CHRISTUS AM ÖLBERGE unter Sir Simon Rattle

Konzertkritik Selten gespieltes Beethoven-Oratorium mit den Berliner Philharmonikern und dem Rundfunkchor Berlin

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Sir Simon Rattle pendelt diesen März zwischen "seinem" ehemaligen Orchester, den Berliner Philharmonikern, und der Berliner Staatsoper hin und her. Im Hans-Sharoun-Bau dirigiert er zwei Konzerte mit Werken von Strauss/Beethoven (05.-07.03.) sowie Berio/Bartók (12.-14.03.), und Unter den Linden wartet er mit einer neuen Einstudierung von Mozarts Idomeneo (Premiere: 22.03.) auf.

Wir waren gestern bei dem offiziellen Auftakt seiner heimisch-hauptstädtischen Residenz, wobei wir uns besonders für Christus am Ölberge interessieren wollten:

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"Der frei gedichtete Text beruft sich auf alle vier Evangelien und umfasst die kurze Szene im Garten Gethsemane, in der Jesus in tiefer Verzweiflung um Kraft für die ihm bevorstehenden Leiden bittet. Der Auftritt eines tröstenden Engels (Seraph), der nur im Lukas-Evangelium kurz erwähnt wird, spielt im ersten Teil des Oratorientextes eine zentrale Rolle, während andere zentrale biblische Begebenheiten unberücksichtigt bleiben. Im zweiten Teil spitzt sich die Handlung durch die Gefangennahme Jesu dramatisch zu und entlädt sich schließlich im erlösenden und ausladenden Chorjubel der Engel: 'Welten singen Lob und Ehre dem erhabnen Gottessohn.' Das Libretto, schrieb der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung anlässlich der Drucklegung des Werks, habe 'dem Componisten häufig Gelegenheit gegeben, eine Manigfaltigkeit lebendiger und tiefer Gefühle auszudrücken, wodurch denn auch das Ganze einen seltenen Reichthum, eine grosse Fülle, viel Abwechslung, und ein Interesse erhält, das nie sinkt, im Gegentheil immer höher und höher gesteigert wird.'" (Quelle: berliner-philharmoniker.de)

*

Durch eines jener acht Jerusalemer Altstadt-Tore (weiß jetzt nicht mehr so genau, welches konkret das war) heraus kommend, hast du den Ölberg vor dir. Und du kannst in ihn direkt "hineingehen" - der Anblick raubt dir fast den Atem, denn du wandelst plötzlich, was du vorher so nicht ahntest, falls dein Stadtrundgang spontan und ohne die Zuhilfenahme eines Reiseführers stattgefunden haben sollte, durch den größten jüdischen Friedhof der Welt. Spätnachmittags, Ende Dezember, werden Tausende von Steingräbern in wundersames warmes Licht getaucht; und so ein helles Gelb hast du dein ganzes Leben nie vorher gesehen...

Dieses [s.o.] ist und war dann also meine absolute Assoziation zum Thema, was dann eigentlich zum Thema wenig passbar scheinen sollte; doch egal.

Schnitt.

Christus am Ölberge ist selten live zu hören - von den Philharmonikern war "er" zuletzt vor 50 Jahren musiziert worden. Das Werk, das auch von seinem Komponisten nicht besonders liebgehabt war, fängt gefühltermaßen langweilig mit je zwei Rezitativen/Arien Christus' und des Engels Seraph (mit teils Königin der Nacht-artigen Steigerungen, die die Polin Iwona Sobotka hochseilhaftig meistert!) an, gelangt, vom sog. Chor der Engel mit "O Heil euch, ihr Erlösten" kurz mal unterbrochen, zum Christus-Seraph-Duett - und erst danach, so peu à peu, scheint die Musik endlich Fahrt aufzunehmen, mit dem Chor der Krieger beispielsweise.... Doch so richtig wie nach Beethoven klingt Alles erst, nachdem es das Terzett mit Petrus (David Soar) gab und das gewaltige und sich beinahe wie Missa Solemnis anhörende Chorfinale anhebt; hier (wie überhaupt) besticht das fulminante SängerInnenaufgebot vom Rundfunkchor Berlin. Sensationell auch die Phrasierungen, die Textverständlichkeit und der betörend schöne Sound Benjamin Bruns', des Darstellers der Titelrolle!

Ja und Rattle tut die Partitur akribisch nach Besonderem und so vielleicht zuvor noch nie Gehörtem untersuchen, und die Philharmoniker setzen "es" in der Tat zufriedenstellend und sogar beglückend um.

Interessantes Opus.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 06.03.2020.]

BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 05.03.2020)
Richard Strauss: Konzert für Oboe und kleines Orchester D-Dur WoO 144
Ludwig van Beethoven: Christus am Ölberge, Oratorium op. 85
Jonathan Kelly, Oboe
Iwona Sobotka, Sopran
Benjamin Bruns, Tenor
David Soar, Bass
Rundfunkchor Berlin
(Einstudierung: Simon Halsey)
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Sir Simon Rattle

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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