BRUCKNERS DRITTE (in der 3. Fassung)

Musikfest Berlin Gastspiel des Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam (Dirigent: Manfred Honeck)

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Anton Bruckner (1824-1896) war - nach Beethoven, vor Mahler - der im deutschsprachigen Umfeld sicherlich ergiebigste Schreiber von Sinfonien. Und auch er (wie vor ihm Beethoven und nach ihm Mahler) hatte es auf eine Liste von neun Werken dieser Art gebracht; die 9. Sinfonie schaffte er zwar dann nicht mehr ganz, aber sie wird bis heute - unabhängig ihres durch Sir Simon Rattle & Berliner Philharmoniker 2012 "uraufgeführten" und von Nicola Samale, Giuseppe Mazzuca, John Phillips und Benjamin-Gunnar Cohrs rekonstruierten 4. Satzes - anhaltend als rund und eigentlicher Weise abgeschlossen wahrgenommen. Ja und nicht nur alternde Konzertbesucher haben jedes Mal dann, wenn sie einen der gewaltig-opulenten Sinfoniebrocken vom ewig-alten Bruckner live erleben, einen vorzugsweise emotionalen Zugewinn - gestern z.B. wurde mir das wieder mal sehr deutlich angelegentlich des langanhaltenden Applauses nach der schon gewaltig-opulenten Darreichung durch Manfred Honeck und das (beim MUSIKFEST BERLIN) gastiert habende Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam bewusst; während paar ältere und schnarchende Semester nahe mir noch völlig teilnahmslos in ihrem Dämmerschlaf verharrten, sprangen junge, kurzbehoste Menschen auf und zollten jubilierend unsern holländischen Gästen auf das Pfiffigste Respekt.

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Der gute Honeck zählt mitnichten zu den großen Bruckner-Dirigenten unsrer Zeit, und selbst der ursprünglich für diesen Gastauftritt geplante Daniele Gatti (dem erst neulich wegen sexueller Vorwürfe von einigen Musikerinnen durch´s RCO geschassten Ex-Chefdirigenten) hatte/hat sich bisher nicht mit diesem Attribut bemerkbar machen können. Dahingehend war es fast erwartbar, dass man einen Bruckner mit - wie schon bemerkt - gewaltig-opulentem Duktus hörte; viel zu laut im Grunde, viel zu eintönig und fantasielos, viel zu herkömmlich in der Gesamtgereichung; das Orchester hatte daran freilich keine Schuld, es musizierte halt dann so, wie es sich der kurzfristig (für den Gatti) einbestellte Honeck dachte...

Bruckners Dritte stand auf dem Programm, und man entschied sich für die dritte der drei Fassungen - es ist diejenige, wo sich der Maestro (ziemlich gegen Ende seines Daseins) von den meisten seiner Wagner-Einarbeitungen, herrührend aus der ersten Fassung, trennen wollte und sodurch, wahrscheinlich auch von Wagner selbst, "befreite". Diese Dritte ist dann schon ein merkwürdiger Meilenstein nicht nur im künstlerischen Leben Bruckners. Wagner war das großes Vorbild und Idol des Oberösterreichers. Legendär sind die diversen Scherenschnitte Otto Böhlers, die das Aufeinandertreffen Wagners/Bruckners zeitgeschichtlich festhielten; Bruckner fuhr seiner Zeit nach Bayreuth, um dem Angehimmelten eine der beiden frühen Sinfonien (zweite oder dritte) widmen zu wollen, und weil Wagner ihm zig Bier einfloss, konnte sich Bruckner dann am nächsten Morgen nicht so recht entsinnen, ob sich Wagner nun für die ihm dedizierte Zweite oder Dritte letztendlich entschloss etc. pp.

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Ich hab´ die sog. Urfassung von Bruckners Dritter noch nie live gehört. Und warum wird die eigentlich so selten oder fast nie aufgeführt? Ja, ausgerechnet diese Fassung hätte das andauernde MUSIKFEST BERLIN spektakulärer denn je geadelt und geziert; nur so als Vorschlag für das nächste Mal.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 05.09.2018.]

MUSIKFEST BERLIN (Philharmonie Berlin, 04.09.2018)
Anton Webern: Fünf Sätze für Streichquartett op 5 (Fassung für Streichorchester)
Alban Berg: Fünf Orchesterlieder für mittlere Stimme und Orchester op. 4 nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 3 d-Moll (Fassung 1889, Nowak 1959)
Anett Fritsch, Sopran
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam
Dirigent: Manfred Honeck

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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