Die Zukunft wird nicht im Biomarkt verhandelt

Öko-Politik Es besteht kein positiver Zusammenhang zwischen ökologischem Bewusstsein und ökologischem Lebensstil. Genau deshalb muss die Umweltbewegung politischer werden

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CO2-Fußtritt durch die Haustür.
CO2-Fußtritt durch die Haustür.

Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images

Bewusster Konsum liegt im Trend, öko sein ist avant garde. Die Zahl derer, die sich beim Einkauf Gedanken um Aspekte wie Nachhaltigkeit oder Verantwortung machen, nimmt rapide zu. Kurzum: Grüne Werte und daran angelehnte Lebensstile breiten sich aus. Jedoch spiegelt sich dies nicht in einem geringeren Ressourcenverbrauch oder einer Verkleinerung unseres ökologischen Fußabdrucks wider. In diesem Aufsatz möchte ich zeigen, dass die auf ökologisches Bewusstsein und individuelle Lebensstile fokussierte neue ‚Öko-Bewegung‘ am Kern des Problems vorbeilebt. Ihr großes Manko ist, dass sie nicht politisch ist. Sie ist widersprüchlich, denn wer öko sein will, muss politisch sein.

In den Theorien zu der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt kann man grob zwei Ansätze unterscheiden: Den normativen Ansatz [engl. Ideological approach], der in der Wissenschaft wie auch in der Gesellschaft dominant ist, sowie den strukturellen Ansatz. Der normative Ansatz geht davon aus, dass unser Umgang mit der Umwelt vor allem durch unsere Werte und inneren Überzeugungen ihr gegenüber bestimmt wird. Die Ursache für die Ausbeutung des Planeten wird in einer Veränderung unserer Wertestruktur gesehen: In dem verlorenen Respekt gegenüber der Natur, der Ignoranz gegenüber der Umwelt und der Dominanz des Eigennutzes. Die Lösung liegt dementsprechend in der Änderung unserer Wertestruktur. Dieser Tendenz schließt sich auch die breite gesellschaftliche Diskussion an. Wir reden über Verbraucheraufklärung und Konsumentenbildung, die uns wieder auf den richtigen Weg führen sollen. Problem und Lösung liegen demnach auf der Ebene des Individuums: Wenn nur endlich alle ein grünes Bewusstsein haben und dementsprechend konsumieren. Diese Debatte über das ökologische Bewusstsein und den individuellen Lebensstil ist wichtig, übersieht aber einen zentralen Punkt: Der negative Einfluss eines Individuums auf die Umwelt wird nur in sehr begrenztem Maße durch dessen innere Wertehaltung bestimmt.

Eine Studie in den USA hat das Global Warming Potential (GWP; dt. Erderwärmungspotential) verschiedener Lebensstile untersucht. Das Ergebnis: Keiner der untersuchten Lebensstile schafft es auch nur annähernd auf einen Wert, den wir aus globaler Perspektive als gerecht, geschweige denn ökologisch ansehen könnten. Das gilt auch für das 5-Jährige Kind, den Obdachlosen und den vegetarischen Studenten. Selbst der buddhistische Mönch, dem wir sicherlich die Überzeugung zusprechen würden, ein gegenüber anderen Arten und Menschen gerechtes Leben zu führen, hat einen ökologischen Fußabdruck, der dieser Überzeugung aufs dringlichste widerspricht. Wer in den USA lebt, ist nicht öko. Und: die innere Wertestruktur ist keine hinreichende Erklärung für die effektive Umweltauswirkung. Dazu ein Beispiel aus Deutschland: Untersucht man die Flugaktivitäten der Deutschen und differenziert dabei nach der Wahlentscheidung bei Bundestagswahlen, kommt man zu dem Ergebnis, dass es die Wähler und Wählerinnen der Grünen Partei sind, die am häufigsten per Flugzeug reisen. Das anzunehmende, überdurchschnittliche ökologische Bewusstsein der Wählerschaft der Grünen wirkt sich in keiner Weise positiv auf deren Beitrag zum Klimawandel aus. Im Gegenteil, die Diskrepanz zwischen Überzeugung und tatsächlicher Auswirkung ist enorm. Die richtige Erklärung liefert wiederum die Studie aus den USA: Der Beitrag zum Klimawandel eines Individuums steht in direkter Korrelation zu dessen Einkommen. Je höher das Einkommen, desto größer der negative Umwelteinfluss. Das passt: Die inneren Überzeugungen wirken sich nicht auch die Anzahl der Flugreisen aus, wohl aber das im Vergleich überdurchschnittlichen Einkommen der Grünen Wähler und Wählerinnen.

Die beiden Beispiele des buddhistischen Mönchs und den WählerInnen der Grünen zeigen Eines ganz deutlich: Unsere effektive Wirkung auf die Umwelt wird weniger durch unsere Werteüberzeugungen als vielmehr durch die für unser Leben konstitutiven Strukturen bestimmt. Der Mönch in den USA, die WählerInnen der Grünen in Deutschland, sie alle haben trotz anderweitiger Überzeugungen einen enormen negativen Einfluss auf die Umwelt, weil sie in einer wohlhabenden,globalisierten und industrialisierten marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft leben. Entscheidend sind nicht verlorene oder verwerfliche Wertüberzeugungen, sondern die für das Leben maßgeblichen Strukturen. Innerhalb der Strukturen einer westlichen Industrienation gibt es keinen ökologischen Lebensstil, völlig unabhängig von den eigenen Überzeugungen. Das sind die Kernthesen des strukturellen Ansatzes der Mensch-Umwelt-Beziehungen.

