"4'33" von John Cage

Kommentar Stiller Protest der Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenkos zum neuerlichen Lockdown von Kulturinstitutionen

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Keiner will, was wieder ist!

Seit heute ruht in Deutschland - schon zum zweiten Mal seit Ausbruch von Corona - alles öffentliche kulturelle Leben.

Im Bund-Länder-Beschluss v. 28.10.2020 ist die Order lediglich mit einem Satz vermerkt: "Ab dem 2. November werden alle Theater, Opern- und Konzerthäuser sowie ähnliche Einrichtungen geschlossen."

Die allgemeine Aufregung, das Miss-, bisweilen gar das Unverständnis und die nicht nur punktuelle Wut direkt Betroffener sind groß und werden markig ausgedrückt.

Bei den Berliner Philharmonikern zum Beispiel sind sich wohl Andrea Zietzschmann (Intendantin) wie Kirill Petrenko (Chefdirigent) oder Knut Weber als wie Stefan Dohr (die beiden Sprecher vom Orchestervorstand) ziemlich einig, dass es so nicht gehen kann; Zitat Orchestervorstand:

"Am Anfang dieser Krise haben die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin zu Recht auf die Ernsthaftigkeit der Lage hingewiesen. Wir, die Musikerinnen und Musiker der Berliner Philharmoniker, haben kein Verständnis für die erneute Schließung unseres Konzertbetriebs und sämtlicher kultureller Einrichtungen. Insbesondere die freien Kulturschaffenden haben bereits große Einbußen hinnehmen müssen und wir alle werden mit den Konsequenzen der erneuten Schließung noch für Jahre zu kämpfen haben. Die Kulturlandschaft hat die Situation ernst genommen – jetzt bitten wir darum, ernst genommen zu werden."

Richtig, ohne jede Frage.

Allerdings:

Wenn wir jetzt alle - ALLE - wollen, dass uns unser aller Laden nicht durch den exponentiellen Infektionsanstieg mit allen zeitnahen und Spätfolgen (Stichwort vom überlasteten Gesundheitswesen) irgendwann dann auseinanderfliegt, müssen wir sehen, wie wir alle - ALLE - mit der gottverdammten Pandemiescheiße zurecht kommen, von selber wird sie sicher nicht verschwinden. Dem verfluchten Virus lechzt es halt nach freiwilligen Wirten, und die Wirte sind natürlich: wir!

Die Kanzlerin hatte am Nachmittag in ihrer Pressekonferenz unmissverständlich darauf hingewiesen, dass es nicht etwa um ein Infragestellen der von den Theatern, Opernhäusern und Konzertsälen bewerkstelligten Abstands- und Hygienekonzepte gehen würde, sondern einzig und allein um das Vermeiden jeglicher Kontakte; heißt:

Publikum soll derzeit vermieden und verhindert werden, denn das Publikum reist zu Theatern, Opernhäusern und Konzertsälen zum einen an, zum andern wieder ab, bevölkert also auch zumeist die Busse und die Bahnen, ja und wenn das alles aufsummiert würde, wer sich dann alles so im Vor- und Nachfeld potenzieller Aufführungen und Konzerte hin und her bewegt... Wir allseits aufgeklärten Bundesbürger könnten alles das, von seiner infektionösen Masse her, im Handumdrehen nachrechnen, und darum geht es: um die temporäre Sperre überflüssiger Kontakte.

Und der Staat muss selbstverständlich helfen, wenn er schon mit dieser Art Berufsverbot agiert - das hat er auch versprochen, und nun wird man schauen müssen, wie und ob er sich an sein Versprechen hält.

Eingebetteter Medieninhalt

*

Kirill Petrenko tat in seinem letzten Vor-Lockdown-Konzert mit den Berliner Philharmonikern das Stück 4'33 von John Cage, dem größten aller Spaßmacher der neueren Musik, als Zugabe performen.

Es "klang" wie ein Statement zur Bedeutung von Musik an sich, ja und vielleicht wollten die hochbezahlten Weltstars ihren Zuschauern damit beweisen, wie auch absolute Stille - wenigstens für eine Zeitlang - unser aller Leben ungemein bereichern kann.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 02.11.2020.]

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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