"Literarisches Quartett" im Rahmen der Leipziger Buchmesse, 16.03.12

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Es müssen noch etliche Stühle und Sitzbänke in das kleine Foyer des Centraltheaters geholt werden, ehe alle Anwesende Besucher Platz finden. Während der Veranstaltung werden noch etwa 40 Leute abgewiesen.

Es ist Buchvorstellung mit Jana Hensel, Michael Angele, Jakob Augstein und Jörn Dege. Etwa 60 Zuhörer haben sich einen Platz ergattert.

Michael Angele stellte das Quartett kurz vor. Nur 1 Stunde für 4 Bücher, leider sehr wenig Zeit. Jana Hensel beginnt mit "Blaue Stunde" von Joan Didion. Eigentlich ist es eher eine Vorstellung Joan Didions, nach eigenen Angaben ihre Lieblings- schriftstellerin und eine Art Vorbild, als eine Vorstellung des Buches.

In "Blaue Stunde", einer Art Nachfolgeroman von Didions Bestseller "Das Jahr magischen Denkens", erzählt die Autorin von der Zeit nach dem Tode ihrer Adoptiv-tochter Quintana, die Zeit der Trauer und Verarbeitung. Quintana starb 2005 nach 20monatigem Todeskampf. Was aber als Erinnerungsbuch an Quintana beginnt, wandelt sich zu einer rigorosen pessimistischen Schilderung der eigenen Befindlichkeiten, Schwächen und gesundheitlichen Ausfällen. Wichtig erscheinen nur noch ihr eigenes Alter, Krankheit, Einsamkeit, ihre Hinfälligkeit und der Tod.

Ich denke, dieses Buch scheidet die Geister, von "begeistert" (Jana Hensel) über "anstrengend, ja fast grausam zu lesen" (Jakob Augstein bis zu "zu Ich-bezogen, auf sympathische Art" (Michael Angele).

Einer der typischen Dialoge in der Runde, typisch auch für die lockere Stimmung im Raum :

Michael Angele mahnt ob der Zeit : "Noch drei Minuten !"

Jakob Augstein : "Hättest Du nicht so lange eingeführt, hätten wir länger diskutieren können."

Das zweite Buch, "Ausser sich" von Ursula Fricker, stellt Michael Angele vor. Es ist die Liebesgeschichte zwischen den Architekten Katja und Sebastian. Auf der Fahrt in einen Urlaub erleidet Sebastian eine schweren Schlaganfall. Die Hirnblutung hat wichtige Teile seines Gehirns zerstört. Er liegt viele Wochen im Koma, erkennt danach seine Frau nicht mehr. Was folgt, ist eine lange Zeit von Klinikaufenthalten, häuslicher Pflege und schließlich Pflegeheim. Und immer wieder der Wechsel zwischen Hoffnung und Einsicht in die Realität.

Ursula Fricker beschäftigt sich mit der Frage "Was ist der Mensch ? Was macht den Menschen aus ?"

Jana Hensel scheint enttäuscht vom Buch, "Ich lese den Klappentext und kenne das Buch.", wohingegen Jakob Augstein enttäuscht wirkt von der Aufarbeitung des Themas Sterbehilfe. Für Jörn Degegibt es einen starken Satz : "Es war, als kehrten die Worte unverrichteter Dinge zurück.", sonst ist es eher "Effekthascherei".

Das nächste Buch ist "Imperium" von Christian Kracht, vorgestellt von Jakob Augstein. Imperium erzählt die Geschichte des Aussteigers August Engelhardt, der 1902 in die Südsee auswanderte, um seine "Kokosnuss-Philosophie" (vor allem rein pflanzliche Ernährung und Nudismus) zu leben und bekannt zu machen. Sein Grundsatz lautete: „Die ausschließliche Kokosnuss-Diät macht unsterblich und vereinigt mit Gott, denn nackter Kokovorismus ist Gottes Wille“. Dieses Buch löste große Kontroversen aus, um das Wort "Skandal" mal zu vermeiden, als Georg Diez im "Spiegel" dem Autor rechtes Gedankengut vorwarf. Jakob Augstein versucht mit seiner Darstellung, das Buch aus dem Skandal wieder herauszuholen. Zahlreiche Rezensenten und Autoren bescheinigen dem Buch, meisterhaft, unterhaltsam, entspannend und ein Meisterwerk zu sein.

Zitate :

Jörn Dege "Ein Geniestreich."

Michael Angeles "... im Stil eines Thomas Mann."

Jakob Augstein "... handwerklich hohe Unterhaltungskunst..."

Das letzte Buch "Das Jahr in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen" von Thomas von Steinaecker, vorgestellt von Jörn Dege, erzählt die Geschichte der 42jährigen Renate Meissner, Versicherungsvermittlerin und nach München wegbefördert. Sie glaubt ihren Arbeitsplatz in Gefahr und will durch einen großen Auftrag, die Aquirierung einer russischen Vergnügungspark-Inhaberin, wieder Sicherheit in ihr Leben bringen. Hier beginnt der Roman abzudriften in paranoide Scheinwelten.

Für Jörn Dege stellt sich hier bei keiner der Figuren Empathie ein. Das Buch ist gut recherchiert, aber langweilig.

"Wenn man sich mit etwas Langweiligem beschäftigt und das auf langweilige Art macht, kommt etwas Langweiliges bei raus."

Einer der schönsten Sätze des Abends. Für Jana Hensel scheitert der Autor in diesem Buch, aber auf sehr hohem Niveau, sehr sympatisch, aber er übernimmt sich. Er scheitert auch, weil er seine Figur nicht zu lieben scheint, sondern dazu neigt, die Figur vorzuführen. Michael Angele findet das Buch schiefgelaufen wegen der Ich-Erzählform und Erzählkunst.

Im Endeffekt stellt sich die Frage, warum das Buch so hochgelobt und für den Leipziger Buchpreis nominiert wurde.

Das Publikum ist gebannt, lauscht aufmerksam, einige nicken manchmal. Einige Male gibt es lautes Gelächter,wenn sich die vier die Bälle zuspielen. Es ist ein gelungener Abend, und er hat mich neugierig gemacht auf zwei der Bücher. Vielleicht werde ich "Ausser sich" und das "Imperium" lesen.

Von diesen Veranstaltungen wünsche ich mir mehr, natürlich am liebsten hier in Leipzig ;-)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Anchesa

In meiner Gedankenwelt ist kein Platz für Rassismus. - Dieter Hallervorden -

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