Barrie Kosky: DER JAHRMARKT VON SOROTSCHINZI

Premierenkritik Essen und Trinken, bei Mussorgski-Musik, in der Komischen Oper Berlin

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Meine Lieblingsszene aus dem gestern Abend an der Komischen Oper Berlin Premiere gefeiert habenden Jahrmarkt von Sorotschinzi: wie Altistin Agnes Zwierko (Chirwrja) Bass Jens Larsen (Tscherewik) spontan auf dessem Kopf drei Eier aufschlägt! Entweder hat Jens Larsen einen superharten Schädel, dass ihm das nichts weiter ausgemacht hat, oder Agnes Zwierko hat dann doch nicht allzu kräftig "zugeschlagen" - ja, ich muss das selber mal mit meinem Liebsten, der ja auch gern kocht, noch ausprobieren, ob das wirklich weh tut oder nicht...

Eingebetteter MedieninhaltAus obig Anskizziertem ist bereits erkenntlich: In der Inszenierung Barrie Koskys geht es diesmal ziemlich deftig zu. Was ihn bewog, Mussorgskis unvollendeten Dreiakter (nach Gogols Erzählung unter gleichlautendem Titel) dem mit allen Wassern gewaschenen Gemischtwaren-Spielplan am Hause in der Behrenstraße aktuell hinzuzufügen, tut er im Programmheft etwa so erklären:

"Nach Boris Godunow und parallel zu Chowanschtschinawollte Mussorgski ganz bewusst eine komische Oper schreiben, als eine Art Ausweg aus dieser Trostlosigkeit. So ein wenig nach dem Motto 'Ich schreibe mich jetzt einfach mal in eine gute Stimmung!' Vielleicht ging es dabei auch ein bisschen um Kindheitserinnerungen. Mussorgski ist ja auf dem Land geboren und aufgewachsen. Vielleicht war die Arbeit am Jahrmarkt auch der Versuch, sich in seine glücklichere Kindheit zurückzuversetzen, weg von der Metropole Petersburg. Aber trotzdem ist da auch im Jahrmarkt eine unglaublich düstere Seite..."

Zu erfahren gibt es also durchaus Zusätzliches zu dem hartnäckig sich haltenden Klischee über die russische (inkl. ukrainische) Trinkerseele allgemein - dingfest gemacht an ein paar dramaturgisch nicht gerade überzeugend aufbebeispielten Einzel- und Quergeschichten zwischen Mirka Wagner (Parasja, die Tochter des Tscherewik), Alexander Lewis (Grizko, der Parasja liebende Bauernbursche) und den uns bereits bekannten Zwierko/Larsen (Eltern Parasjas) besonders; auch Tom Erik Lie (Gevatter als wie Tschernobog Oberteufel) spielt in einer Art satanisch-alptraumhaften Über-Nebenhandlung mit, welche dann insbesondere den vielen, vielen Chören volkstumhafteste Präsenz ermöglicht.

Überhaupt: die Chöre!!!

Kinderchor und Chor der Komischen Oper Berlin sowie das Vocalconsort Berlin: sie singen, dass es eine Freude ist ihnen beim Singen zuzuhören!

Nun ist das Mussorgski-Opus - wie bereits erwähnt - ein Torso und muss/müsste daher musikalisch angereichert werden, dass es letzten Endes spielbar wäre; also haben Kosky und "sein" Dirigent Henrik Nánási vier diverse "Fremdstücke" des Komponisten (Hebräisches Lied [das allerdings von Rimski-Korsakow] sowie "Trepak", "Wiegenlied" und "Der Feldherr" aus Lieder und Tänze des Todes) in den zweistündigen Spielverlauf hineingeflochten: DAS hat freilich dann dem fressorgiastisch-alkoholisierten Fluss des Ganzen am Beträchtlichsten geschadet; jedesmal, wenn es zu diesen Einschübsen dann kommt, wirkt es als eklatante Spaß- oder Geschwindigkeitenbremse, hebelt also diesen Grundtumult der Oper unpassender Weise aus - - es führt zudem [bei mir] zu anfallartiger Ermüdung; eine reinweg physische Attacke gegen meine eigentlich doch immer aufnahmebereite helle Stirn.

Das Bühnenbild von Katrin Lea Tag ist diesmal von schier unbegreiflich einfallsloser Größenordnung: eine in die Breite gezogene Ess-Tafel, die sich im "nackten" Großraum, bei Bedarf, vor-/rückbewegt; mehr nicht.

Olga Casprug hat, bei den eingeflocht'nen "Fremdstücken", auf der Bandura musiziert.

* *

Zwei Buhs für Kosky am Premierenabend - nein, zählt wahrlich nicht zu seinen besten Inszenierungen.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 03.04.2017.]

DER JAHRMARKT VON SOROTSCHINZI (Komische Oper Berlin, 02.04.2017)
Musikalische Leitung: Henrik Nánási
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühnenbild und Kostüme: Katrin Lea Tag
Dramaturgie: Ulrich Lenz
Chöre: David Cavelius
Kinderchor: Dagmar Fiebach
Licht: Franck Evin
Besetzung:
Tscherewik, ein Bauer ... Jens Larsen
Chiwrja, seine Frau ... Agnes Zwierko
Parasja, Tochter des Tscherewik ... Mirka Wagner
Gevatter ... Tom Erik Lie
Grizko, Bauernbursche ... Alexander Lewis
Afannasi Iwanowitsch ... Ivan Turšić
Zigeuner ... Hans Gröning
Tschernobog, Oberteufel ... Carsten Sabrowski
Kinderchor
Vocalconsort Berlin
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere war am 2. April 2017.
Weitere Termine: 09., 14., 22.04. / 13.05. / 10.06. / 16.07.2017

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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