter - dem Ideal islamischer Tugenden, die ja meist universale sind - wird sicher ihren Weg zu den europäischen Festivals finden. (Worin ja auch ein Sinn des Fadjr-Film-Festivals liegt.) Denn Baran führt eine Tradition des poetisch-realistischen Erzählens weiter, die im In- und Ausland längst als sichere Nummer gilt. Madjidi hatte bereits für Kinder des Himmels eine Oscar-Nominierung eingeheimst; bei den Behörden gilt er als "p.c.", also als gemäßigter Parteigänger der Mullahs und Befürworter einer "vorsichtigen" Filmzensur. Kritische Inhalte umzusetzen (wie hier eben die erbärmlichen Lebensumstände der afghanischen Flüchtlinge) ist inzwischen kein Tabu mehr - solange die Probleme von woanders herkommen, von jenseits der Grenze.

So müssen sich Filmemacher wie Madjidi immer wieder auch den Vorwurf gefallen lassen, sich in Niedlichkeit zu erschöpfen, nurmehr die Erfolgsmuster der Regie-Großmeister Abbas Kiarostami und Mohsen Makhmalbaf zu wiederholen und letztlich ausschließlich für den europäischen Markt zu produzieren - weitab von den "eigentlichen" Themen ... Unter Iranern gibt es ein gesundes bis krankhaftes Misstrauen gegen goldene Palmen, Bären, Leoparden und andere europäische Exotica: Zeigt ein Film nämlich andererseits tatsächlich soziale Härten wie Kinderarbeit, Familienterror, Frauenelend, dann befürchtet man, dass im Westen ein falsches Bild vom Land entsteht (und die Iraner begehren den Westen ebenso sehr, wie sie ihn verachten). Deshalb haben engagierte Filmemacherinnen wie Bani-Etemad, die mit Unter der Haut der Stadt eine brillante Milieustudie vorlegte, einen schweren Stand.

Wie überhaupt in diesem Jahr die Tendenz zum Aufgreifen brisanter Themen nur selten eine angemessene formale Umsetzung fand: So gab es zwar erstmals verbotene Tanzszenen, die Liebe eines Theologiestudenten zu einer Prostituierten, bigotte Geistliche, aber selbst etablierte Filmemacher wie Milani oder Foruzesh enttäuschten in ihrem Festhalten an bewährten Mustern.

Einer war der ewige Zweite: Mit tosendem Applaus, stehenden Ovationen wurde der "Gott" des iranischen Filmes bedacht: Bahram Beyzai, Mitbegründer der erfolgreichen iranischen "Nouvelle Vague" in den Siebzigern, stellt sich mit seinen Filminhalten jenseits der Tagespolitik und hat umso mehr unter ihr zu leiden. Seine Filme, so verschieden sie auch sein mögen, drehen sich um Wesentliches: Mythologische Helden - meist sind es Frauen - scheinen direkt aus dem Nebel der Geschichte zu treten, fechten Kämpfe um ihren Platz in der Gesellschaft aus, scheitern und verschwinden wieder. Der Islam ist nur ein konstitutives Element von Beyzais Ästhetik; andere Navigationspunkte auf seinen Reisen durch die Untiefen des Unbewussten wie der Historie sind Neorealismus, traditionelles Ta'ziyeh-Theater, Kurosawa - und Hitchcock. Nach neun Jahren (!) des Ringens um eine Genehmigung und dem Rückzug in die Theaterarbeit legte er nun Hunde töten vor, und erwies sich erneut als kongenialer Seelenverwandter des Masters of Suspense. Traditionell erhielt er wieder keinen Hauptpreis, viele Nebenpreise und den meisten Applaus.

An dem Film selbst schieden sich die Geister wie an keinem zweiten, erschließt er sich doch nur völlig, wenn man auf die übliche neorealistische Erwartungshaltung - "Achtung, jetzt kommt eine weitere Lektion in Humanismus" - verzichtet und sich dem Montagerhythmus des Filmes anvertraut. Dabei erweist sich die Vermittlung iranischer Inhalte - und mehr - mit "westlicher" Erzähltechnik als ungezwungene Umsetzung jenes interkulturellen Dialoges, der andernorts nur beschworen wurde.

