AMOUR FOU von Jessica Hausner (Buch & Regie)

Filmkritik Kleist nervt mit lang gehegtem Doppelselbstmordakt

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"Nahezu mittellos und innerlich 'so wund, daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert' (Brief an Marie von Kleist vom 10. November 1811) nahmen die Gedanken an einen Suizid aufgrund von Geldsorgen und der stetigen Kritik seiner Werke überhand, auch weil sein Schauspiel Der Prinz von Homburgverboten wurde und er desgleichen keine Stelle im preußischen Staatsdienst erhielt. Aus Geldnot schrieb er weiter Stücke, die später, nach seinem Tod im 2. Band veröffentlicht wurden. Er suchte und fand eine Begleiterin für diesen Weg, die an Krebs erkrankte Henriette Vogel. Mit ihrem Einverständnis erschoss Kleist am 21. November 1811 am Stolper Loch, dem heutigen Kleinen Wannsee im Südwesten Berlins, zuerst sie und dann sich selbst." (Quelle: Wikipedia)

Amour Fou wäre so was wie eine "unnormale" Liebe - im Zusammenhang mit Obigem wäre (und ist) es also ziemlich "unnormal", wenn Eine oder Einer dann zu Einer oder Einem kommt, um zu erbitten, dass er/sie mit ihr/ihm dann zusammen (suizidisch!) stirbt und dieses gleichsam als ein Zeichen resp. einen Letztbeweis seiner bzw. ihrer Liebe sieht o.s.ä.

Man fragt sich daher - wieder im Zusammenhang mit Obigem - , ob Kleist noch richtig ticken tat, als er sich dieses Alles ausdachte?

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Doch eigentlich wollte die Filmemacherin Jessica Hausner einen ganz, ganz andern Film zum Thema "Doppelselbstmord" drehen - weil ihr aber dann das ursprüngliche Buch hierzu (spielend im Heute und mit Heute-Menschen) nicht behagte, transformierte sie "ihr" Thema in die Zeit des Biedermeier und erwählte sich die Selbstmord-Story um Heinrich von Kleist und Henriette Vogel = auch gut.

Es ist ein Autorenfilm geworden, dem man nur superlativ-verbal gerecht sein kann: Unübertroffen scheinen mir die ruhigen, zeitlupigen und mit jeder Menge Stand(film)fotos ausgemachten Bilder Martin Gschlachts, die gleichfalls ruhig und zeitlupig von Cutterin Karina Ressler aufeinander zumontiert wurden. Ein Licht- und Leuchtfest sondergleichen stellen jene Innenaufnahme-Momente dar, wo ausschließlich nur unter und/oder bei Kerzenschein gedreht war; unbeschreiblich schön das Alles.

Schlicht, einfach und ergreifend Hausners nachstehender Filmplot:

"Berlin, zur Zeit der Romantik. Der Dichter Heinrich hat den Wunsch, durch die Liebe den unausweichlichen Tod zu überwinden: seine ihm nahe stehende Cousine Marie lässt sich aber partout nicht davon überzeugen, zu zweit dem übermächtigen Schicksal entgegenzutreten, und gemeinsam mit Heinrich den eigenen Tod zu bestimmen. Doch die junge Ehefrau eines Bekannten, Henriette findet – als sie erfährt, dass sie sterbenskrank sei – Gefallen an dem Angebot. 'Eine romantische Komödie', frei inspiriert durch den Suizid des Dichters Heinrich von Kleist 1811." (Quelle: amourfou-film.com)


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Christian Friedel (als Heinrich von Kleist) und Birte Schnoeink (als Henriette Vogel) in Amour Fou- Foto (C) Jour2fête

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Amour Fou: Henriette Vogel (Birte Schnoeink) wird von Kleist erschossen werden... - Foto (C) Jour2fête

http://www.livekritik.de/kultura-extra/templates/getbildtext4.php?text_id=8366
Amour Fou: Heinrich von Kleist (Christian Friedel) schießt sich in den Kopf... - Foto (C) Jour2fête

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Man pflegt im Film eine sehr preußisch-steife, leidenschaftslos-trockene und umständliche (Schrift-)Sprache der damaligen Zeit zu sprechen; ich vermute, dass das Meiste des von mir Gehörten O-Zitate aus diversem Zeitgenössischem (Briefauszügen und Tagebuchstellen und Dokumentenformulierungen) gewesen war. Die Hausner hatte aber auch dann Vieles in geschickter Angepasstheit umgebiedermeiert oder gar geheutigt; alles sehr geschmeidig und hochclever artifizialisiert.

Christian Friedel (Kleist) und Birte Schnöink (Henriette) spielen/sprechen ihre Rollen als ein Hohefest der Schauspielkunst. Sie drängen sich dem Zuschauer/Zuhörer dabei allerdings in keinster Weise auf. Es sind die Feinheiten (und sogar Ungesagtheiten), die sie so überaus präsent und einprägsam in diesem wunderbaren Film zu uns herüberkommen lassen. Was für zwei Entdeckungen!!

Der Dichter Kleist ist in dem Streifen "unsympathisch" angelegt - sein Egomanentum und seine melancholisch aufgeschwängerte Entnervtheit drücken ihn in eine Ecke rein, wo er womöglich (als Gesamtpersönlichkeit) nicht richtig rein gehört; aber die Interpretation seiner Figur wirkt dennoch stimmig - - Henriette Vogel kriegt hingegen mein (und unser aller?) Mitgefühl, vielleicht sogar in einer Überdosis; das hat Hausner hundertpro auch so gewollt, ich wette!

Preise für den Film!!!

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 16.01.2015 auf KULTURA-EXTRA] http://vg05.met.vgwort.de/na/353b65f376344429a14539a4d2f6be80

Amour Fou (A/L/D 2014)
Drehbuch & Regie: Jessica Hausner
Kamera: Martin Gschlacht
Schnitt: Karina Ressler
Szenenbild: Katharina Wöppermann
Kostüm: Tanja Hausner
Mit: Christian Friedel, Birte Schnöink , Stephan Grossmann, Peter Jordan, Sebastian Hülk, Marc Bischoff, Marie-Paule von Roesgen, Josiane Peiffer, Nickel Bösenberg u.a.
Filmstart (D): 15. Januar 2015

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

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