Fichtelberg

Kehrseite II Wir fuhren auf der Autobahn durch den morgendlichen Nebel, neben dem beruhigenden Schnurren des Motors nur die leisegestellte Stimme aus dem Radio, ...

Wir fuhren auf der Autobahn durch den morgendlichen Nebel, neben dem beruhigenden Schnurren des Motors nur die leisegestellte Stimme aus dem Radio, die einen Sonnentag versprach. Schön und friedlich war die Welt, andere Menschen konnte man höchstens noch erahnen, aber wenn, dann fuhren sie in die Gegenrichtung. Ich schloss die Augen, die Hand meiner Freundin lag auf meinem Schenkel, ich begann zu träumen.

Als ich die Augen öffnete, begrüßten uns Lautsprechermusik und Zahlautomaten. Gehorsam ließ ich die ersten Münzen in den Schlitz gleiten. Probieren Sie, ob Ihnen 42 oder 43 passt, ich hatte mehr Zuspruch erwartet, dem Verleiher war es egal, aber meine Zehen haben Angst. Sie neigen dazu, sich nach unten zu biegen, wenn es ernst wird. Dafür müssen die dicken Beschläge auf den Skistiefeln sein. Nachher verschweißen sich Körper und Ski durch die Bindung zu einem Stück und man gleitet (theoretisch) nur durch die Schwerkraft und die Eleganz des Wedelns in S-Kurven ins Tal.

Ich tapste die Treppe zum Berg nach oben, über die Schultern das Paar Ski. Der Sessellift wartete artig, dass man sich platzierte, erst dann kam er in Fahrt, wenn ich nach oben sah, hatte ich Mut, der Berg sah im Blickwinkel nach oben nicht steil aus, dazu die Sonne, ein herrlicher Tag lag vor uns. Beim Aussteigen plumpste ich das erste Mal hin, meine Freundin zerrte mich mit einem Lächeln wieder hoch, ich fahr dir hinterher, rief ich munter, nach einer sanften Phase wurde es steiler, seht euch nicht um, sang es in mir, während von hinten das Knirschen zum Pfeifen wurde und schattenhaft Gestalten an mir vorbeizogen. Die Zehen stellten sich nach unten, der Schmerz zog über die Waden in die Oberschenkel, der Schweiß lief mir von der Wollmütze in die Augen. Sehr fern, unten lag das Tal mit dem Ziel, der Liftstation, du siehst gut aus, wiederholte ich die Worte meiner Freundin, die Schmerzen wurden unerträglich, meine Ski wollten nicht anhalten, Pflug!, Pflug!, auf halber Höhe lag ein Pavillon, ich muss ausruhen, mein Mund war schon völlig trocken, mein Blick verschwamm vor Anstrengung, gut so, denn so konnte ich nicht mehr auf die Unebenheiten im Schnee achten, dafür kamen uns gemächlich Pärchen entgegen, der Lift brachte sie nach oben in freundlicher Parallelrutschfahrt, durchschlüpfen, einmal, zweimal, die Musik fing an zu dröhnen, noch 50 Meter bis zum Ausruhen, der Pavillon aus Glas, kreisrund, aber keine Tür, also abschnallen, kleine schwere Schritte, drinnen heiß, die Gasstrahler über den Bänken, der Marschrhythmus, Go West, von den Pet Shop Boys, aber es hieß, steh auf!, ich hätte gern, sagte meine Freundin, die Frau hinter dem Tresen zuckte mit den Schultern, ganz schön laut, versuchte meine Freundin wieder das Gespräch aufzunehmen, wenn die Musik zu laut ist, müssen Sie lauter sprechen, konterte die Bedienung, läuft, das Geschäft, schrie ich, nun tönte es aus dem Lautsprecher: zeig doch mal die Möpse, lass doch mal die Möpse seh´n, neben mir stopfte der Vater dem Kind einen pappigen Burger in den Mund, mein Schweiß hörte nicht mehr auf zu laufen, der Befehl aus dem Lautsprecher hieß wieder: steh auf!, doch wohin, die Lautsprecher waren überall, also fuhren wir erst ab- und dann heimwärts, dafür gönnen wir uns noch Entspannung im Spaßbad.

Ohne ihre Brille hatte ich meine Freundin an der Hand, sie ließ sich von mir führen, heute ist textilfrei, sagte eine Stimme missbilligend, wir rissen uns die Badebekleidung vom Leib, dann steigerte sich das Murmeln, Stuhl an Stuhl, mit Handtüchern als Besitzmarke, vor der großen Dusche ein Stau aus Leibern. Wir zwängten uns rein. Da, ein leerer Saunaraum, doch hinter uns strömte wieder das Heer. Der Teufel musste es mir eingeflüstert haben, als die Klingel zum Aufguss rief, lief ich dem Mann mit Irokesenschnitt und gestählten Körper hinterher, nach draußen, mühsam schlitternd über die glitschigen Kacheln, ganz ans Ende der Anlage. Ich öffnete die Tür, verkeilt ineinander saßen die Michelinmännchen und Frauen von unten bis unter die niedrige Decke, man machte uns unwillig in der hintersten Ecke, ganz oben Platz. Jetzt wollen wir es wissen, die Apfel-Bananen-Show, ein Tablett mit Fruchtstücken ging rum, ich nahm ein Eisstück, euch ist doch nicht heiß, nein, schrie alles entzückt, der Muskelmann ließ das Tuch knallen, der Dampf erreichte meine Ohren, die sich anfühlten, als ob sie Feuer fingen, mein Körper gehorchte mir nicht mehr, ich stürzte raus.

André Herzberg, Musiker und Autor, lebt in Berlin.


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