In Hunde töten kämpft eine Frau für ihren wegen Zahlungsunfähigkeit und Scheckbetrugs inhaftierten Mann und versucht, inmitten einer Wirtschaftskrise, dessen Immobilienanteile Stück für Stück von den einzelnen Holdern zurückzukaufen. Anlass für eine Tour de Force durch die Abgründe der maroden Wirtschaft zu Zeiten des Krieges. Nicht nur Spekulanten verlieren hier Boden, auch für die Heldin und die Zuschauer tun sich zunehmend Abgründe auf. Ein Ausnahmefilm.

Einer war nicht da: Ebrahim Hatamikia, Musterknabe des iranischen Propagandafilms, war Jahr für Jahr mit Preisen überhäuft worden, weil er die geschundene Volksseele streichelte mit seinen Archetypen des Märtyrers, des zukurzgekommenen Rebellen. Was Rambo für den Vietnam-Veteranen leistete, versuchten Hatamikias unironische Helden für die Versehrten des iranisch-irakischen Krieges. Vor zwei Jahren nun hatte er mit Die gläserne Agentur eine Kehrtwendung vorgenommen, und den vergeblichen Ausreisewunsch seines Volkes thematisiert, erzählt als massenwirksames Geiseldrama vor der Folie von Lumets Erfolgs-Klassiker Hundstage. Sein neuestes Œuvre Tote Welle, das erneut die Kommunikationsprobleme der Kriegsgeneration mit der - überdurchschnittlich - jungen iranischen Gesellschaft aufgriff, war nicht im Wettbewerb vertreten. Alljährlicher Brauch ist es, dass einige der angekündigten Titel fehlen - "Zensur" nennt man so was natürlich nicht, eher "Probleme mit den Richtlinien, Regeln". Diesmal sollte alles anders sein.

Einer sprach Tacheles. Ex-Kultusminister Mohajerani kurbelte während seiner Amtsperiode die iranische Filmindustrie an, trat dann aber wegen zu großer Widerstände zurück. Jetzt fand er für das an metaphorische Umschreibung gewohnte iranische Auditorium so deutliche Worte wie wohl kaum jemand zuvor. Bitter nötige Worte: Die islamischen Richtlinien seien dafür gedacht, "böse Menschen" vom Kino fernzuhalten. Wenn jetzt gute Menschen betroffen seien, könne etwas nicht richtig sein.

Wo das noch naiv-menschelnd rührte, verschlug einem der folgende Vergleich vollends den Atem: Stalin hätte an Eisensteins Revolutionsfilm Oktober solange herumschneiden lassen, bis von den in Ungnade gefallenen Politikern nichts mehr übrig geblieben sei. Von dem ursprünglichen Film allerdings auch nicht. Und: Künstler seien seit jeher eingeschränkt gewesen von politischen Machthabern und Militärs; historisch hätte sich jedoch immer gezeigt, dass nicht die Politik, nicht die Waffenlager überdauert haben, sondern die Kunst. Das möge man, bitte schön, bedenken...

Die Worte standen im Raum, und das internationale Publikum im Parkett wie das iranische auf den Balustraden erhob sich erneut zu einem Beifallssturm. Noch eine Überraschung gab es: Der ansonsten schweigsame Madjidi trat einen seiner Preise an den "eigentlichen Sieger" ab - an Tote Welle von Ebrahim Hatamikia. Hoch über den Wogen des Applauses hingen, wie bei jeder öffentlichen Veranstaltung, die Porträts von Chomeini und seinem Nachfolger Chamenei. Diesmal waren sie sehr hoch gehängt. Fast nicht mehr zu erkennen.

Nachtrag: Während die Demonstranten der traditionellen Revolutionsumzüge in den Straßen von Teheran ihre Parolen skandierten, wurden nicht weit entfernt studentische Gegenveranstaltungen niedergeknüppelt. In wenigen Wochen beginnt der Vorwahlkampf. Dann wird der Konflikt zwischen Reformern und Konservativen erneut alle Bereiche erfassen. Was das für die Kultur, den Film bedeutet, bleibt abzuwarten ...

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