AMOK - HANSI GEHT'S GUT mit Tilo Nest

Filmkritik Deutsches Autorenkino vom Feinsten (Buch und Regie: Zoltan Paul).

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Tilo Nest sieht aus wie Einar Schleef oder Jürgen Trittin - so eine unglaubliche Ähnlichkeit hält man ja kaum für möglich; und das Irre dabei ist, dass dieses Ähnlichsein von Mal zu Mal sowohl den Schleef wie den Trittin, jeweils nach der von Bildgestalter Jonas Schmager vorbestimmten Nahaufnahme, hin und her wechselt und man (als Zuschauer) so derart immer wieder in betrachterisches Schwanken eingebunden ist - - dass Tilo Nest ganz selbstverständlich Tilo Nest und also weder Ähnlichaussehender des Typ A (Schleef) oder des Typ B (Trittin) ist, sollte mit der optisch-eingehenden "Unterstellung" keinesfalls und niemals-nie bezweifelt worden sein. Kurzum: Ein Schauspieler der extraordinären Klasse konnte für den Film Amok - Hansi geht's gut von Zoltan Paul (Drehbuch, Regie) gewonnen werden. Das allein bedeutete bereits ein filmisches Ereignis schon an sich!

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"Am Berlin-Charlottenburger Shakespeare-Platz lebt Lorenz Fuchs(...). Früh am Morgen schweift sein Blick über das Häusermeer in Richtung Funkturm. Frühstück, der alltägliche Weg zur Arbeit. Seine Firma ist das kalkulierte Opfer von menschenverachtenden Konzernstrategien. Der Buchhalter muss Arbeitsplätze abwickeln. Fuchs wird als Letzter vom sinkenden Schiff gestoßen. Zwischen Panikattacken und Selbstmitleid macht sein zynischer Chef (...)seinem Buchhalter ein Angebot, das ihn noch tiefer in den Abgrund treibt!" (Quelle: amok-film.com)

Der Witz - um noch einmal auf das Gedrillingtsein der äußerst Ähnlichen zurückzukommen - ist halt der, dass Tilo Nest nicht etwa einen mehr nach links Georteten verkörpert, sondern Einen scheinbar ohne jede "Einstellung" und/oder "Ausrichtung": einen No-Name, eine arg-arbeitsame Graue Maus, ein zwischen seiner Wohnung und seiner Betriebsstätte sein langweiliges Lebenspendel abwippendes Einerlei... Sein gleichbleibender hart-unnahbarer Gesichtsausdruck und seine altersschwache Körpersprache lassen uns (die Zuschauer) nicht einen Deut von dem verraten oder Preis geben, was mit dem Kerl dann "außerdem" geschehen und/oder passiert war. Durch die kurze Chef-Erzählung während des den restlichen Filmfortverlauf verursachenden Dialoges zwischen ihm und Charly Hübner (der den Chef spiet) kriegt man lediglich rein faktisch zu erfahren, dass er seine altersschwache Mutter in die Pflege gab - ja und man sieht die Exfrau (die ihm zu Beginn des Filmes auf die Pelle rückt) und dass er sie wohl nicht mehr riechen kann...

In einem Schreckschussknarren-Laden lauert ihm ein Waffen-Dealer auf, der instinktiv den sehnsüchtigen Wunsch des von ihm Auserkorenen zu deuten und auch zu erkennen glaubte - selbiger verspricht ihm, in den nächsten Tagen etwas Derartiges zu besorgen.

Plötzlich ist er im Besitz von einem Magazin mit scharfer Munition, einer Pistole.

Beim Asiaten (war das noch davor? ich kann mich täuschen) fängt er wieder mit dem Trinken an; ein Bier, zwei Bier, drei Bier - das schließen wir aus seinem Telefongespräch mit seiner Mutter, die ihm wohl am Strippenende Vorwürfe gemacht hat nach dem Motto: Fängst du wieder damit an? Wahrscheinlich hatte sie allein aus seiner Sohnesstimme rausgehört, dass da etwas mit ihm nicht stimmte - also war er früher mal ein Alkoholiker? gewiss. ["Hansi geht's gut", sagte er noch; aber der Muttervogel stank wahrscheinlich schon seit Langem als gefiederter Kadaver vor sich hin.]

Er bahnt sich ohne Worte seinen Weg zum Chef, den er sofort über den Haufen knallt. Er schießt den Firmen-Wachmann, der ihn stoppen wollte, nieder - er ist selbst vom Firmen-Wachmann angeschossen worden. Er fährt mit dem Auto Richtung "Ruhesitz am Zoo", geht ins Gebäude, Schüsse fallen, und kommt wieder raus, fährt weiter. Er ruft seine Ex-Frau an, die er sofort und an gewohnter Stelle sehen will - sie kommt und sieht ihn - - er will auf sie schießen, tut es letztlich nicht...

Die Kamera fängt sein Gesicht in Gänze ein, ihm rollt dann eine unsentimentale Träne auf die rechte Wange. Aus.

* *

Nein, es gibt keine trostspendenden Worte für die Einsamkeit.

Grandioser, stiller Film.


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Tilo Nest isst kurz vorm Amok noch asiatisch | (C) Jonas Schmager


[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 29.05.2015 auf KULTURA-EXTRA] http://vg05.met.vgwort.de/na/49567685d6d04d1e87b0e91482eace29

AMOK - HANSI GEHT'S GUT (D 2015)
Drehbuch und Regie: Zoltan Paul
Szenenbild: Graziella Tomasi
Bildgestaltung: Jonas Schmager
Musik: Julian Adam Pajzs / PERO
Schnitt: Annette Kurzbach
Besetzung:
Lorenz Fuchs ... Tilo Nest
Chef ... Charly Hübner
u.a.

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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