Ich studiere an der Kiel School of Sustainability. In meinem Studienumfeld erwartet man aufgeklärte und bewusste Konsumenten. Das ist sicherlich der Fall. Und trotzdem: Jede und Jeder hier hat einen ökologischen Fußabdruck, der so unfassbar weit weg ist von dem, was wir aus globaler Perspektive als gerecht ansehen könnten. Warum? Weil wir in einer Universität studieren, die nicht regenerativ beheizt wird. Weil wir in einer Mensa essen, die ihr Essensangebot nicht nach ökologischen Kriterien bestimmt. Weil wir in erschwinglichen Altbauwohnungen leben, die mit fossilen Brennstoffen beheizt werden und zudem schlecht isoliert sind. All das hat wenig mit unseren inneren Überzeugungen zu tun. Vielmehr sind die systemischen Strukturen ausschlaggebend. Die Sphäre, in der diese Strukturen geformt werden, ist die Sphäre des Politischen. Das Essensangebot in der Uni sowie deren Beheizung können nur durch entsprechende Hochschulpolitik geändert werden. In energetisch gut sanierte Wohnungen können wir nur ziehen, wenn wir durch bildungspolitische Entscheidungen mehr BAföG bekommen oder die energetische Gebäudesanierung baupolitisch konsequent angegangen wird. Kurzum: Wir können alle Nachhaltigkeit studieren, doch solange wir nicht auch durch entsprechende politische Entscheidungen die maßgeblichen Strukturen ändern, wird es nicht zur Lösung des Problems führen.

Wenn wir uns nur über grünes Bewusstsein und individuelle Lebensstile unterhalten, erreichen wir den Kern des Problems nicht. Wir diskutieren nur die eine Seite der Medaille, die wie es scheint, nicht einmal die ausschlaggebende ist. Anders gesagt: Wir sind davon überzeugt, dass ein gutes Leben ein Leben im Einklang mit unserer Umwelt ist, ein Leben, dass eben nicht die Lebensbedingungen anderer Menschen und Arten beeinträchtigt. Wenn wir aber dieser Überzeugung sind, müssen wir uns doch dafür einsetzen, dass ein solches Leben auch möglich ist. Dann müssen wir für Strukturen kämpfen, die uns zu einem solchen Leben befähigen. Wenn wir wirklich nach unseren Überzeugungen leben wollen, dann müssen wir politisch sein! Wer öko leben will, muss politisch sein! Politisch sein heißt für mich dabei im weitesten Sinne meine eigenen Überzeugungen nach außen zu tragen um die für mein Leben wichtigen Strukturen nach meinen Wünschen mitzugestalten. Das kann in Aktivistengruppen, Interessenverbänden, NGOs, Ortschaftsräten, Parlamenten und Parteien geschehen, auf lokaler bis globaler Ebene. Wir müssen sagen was wir wollen!

Eine Einordnung: Das Gesagte bedeutet in keiner Weise, dass das Individuum für die gesellschaftliche Transformation unwichtig ist. Die Verbreitung von Werten, die einen respekt- und verantwortungsvollen Umgang mit unserer natürlichen Umgebung und somit auch mit anderen Menschen berücksichtigen, ist von zentraler Bedeutung. Zum einen, weil politische Entscheidungen auf die entsprechenden Überzeugungen in der Bevölkerung angewiesen sind. Die angesprochenen Systemänderungen wird es nicht geben, wenn sie nicht von einem größeren Teil der Menschen befürwortet werden. Diese Überzeugungen wiederum werden sich nur ausbreiten, wenn wir alternative Lebensstile entwickeln und vorleben. Das Aufzeigen und Leben von attraktiveren Alternativen ist für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft unerlässlich. Zum anderen haben alternative Lebensstile, die eine grüne Wertestruktur auch wirklich konsequent umsetzen, eine deutlich reduzierte Umweltauswirkung: Durch Verzicht auf Flugreisen und Auto, die Rückkehr zu einer fleischreduzierten, regionalen und saisonalen Ernährung und den Bezug von Ökostrom kann man den eigenen CO2-Fußabdruck auf 6t CO2-Äquivalente pro Jahr senken (der deutsche Durchschnitt liegt bei 11t). Konsequent umgesetzte grüne Werte können also einen direkten Einfluss haben. Aber: Ein gutes Leben, das nicht auf Kosten anderer geht, müsste nicht mit 6, sondern mit 2t CO2 pro Jahr auskommen. Ein solches Leben ist nur unter veränderten Rahmenbedingungen möglich. Keine der von uns vorgelebten ‚attraktiveren Alternativen‘ schafft es auch nur annähernd an die 2t. Dafür brauchen wir andere Strukturen, dafür brauchen wir entsprechende politische Entscheidungen. Wer öko leben will, muss politisch sein!

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